Nach Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz - Fakten helfen gegen die Verunsicherung

Fr 23.12.16 | 07:50 Uhr | Von Vanessa Reske
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Kerzen und Blumen liegen als Zeichen der Anteilnahme auf dem Breitscheidplatz in Berlin © imago images/photothek
Kerzen und Blumen liegen als Zeichen der Anteilnahme auf dem Breitscheidplatz in Berlin | Bild: imago images/photothek

Nach dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz mit zwölf Toten sind viele Bürger verunsichert. Besonders schlimm: Die Bedrohung durch solche Anschläge scheint unberechenbar. Psychotherapeuten erklären, was gegen die Angst hilft. Von Vanessa Reske

"Immer, wenn eine Gefahr als neu und unbeherrschbar erscheint, haben die Menschen mehr Angst, als es der tatsächlichen Gefährdung, zum Beispiel durch Terroranschläge, entspricht. Aber das kann unser Gehirn nicht so verarbeiten", erklärt Borwin Bandelow, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Göttingen und Präsident der Gesellschaft für Angstforschung.

Rational betrachtet haben wir eigentlich gar keinen Grund, Angst zu haben. Statistisch gesehen ist eine Gefährdung durch Autounfälle wahrscheinlicher als ein Terroranschlag. Trotzdem nehmen viele Menschen dieses Risiko gelassener in Kauf und denken nicht über die Konsequenzen nach, wenn sie sich ins Auto setzen.

"Unglück durch Menschen irritiert mehr als eine Naturkatastrophe"

Wir empfinden Unverständnis, Fassungslosigkeit. Wie kann ein Mensch so etwas tun? "Ein Unglück durch Menschen irritiert mehr als eine Naturkatastrophe", erklärt Olaf Schulte-Herbrüggen, Oberarzt für Psychiatrie, Psychotherapie und "spezielle Psychotraumatherapie" an der Charité. Ein sogenanntes "Man-Made-Trauma", insbesondere interpersonelle oder intersexuelle Gewalt, habe hohes Potenzial, zu einer Angsterkrankung zu führen. "Wenn ein Anschlag passiert, ist die Sorge generell umso größer, je näher sich der Tatort räumlich zu uns selbst befindet", ergänzt Bandelow.

Es ist unterschiedlich, wie gut wir den Anblick von bewaffneten Polizisten ertragen. "Menschen, die überwiegend strukturiert und rational denken, werden das eher als ein Zeichen für mehr Sicherheit werten", sagte Bandelow in einem Interview mit der "Zeit". Doch es gibt auch Menschen, die für alles einen Grund suchen. "Das irritiert, verunsichert, führt zum Grübeln und Angst. Denn: Man muss seine eigene Sicherheitslage neu definieren und einjustieren", erklärt Schulte-Herbrüggen.

Soziale Netzwerke als Angsttreiber

Mittlerweile ist die erste Reaktion auf eine Terrormeldung ein Post in den sozialen Netzwerken. Ein Teufelssog. "Der Informationsfluss im Internet wirkt wie ein Vergrößerungsglas. Dadurch, dass die Nachrichten von allen Seiten strömen, wirkt das Ereignis noch bedrohlicher, und es entsteht Angst. Und unkontrollierbare Angst wird schnell zu Polarisierung", beschreibt Mazda Adli, Leiter des Forschungsbereichs "Affektive Störungen" an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité. Hinzu komme, dass die rasante Ausbreitung von ungefilterten Nachrichten oft nur einen geringen Informationsgehalt habe. "Was dort stattfindet ist Emotionalisierung. Leute, die sich nicht in sozialen Netzwerken bewegen, haben weniger Panik", sagt Schulte-Herbrüggen. Ein gutes Beispiel, um dem entgegenzuwirken, sei der Aufruf der Berliner Polizei, keine Bilder und Videos zu posten, sondern an die Polizei zu senden.

Detaillierte, sachliche und transparente Berichterstattung sei wichtig, um Menschen ihre Ängste zu nehmen und Stigmatisierung zu unterbinden. Adli plädiert für eine zügige Aufklärung: "Wenn die Medien sich in den ersten Stunden aus den sozialen Netzwerken raushalten, überlassen sie das Feld den emotionsgetriebenen Kommentaren. Das darf nicht passieren."

Trotzdem warnt der Soziologe Andreas Braun vor einer zu detaillierten Berichterstattung. "Das Risiko für eine Nachahmungstat steigt, wenn Medien potenzielle Täter über die Herangehensweise informieren. Die Amok- und Terrorforschung beschreibt einen internationalen Trend, dass wir es vermehrt mit Einzeltätern zu tun haben", weiß Braun aus seinen Amok- und Terrorforschungen an der RWTH Aachen und der Universität Bielefeld.

Politiker sollten mit Gesten nicht übertreiben

Mit zugewandten Gesten und mitfühlenden Worten versuchen Politiker und auch Medienmacher ihr Mitgefühl auszudrücken. Sie wollen den Betroffenen helfen, mit dem Schmerz umzugehen. Aus psychologischer Sicht sei das auch angebracht, nur solle man nicht übertreiben. "Viele Politiker wollen durch Superlative besondere Betroffenheit symbolisieren, doch das ist nicht hilfreich. Man sollte sachlich bleiben und in der Sprachwahl auf Eskalationen verzichten", rät Schulte-Herbrüggen.

Die Welle des Mitgefühls wird sich erfahrungsgemäß nach einiger Zeit wieder lösen. Und das ist auch wichtig. "Nur so kann man wieder Platz für andere Dinge im Leben haben. Das ist ein gesunder Mechanismus. Es gibt immer eine Phase der Trauer. Dann setzt die Normalität wieder ein", sagt Schulte-Herbrüggen.

Konfrontation hilft

Was hilft, um Angst zu mindern? Psychologen raten zu einem Faktencheck. "Man konfrontiert sich selbst mit seinen Ängsten und versucht, diese durch Fakten zu ersetzen", erklärt Schulte-Herbrüggen. Es hilft auch, sich den Teufelskreis von Angst und Wut bewusst zu machen. Doch wie man am besten mit den Informationen umgeht, ist und bleibt eine individuelle Entscheidung.

"Vermeidungsverhalten ist nicht ratsam. Das macht langfristig ängstlicher", sagt Adli. "Wichtig ist, dass wir uns in unserer individuellen Freiheit nicht einschränken." Die Psychologen raten, diese Entscheidung auf Basis einer sachlichen Grundlage zu treffen, seinen Medienkonsum auf Fakten zu reduzieren und Emotionen zu vermeiden.

Wie man auch in schwierigen Zeiten Freude, Glück und Frieden innerhalb einer Gesellschaft bewahrt, machen uns andere Länder, wie Frankreich oder Israel, vor. "Wir dürfen nicht klein beigeben, denn das ruft weitere Populisten aufs Parkett, und damit wird ein Teufelskreis in Gang gesetzt. Unsere stärkste Waffe gegen Terror ist Besonnenheit", sagt Adli.

Klare Strukturen gut gegen Verunsicherung

Eine Verunsicherung verlangt klare Regelungen. "Was die Menschen brauchen sind Strukturen und die Vermittlung von Sicherheit", sagt Schulte-Herbrüggen. So können Politiker Ängste und Emotionen kontrollieren, indem sie Menschen Halt geben.

Die Wissenschaftler plädieren alle für mehr wissenschaftliche Aufklärung in der Politik.
"Wir Soziologen würden fragen: Aus welchem Milieu stammen die Täter? Wie ist die Situation der Jugendlichen? Kann man sich da eine eigene Identität aufbauen, ohne in eine Richtung 'gestoßen' zu werden?", sagt Braun. Er glaubt an eine fruchtbare Zusammenarbeit, vor allem in der Prävention von Anschlägen, wenn Politiker, Soziologen, Psychologen und Krisenmanager mehr zusammenarbeiten würden.

Beitrag von Vanessa Reske

1 Kommentar

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  1. 1.

    Mein Wohnort. Der Attentäter vom Breitscheidplatz hielt hier engen Kontakt zu einer observierten Moschee, die den IS-Terror gut heißt und er wurde sogar nach dem Terrortakt dort gesichtet und fotografiert. Ist das jetzt irrational, Angst zu haben, weil dieser kranke Typ hier vielleicht noch herumläuft, sich bei gleichgesinnten pathologischen Geistern versteckt hält, bewaffnet und in einem Zustand in dem er rein gar nichts mehr zu verlieren hat?

    Ich bin vor allem wütend wegen der laschen Handhabe mit dieser "Moschee", die in Wirklichkeit ein Treffpunkt gewaltbereiter Islamisten ist und die der ehrenwerte Herr Henkel nicht schließen ließ. Ich wusste gar nicht, dass es sie gibt. Warum wird die nicht von Journalisten belagert und der hasspredigende "Imam" mal zu seiner menschenfreundlichen Gesinnung befragt? Sie ist offenbar nach wie vor geöffnet ....

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