Eingeschränkte Hilfe - Was die Pandemie für obdachlose Jugendliche bedeutet
In Zeiten von Corona sind die Hilfsangebote für obdachlose Jugendliche eingeschränkt. Der Berliner Verein Straßenkinder bietet ein Notprogramm - und stellt fest: Die Zahl junger Menschen auf der Straße nimmt offenbar zu, weil viele es zuhause nicht aushalten. Von Jörn Kersten
Jetzt, wo es wärmer wird, braucht der 22-jährige Alexander aus Wien etwas luftigere Klamotten. Davon gibt es genug beim Verein Straßenkinder in Berlin-Friedrichshain. Aber die Zeit, die junge Obdachlose hier verbringen dürfen, ist jetzt knapp bemessen.
"Vor Corona bin ich jeden Tag hergekommen", sagt Alexander, "weil ich wusste, das ist ein Rückzugsort, wo man weiß, man fühlt sich sehr wohl hier." Und Victoria Utri vom Straßenkinder-Verein erklärt: "Eigentlich wurde das hier immer das Wohnzimmer der Straße genannt. Das war im Grunde ein Aufenthaltsort für so viele Leute wie reingepasst haben." Meist seien das um die 30 Leute pro Tag gewesen. Vor der Corona-Pandemie konnten sie sich bis zu vier Stunden in der "Streetworkstatt" in der Warschauer Straße aufhalten.
"Jeder versucht, auf sich aufzupassen"
Jetzt sind es nur noch wenige Minuten, um das nötigste zu erledigen: Hände waschen, Kleidung, Essen und vielleicht ein kurzes Gespräch. Für Menschen ohne festen Wohnsitz hat der Leitspruch "zu Hause bleiben" einen schrägen Klang.
"Wo sollen die hin?", fragt Alexander. "Ich verstehe das, wenn eine Person eine Wohnung hat. Die kann sich in die Wohnung verziehen, die hat einen Rückzugsort. Aber die Leute, die auf der Straße leben, haben das nicht." Jazzy, die ebenfalls regelmäßig in die Streetworkstatt kommt, sagt, jeder versuche sein Bestes: "Die meisten hier haben keine Wohnung, wo sie sich zurückziehen können. Aber jeder versucht von sich aus, sein Bestes zu geben und auch aufzupassen. Das finde ich auch ganz schön."
Vertrauen aufbauen mit Maske und Handschuhen? Schwierig
Für Leute wie Jazzy, die auf der Straße leben, ist der Verein - selbst nur mit Notbetreuung - ein wichtiger Anker: "Hier kriege ich meine Hilfe. Ich würde mit meinem Ämter-Kram überhaupt nicht durchblicken. Da bin ich froh, dass mir hier Menschen helfen und deshalb komme ich auch hierher. Ich meine, letzte Woche hat es geschneit, und wir sind eingeschneit, weil wir nicht rein durften."
Victoria Utri, mit Mundschutz und Gummihandschuhen, stellt Pakete zusammen mit dem Nötigsten für draußen - wo viele jetzt noch mehr unterwegs sind, auf ihrer Platte, dem Treffpunkt der Gruppen. Versuche, dort in Kontakt zu treten, sind für die Mitarbeiter des Straßenkinder-Vereins jetzt besonders schwierig. Das Credo sei eigentlich, Vertrauen aufbauen, um zu helfen, sagt Utri: "Und mit so einer Maske und noch Handschuhen sehen wir aus wie Aliens. Das ist ein bisschen schwierig."
Lieber auf der Straße als zuhause
Und für einige Jugendliche, so die Erfahrung des Vereins, klingt das Motto "Zuhause bleiben" eher wie eine Drohung. "Wir beobachten, dass es vor allem mehr minderjährige Mädchen sind, die plötzlich aufschlagen bei uns", sagt Utri. Diese Jugendlichen hätten zwar noch ein Zuhause, würden es aber mit ihren suchtkranken Eltern nicht aushalten und lieber auf die Straße gehen.
Für Alexander geht es nach ein paar Minuten beim Straßenkinder-Verein wieder weiter. Immerhin weiß er heute wohin, er hat einen Platz in einer Notunterkunft gefunden.
Sendung: Abendschau, 06.04.2020, 19:30 Uhr
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