Interview mit Hildigund Neubert - "Das war ein ethisches Dilemma, in dem manche Ärzte steckten"

Do 02.05.13 | 00:00 Uhr
Westliche Pharma-Unternehmen haben in erheblichem Umfang Medikamente in DDR-Krankenhäusern testen lassen. Thüringens Stasi-Beauftragte Neubert fordert die flächendeckende Erforschung der Testreihen.
Westliche Pharma-Unternehmen haben offenbar in erheblichem Umfang Medikamente an Patienten in DDR-Krankenhäusern testen lassen. Jetzt fordert die Konferenz der Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes eine flächendeckende Erforschung dieser Testreihen.

Fragen dazu an die Thüringer Landesbeauftragte Hildigund Neubert.
Wie wichtig ist die Aufarbeitung dieser Pharmatests?
Die Untersuchung ist vor allem deshalb wichtig, weil es da um menschliche Schicksale geht. Wie ist mit kranken Menschen in der DDR umgegangen worden? Das dürfen wir nicht vergessen, bei allem, was da ökonomisch, wissenschaftlich, medizinisch eine Rolle gespielt hat. Es ist wichtig, genau aufzuklären, ob z.B. die ethischen Standards eingehalten wurden. Welche Personen waren beteiligt und sind die hinreichend aufgeklärt gewesen.

Sie haben für Thüringen bereits eine erste Studie zu diesen Tests machen lassen. Was ist dabei heraus gekommen?
Wir haben eine Quellenrecherche veranlasst. Dabei kam heraus, dass Kliniken und Universitäten in Thüringen bei den Versuchsreihen einbezogen waren. Deutlich wurde aber auch, dass die Anzahl dieser Versuche so groß und ihre Verquickung mit dem damaligen DDR-Gesundheitsministerium so stark waren, dass man diese Vorgänge insgesamt für die ganze ehemalige DDR untersuchen muss.

Medizinhistoriker an der Berliner Charité planen jetzt eine große Studie, was erwarten Sie von diesem Forschungsprojekt?
Die Charité war einer der wichtigsten Partner bei diesen Pharmaversuchen: die Klinik war "Prüfeinrichtung", wie das hieß, und hat gleichzeitig selber Versuche durchgeführt. Das bedeutet zweierlei: erstens ist die Charité befangen und es bedarf einer gewissen Anstrengung, dass sich die Wissenschaftler da die nötige Unabhängigkeit bewahren. Andererseits ist es eine Chance, wenn die gesamte Leitung der Charité zu diesem Projekt steht, dass dann für die Charité dieses Thema auch wirklich bis in die Patientenakten hinein aufgeklärt werden kann. Die Gefahr ist allerdings, dass sich die Untersuchung dann eben doch auf die Charité, auf Berlin, beschränkt. Und das, was in der Provinz, in den anderen Bezirken der damaligen DDR passiert ist, dann nicht untersucht wird.

Was schlagen sie vor?
Dass man eine Forschungsgruppe bildet, in der Wissenschaftler auch aus den anderen östlichen Bundesländern dabei sind, die vielleicht beraten werden von uns Landesbeauftragten. Damit die Studie wirklich auch die Fläche im Blick hat.

Für Sie sind bei der Aufarbeitung dieser Tests vor allem ethische Fragen wichtig, also ob international verbindliche ethische und juristische Grundsätze, wie die Deklaration von Helsinki, eingehalten wurden?
Und dazu gehört auch das ethische Dilemma, in dem manche Ärzte steckten. Hatten die überhaupt eine Wahl, waren die Ärzte hinreichend informiert? Gerade in den 80er Jahren hatten wir in den Kliniken einen erheblichen Mangel. So dass die Ärzte wohl manchmal vor der Wahl standen, gar kein Medikament zu geben oder sich an einer Testreihe zu beteiligen. Wie sind die Ärzte mit so einer Situation umgegangen? Es gibt Hinweise auf Aussagen in den Stasi-Akten, wonach manche Ärzte sich an höher gelegene Instanzen gewendet, sich beschwert und nachgefragt haben.

Welche Rolle spielte die Staatssicherheit Ihrer Meinung nach bei diesem Geschäft?
Auf der einen Seite haben sie das Geschäft überwacht, auf der anderen Seite haben sie darauf geachtet, dass alles nicht-öffentlich blieb, dass alles verschleiert und geheim gehalten wurde. Und das ist für mich schon ein ganz wichtiger Hinweis darauf, dass ethische Standards wahrscheinlich nicht eingehalten wurden, dass gegen Vorschriften verstoßen wurde, denn sonst hätte man das nicht geheim halten müssen.

Das Gespräch führte Sabine Jauer

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