Pressedossier

• Statement der Redakteur:innen

  

  rbb/SWR/MDR/Looksfilm/picture-alliance/dpa/Marcel Mettelsiefen

  "Die Serie ist keine Hommage – aber genauso dezidiert auch kein Verriss"

  Die Redakteure Rolf Bergmann und Ulrike Gerster (rbb), Anaïs Roth (MDR) sowie Mark Willock und Ilka aus der Mark (SWR) über die Serie

  "Angela Merkel – Schicksalsjahre einer Kanzlerin" ist eine Bilanz der Merkel-Jahre, die Deutschland und uns geprägt haben. 16 Jahre lang waren wir Merkel-Land.

  Die Serie bietet ungewöhnliche Sichtachsen auf die Kanzlerin a. D., auf ihre Person, ihre politischen Konflikte, auf ihre bemerkenswerte Karriere - und auf das, was mit einigem Abstand bleibt von den Merkel-Jahren. Wie hat eine moderativ handelnde Kanzlerin ein so gespaltenes Land zurücklassen können? Es geht um Versagen und Schuld, um Verantwortung und Erfolg – und auch um Haltung. Es geht auch um den Blick einer Generation, die von der Ära Merkel ganz wesentlich geprägt wurde. Die nun mit etwas Abstand auf das Erbe schaut.

  Die Serie ist keine Hommage – aber genauso dezidiert auch kein Verriss. "Kritische Würdigung" heißt ja wohl in der Annäherung, den unbequemen Platz zwischen den Stühlen zu besetzen … und vielleicht auch: es keinem richtig recht machen zu können. Die einen wünschen sich eine Abrechnung, die anderen vermissen Anerkennung und Applaus für die Kanzlerin a.D. Wir aber suchen unterschiedliche Perspektiven. Und wir fragen nach, ohne die Antworten zu kennen.

  Die Serie versucht zu entschlüsseln, warum Angela Merkel so handelte, wie sie handelte – und welche Prägungen ihre Politik beeinflussten. Es geht um Erfahrungen in ihrem Leben "vor der großen Politik": Erfahrungen, die sie gemacht hat im protestantischen Elternhaus, in der DDR und in der Zeit, als die Mauer fiel und sie im Spurt die Demokratie inhalierte, sich neu aufstellte und rasch etablierte. Es geht um den rasanten und langen Aufstieg, von "Kohls Mädchen" zur Generalsekretärin, zur Kanzlerin, zur "mächtigsten Frau der Welt". Auf einer zweiten Ebene ist das Portrait dieser mächtigen (und manchmal auch erstaunlich ohnmächtigen) Politikerin auch ein Portrait des Landes, Deutschland in der Nachwendezeit bis heute, ein Land, das sich in Merkel spiegelte, verkörperte und das sie repräsentierte.

  Durch die Serie erleben wir unsere Prägungen, Versäumnisse und Glücksmomente während der Merkel-Jahre noch einmal – und verstehen am Ende vielleicht sogar besser, warum Deutschland heute so ist, wie es ist.

• Fünf Fragen an den Autor Tim Evers

  

  rbb/SWR/MDR/Looksfilm/Barack Obama Presidential Library

  "Mich interessieren diese Rückkopplungen zwischen Angela Merkel und uns"

  Warum ist die Dokus über Angela Merkel zweieinhalb Jahre nach dem Ende ihrer Kanzlerschaft in Ihren Augen besonders aufschlussreich?

  Mit zunehmendem Abstand wird es immer spannender, sich den Weg von Angela Merkel anzusehen. Seit ihrem Abschied aus dem Amt hat sich der Blick auf ihre Kanzlerschaft verändert. Deutschland erlebt sich gerade als Land in der Krise: Hat das auch mit 16 Merkel-Jahren zu tun? Da lohnt ein frischer Blick mit etwas Abstand. Insofern: Wann, wenn nicht jetzt?

  Was wir Ihnen bei der Auswahl der Interviewpartner wichtig und welches Statement hat Sie besonders überrascht?

  Bei der Auswahl war es mir wichtig, neben Weggefährten und Merkel-Vertrauten wie Thomas de Maiziere oder Annegret Kramp-Karrenbauer auch jüngere Stimmen einzubinden, die mit dieser ersten deutschen Kanzlerin aufgewachsen sind und sie ganz anders reflektieren – freier, frecher, mitunter auch flapsiger, weil sie ohne das ganze Paket realpolitischer Hintergründe der letzten 30 Jahre auf sie blicken. Das eröffnet uns erhellende Perspektiven.

  Der Youtuber LeFloid z.B. hat uns wunderbar plastisch beschrieben, wie es ist, zum Interview ins Kanzleramt geladen zu werden – und arbeitet dabei zugleich das „Teflon-Wesen“ Merkel so pointiert und treffsicher heraus, wie ich es selten gehört habe.

  Wir wollten in der Mischung der Interviewten etwas herstellen, was ich in der Vorbereitung manchmal ein „deutsches Selbstgespräch“ genannt habe: Stimmen aus den verschiedenen Ecken der Gesellschaft – vom (ehemaligen) AfD-Politiker bis zur Klimaaktivistin – und aus verschiedenen Generationen über die Merkel-Jahre zusammenzubringen, sie gerne auch mal aufeinander prallen zu lassen.

  Sie sind wie Angela Merkel in Brandenburg aufgewachsen, in DDR-Zeiten. Wie sehen Sie sie aus Ihrer Perspektive als Ostdeutscher?

  Der Blick auf ihren Aufstieg in den 90er Jahren, als ostdeutsche Quereinsteigerin in der CDU, auch ihren späteren (Nicht-)Umgang mit ihrer Herkunft, gehörte für mich zu den spannendsten Facetten bei diesem Projekt. Darin spiegelt sich die Zeit doch sehr viel mehr, als wir damals vielleicht wahrhaben wollten. Dass sie das selbst nie – bzw. sehr lange nicht – thematisiert hat, finde ich schade. Insofern hat mich die Rede, die sie 2021, kurz vor ihrem Abschied aus dem Amt, in Halle gehalten hat, beeindruckt. Plötzlich sprach sie darüber, wie sehr es sie verletzt hat, dass ihr „DDR-Leben“ von einer Publikation der Konrad-Adenauer-Stiftung als „Ballast“ bezeichnet, sie selbst bis zuletzt als „angelernte“ Bundesbürgerin und Europäerin beschrieben wurde. Was hätte es bewirken können, wenn sie eine solche Rede zehn Jahre früher gehalten hätte?

  Die Serie hat den Anspruch, auch für junge Menschen zu erzählen, die sich an keinen Kanzler vor Merkel selbst erinnern können. Bedeutet das Merkel light?

  Nein. Es bedeutet, in einem anderen Tonfall, in etwas anderer Form zu erzählen, und gern auch emotional und persönlich. Aber zugleich immer genau und faktentreu. Wir gehen den schweren Themen nicht aus dem Weg, versuchen allerdings, sie so aufzubereiten, dass man sie auch versteht, wenn man nicht komplett sattelfest in der deutschen Parteiengeschichte der vergangenen 30 Jahre ist.

  Was hat Sie an Angela Merkel am meisten fasziniert in der Auseinandersetzung mit ihr für diese Serie?

  Dass wir, wenn wir über Angela Merkel reden, natürlich immer auch über uns reden. Die Konflikte und Probleme, mit denen sie zu tun hatte, sind die Konflikte und Probleme unserer Gesellschaft. Jeder hat seinen Blick darauf – und damit auch auf sie. Angela Merkel wurde häufig als Projektionsfläche beschrieben – das habe ich bei der Recherche und in den Interviews immer wieder bestätigt gefunden. Mich interessieren diese Rückkopplungen zwischen Angela Merkel und uns: Wohin hat sie uns geführt – und wohin haben wir sie getrieben? Wie hat sie Zeit und Land geprägt – und wie haben Zeit und Land sie geprägt?

• Statement der Produzentinnen

  

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  "Ein Psychogramm der bekanntesten deutschen Spitzenpolitikerin"

  16 Jahre lang prägte Angela Merkel als Bundeskanzlerin dieses Land. Eine Macht durch Beschaulichkeit, Beständigkeit und Beharrlichkeit, ein Großkaliber in der internationalen Politik. Auch innenpolitisch war sie quasi „alternativlos“: Eine ganze Generation erinnert – bis zu ihrem Rückzug vor zweieinhalb Jahren – nur eine einzige Bundeskanzlerin: Angela Merkel.

  Die Schockwelle, die der russische Angriffskrieg auf die Ukraine vor zwei Jahren auslöste, hat eine radikale Neubewertung von Merkels (Russland-)Politik eingeleitet. Die anhaltenden Schwierigkeiten der Regierung Scholz legen die Versäumnisse der Merkel-Jahre offen. Und doch wird es vermutlich eine ganze Generation dauern, bis klar sein wird, wie radikal Angela Merkel die politische Kultur dieses Landes verändert hat, wie grundlegend sie den Weg geebnet hat für nachfolgende Generationen. Denn Angela Merkel war in vielem die Erste – als Frau an der Spitze ihrer Partei, als Bundeskanzlerin eines geeinten Deutschlands und als Ostdeutsche.

  Mit „Angela Merkel – Schicksalsjahre einer Kanzlerin“ warten wir nicht, bis die Historiker ihr Urteil gefällt haben werden. In einem leicht zugänglichen Ansatz mit schnellen Schnitten, poppigen Farben, gewitzten Pointen und Musik aus den letzten drei Jahrzehnten zeichnen wir schon jetzt ein Psychogramm der bekanntesten deutschen Spitzenpolitikerin und ermöglichen es jungen Zuschauenden, einen neuen, frischen Blick auf die Frau zu werfen, die für sie zum Inventar dieses Landes gehört.

  Birgit Rasch und Ramona Bergmann

• Ausgewählte Zitate der Interviewpartner aus der Doku-Serie

  

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  "Jeder hat sich seine eigene Angela Merkel zurechtprojiziert"

  LeFloid: "Wenn du es geschafft hast, eine Merkelraute zu etablieren … und das weltweit irgendwo im Kopf hängen geblieben ist, dass du einen Signature-Move hast. Etwas, das normalerweise nur so irgendwie Wrestler oder so am Start haben. Das ist schon beeindruckend…Auf eine komische Art und Weise."

  Marina Weisband: "Was schwer greifbar ist, da kann man viel drauf projizieren. Jeder hat sich so seine eigene Angela Merkel zurechtprojiziert, wie er sie haben wollte. Und dadurch konnte sie gewählt werden."

  Samira El Ouassil: "Sie nahm sich offenbar eher als Umsetzerin wahr, denn als Vertreterin der Partei. Sie war nicht die Jeanne d'Arc der CDU in dem Sinne, sondern die Handwerkerin, die die Dinge jetzt geregelt kriegen muss."

  Evelyn Roll: "In den großen ersten Jahren war sie ganz anders, als wir sie vom Fernsehen kennen. Wahnsinnig lustig, hat unglaubliche Geschichten erzählt. Es war ein richtiges Vergnügen, weil sie noch nicht ständig nachgedacht hat, ‚Kann mir das irgendwie schaden?‘ Und das war ein Privileg, sie so zu erleben."

  Christoph Dieckmann: "Sie hat sich dieses Surplus gespart, dieses Affige, dieses männlich Gockelnde. Sie wusste, was sie kann, was sie nicht kann. Sie hat keine Eiskunstläufer-Rhetorik. Sie hat aber gemerkt, dass es gut ankam, so wie sie war. Das mögen die Deutschen. Sie mögen vielleicht nicht unbedingt ihre Topffrisur von damals, aber sie mochten zum Beispiel Helmut Kohls Strickjackenhaftigkeit. Das heimelte an."

  Tilo Jung: "Merkeln - das ist die Vorgängerversion von Scholzen? …Das war ein bewusster Politikstil von ihr. Bloß nicht die Leute beunruhigen damit, dass man irgendwelche großen Sachen ändern will. Wir belassen es im Großen und Ganzen dann doch so und verwalten, was uns natürlich jetzt heutzutage um die Ohren fliegt. Dadurch haben wir die Modernisierung unseres Landes und die Transformation unseres Landes verpennt. Und das muss man ihr natürlich um die Ohren hauen."

  Carla Reemtsma: "Also es ist ja ganz skurril, weil ich erinnere mich nur an Merkel, als Bundeskanzlerin. Ich habe keine Erinnerungen an die Zeit vor Merkel und bin damit, glaube ich, auch sehr stark aufgewachsen mit einer Politik, die wenig Veränderung irgendwie hat. Und die Momente, wo Merkel mal präsent aufgetreten ist, wo ich auch das Gefühl hatte, man kann diese Person mehr greifen, sind ja ganz rar gesät."