Wohin die EU-Milliarden in Brandenburg fließen - Vom Neuro-Navi zur märkischen Sumpfschildkröte

Mo 05.05.14 | 16:17 Uhr | Von Andrea Marshall
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Die EU gilt vielen Brandenburgern als eine Ansammlung von Brüsseler Bürokraten, die den zulässigen Krümmungswinkel von Bananen und andere Absurditäten festlegen. Dabei findet sich "Europa" direkt vor der Haustür: Mehr als drei Milliarden Euro hat die EU für mehrere Tausend Projekte in der Mark in der gerade abgelaufenen Förderperiode spendiert. Künftig gibt es allerdings empfindlich weniger. Von Andrea Marshall

Wer auf der Autobahn in Brandenburg unterwegs ist, etwa bei Schwanebeck (A10) oder Karstädt (A14), der "er-fährt" gerade Europa: Hier wird mit EU-Mitteln gebaut. Auch HighTech wie das Hennigsdorfer Navigationsgerät für den Neurochirurgen, die Kleiderkammer in Angermünde, das Qualitätssiegel für Lausitzer Leinöl oder das sanierte Dorfgemeinschaftshaus in Altkünkendorf: All diese völlig unterschiedlichen Projekte sind mit Geld aus Brüssel entstanden. Im brandenburgischen Alltag steckt viel mehr Europa als mancher denkt.

Drei Milliarden seit 2007

Mit über drei Milliarden Euro hat die EU zwischen 2007 und 2013 Brandenburger Projekte ko-finanziert (siehe Kasten). In den sieben Jahren davor war es etwa genauso viel. Brandenburg fiel von 1991 bis 2013 in die Höchstförderung der Europäischen Union. Manche sagen, es war zum Notstandsgebiet erklärt worden.

Doch nach einer Übergangsperiode ist damit nun Schluss: Brandenburg ist in die Liga der "Übergangsregionen" aufgestiegen. Notstandsgebiete gibt es nun weiter östlich in Europa, etwa in den Beitrittsländern Rumänien oder Litauen. Nun soll das Geld dort für eine Angleichung der Lebensverhältnisse  sorgen.

Brandenburg wird damit sozusagen Opfer des eigenen Erfolgs. In der neuen Förderperiode 2014 bis 2020 fließen zwar immer noch rund zwei Milliarden Euro aus Brüssel. Aber die eine Milliarde weniger will erst einmal verkraftet werden.

Regionalfonds: Infrastruktur auf allen Ebenen

Besonders stark gekürzt wird das Geld aus dem EU-Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).  Nur noch etwas mehr als die Hälfte - 56 Prozent - bekommt Brandenburg künftig aus diesem Topf:  846 Millionen Euro statt 1,5 Milliarden. Wie sich dies genau auswirkt, ist noch offen. Die Landesregierung muss sich nach EU-Vorgaben nun stärker auf drei Schwerpunkte konzentrieren: Forschung und Entwicklung, kleinere und mittlere Unternehmen sowie Minderung des Klimakillers Kohlendioxid.

Innenansicht der Stiftskirche St. Marien des Zisterzienserklosters in Neuzelle (Quelle: imago)
Dank EU-Mittel neu erstrahlt: die Klosterkirche NeuzelleBild:

Damit dürften viele Projekte künftig nicht mehr als förderungswürdig gelten. Bisher floss das EFRE-Geld – gießkannenartig - im weitesten Sinne in die Infrastruktur. 5.500 Projekte haben zuletzt davon profitiert (2007-2013). Entstanden sind sichtbare "Perlen" wie die neu erstrahlte Klosterkirche Neuzelle (Oder-Spree-Kreis) oder das Kunstmuseum  im ehemaligen Dieselkraftwerk Cottbus. Auch wichtige Innovationen, etwa in der Medizintechnik, waren darunter.

Zudem wurden viele kleine "unauffällige" Maßnahmen aus diesem Topf finanziert: Brücken und Radwege, der Bahnhofsvorplatz in Falkensee und der sanierte Trinkwasserspeicher in Eisenhüttenstadt, moderne Computer für 116 Schulen. Hoch im Kurs standen grenzüberschreitende Aktivitäten wie die deutsch-polnische Oder-Partnerschaft.

Nicht alle EFRE-finanzierten Projekte wird man vermissen. Die Förderung von Solarmodulen ist bekanntlich fast komplett im märkischen Sand verglüht. Auch die Modernisierung der brandenburgischen Binnenhäfen gilt nicht überall als erfolgreich. So dümpelt der mit EU-Geldern bezuschusste Hafen in Mühlberg (Elbe-Elster) ungenutzt vor sich hin.

Sozialfonds: Beschäftigung am Tropf

Auch in vielen brandenburgischen Arbeitsplätzen und Weiterbildungsmaßnahmen steckt "Europa". Dafür sorgt der Sozialfonds EFS. Allerdings muss das Land auch hier jetzt einen "schmerzhaften Rückgang" hinnehmen (Arbeitsminister Günter Baaske). Der Geldsegen für Brandenburg schrumpft von 620 Millionen auf 362 Millionen Euro (2014 bis 2020). Das sind nur noch 58 Prozent.

Bisher waren auch die Programme in dieser Kategorie breit aufgestellt. Da wurden Kinder und Jugendliche in der Mark ermutigt, ihre Region zu erkunden und sich zum Beispiel mit "Milch, Brot oder Bienen" zu beschäftigen. Um sie für Berufe in der Landwirtschaft zu begeistern - und um der Landflucht, ein großes Problem in Brandenburg, vorzubeugen.  Auch Coachings für Existenzgründer und potenzielle Unternehmensnachfolger oder spezielle Fortbildungen sollten Arbeitskraft in der Region erhalten - und voranbringen.  Andererseits wurde auch das Gegenteil gefördert: Junge Arbeitslose oder Studienabbrecher aus Brandenburg konnten sich ein Praktikum im europäischen Ausland finanzieren lassen.

Wohin die Reise der EFS-Projekte in der Zukunft geht? Offen. Die Landesregierung wird wohl viel eigenes Geld zuschießen müssen, denn die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist alles andere als rosig. Die Schwerpunkte stehen zumindest fest: Eingliederung von Langzeitarbeitslosen und Schulverweigerern, Weiterbildung von Leuten mit Jobs. Daraus spricht der Fachkräftemangel, der sich in Brandenburg schon jetzt stark bemerkbar macht.

Agrarfonds: Bauern, Leader, Schildkröten

Sehr viel Geld aus Brüssel steckt in Brandenburgs Äckern und in der Tierzucht. 365 Millionen Euro fließen - in jedem Jahr! -  zwischen 2014 und 2020 als Direktzahlungen an die Bauern. Das ist eine Riesensumme, wenn auch zehn Prozent weniger als in der vorherigen Förderperiode.  Die leichte Kürzung betrifft vor allem Großbetriebe, die in Brandenburg zahlreich sind. Sie hatten zuvor aber überdurchschnittlich von den Zuschüssen profitiert.

Damit sich die Bauern und andere Landbewohner wohlfühlen – und auf dem Land wohnen bleiben - unterstützt die zweite Säule der EU-Agrarförderung im weitesten Sinne die Lebensqualität. Dafür konnte der Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) bisher offenbar für so ziemlich alles angezapft werden: Bauern, die ihren Betrieb auf eine breitere Grundlage stellen wollen (Diversifizierung) bekamen eine Finanzspritze. Gefördert wurden Landtourismus, Ökolandbau, Hochwasserschutz, Kitas. Dazu Dorferneuerung, Breitbandanschlüsse, der Schutz des kulturellen Erbes.

Herausgekommen sind so unterschiedliche Projekte wie das Webportal für das "Kanurevier Spreewald", die  "Straußenfarm am Bolzenteich" in Wildenau oder das Fledermausmuseum Julianenhof. 14 Modellregionen weisen als "Leader" den Weg.

Dieser ELER-Topf wird nun ebenfalls gekürzt – aber nicht so stark wie zunächst befürchtet. 85 Prozent der bisherigen Summe fließen 2014 bis 2020 weiterhin. Berlin und Brandenburg erhalten gemeinsam 965 Millionen Euro. Zuvor waren es gut eine Milliarde. Außerdem bekommt Brandenburg zusätzliche 85 "umgewidmete" Millionen Euro für den ELER, die bisher deutschlandweit als Direktzahlung an Bauern geflossen sind. Damit können bestehende Programme "im Wesentlichen" wieder aufgelegt werden, freut sich Landwirtschaftsminister Jörg Vogelsänger (SPD).

Ob die Sumpfschildkröte weiterhin dabei sein wird, ist fraglich. Man hat ihr in einer Kiesgrube in der Uckermark ein Refugium eingerichtet, damit Waschbär und Marderhund die gefährdete Art nicht weiter dezimieren. 420.000 Euro hat der ELER-Fonds dazu beigesteuert. Soweit bekannt, ist das Überleben gelungen.

EU-Töpfe

  • Gesamtförderung

  • Ziel der Förderung

  • Regionalfonds (EFRE)

  • Sozialfonds (ESF)

  • Landwirtschaftsfonds ELER

  • Zukunft: Maximum herausholen

Beitrag von Andrea Marshall

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