Interview | Tiny House Projekt - "Man darf nicht vergessen, wie schwierig es ist, über Israel und Palästina zu sprechen"

Fr 16.02.24 | 18:01 Uhr
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Shai Hoffmann steht vor seinem Tiny House des Dialogs. (Quelle: rbb)
Video: Berlinale-Studio | 17.02.2024 | Bild: rbb

Der Aktivist und Moderator Shai Hoffmann steht ab Samstag für drei Tage mit seinem Tiny House auf dem Potsdamer Platz. Er will die Berlinale-Besucher dort über den Nahostkonflikt ins Gespräch bringen. Wie kann das gelingen?

rbb: Herr Hoffmann, warum ist es wichtig, über den Nahostkonflikt zu sprechen?

Shai Hoffmann: Ich bin seit dem 07. Oktober viel an Schulen unterwegs. Da habe ich immer wieder erlebt, dass es ein riesiges Unwissen und eine Unsicherheit gibt, über Israel und Palästina zu sprechen. Wir machen allerdings auch die Erfahrung, dass sich viele Menschen gar nicht mit dem Thema beschäftigen wollen, was auch okay ist. Aber für diejenigen, die sich damit beschäftigen wollen, wollen wir dieses Angebot hier auf der Berlinale schaffen.

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Archivbild: Shai Hoffmann, Sozialaktivist, steht vor dem Pop-up Projekt «Bus der Zukunft». (Quelle: dpa/Arnold)
dpa/Arnold

Shai Hoffmann ist Moderator, Sozialunternehmer und Aktivist. Er engagiert sich mit diversen Projekten zivilgesellschaftlich, etwa mit dem Bus der Begegnungen oder dem DemokratieBus. Hoffmann ist deutscher Jude mit israelischen Wurzeln. Mit seinem Tiny-House-Projekt "Über Israel und Palästina sprechen" ist er vom 17. bis 19. Februar auf der Berlinale.

Sie selbst sind deutscher Jude und haben Familie in Israel, ihre Kolleg:innen aus dem Projekt sind Palästinenser:innen. Mit welchen Fragen werden Sie in den Gesprächen konfrontiert?

Viele Menschen verstehen nicht, warum Kriege geführt werden. Sie kennen die Genese des Krieges nicht oder wissen nicht, woher dieser lange und tiefe Hass zwischen den beiden Völkern kommt. Da müssen wir immer sehr viel Aufklärungsarbeit leisten und sagen: Hey, schaut mal, ich als deutscher Jude mit israelischen Wurzeln und Ahmad oder Jouanna als Palästinenser:innen, wir hassen uns nicht. Wir zeigen, dass nicht alle Palästinenser:innen und Israelis oder Juden sich hassen. Allein, dass diese zwei vermeintlich verfeindeten Parteien zusammen unter einem Dach sitzen, ist ein ganz starkes Bild.

Fallen Ihnen diese Gespräche manchmal schwer?

Das sind wahnsinnige Emotionen, die auch in mir vorherrschen, weil ich Angst um meine Familie in Israel habe, aber genauso um die Zivilisten und Zivilistinnen im Gaza. Aber ich bin ein sehr neugieriger Mensch und ich liebe Menschen. Daher möchte ich verstehen, woher auch diese sehr schwierigen, manchmal vielleicht rassistischen oder antisemitischen Aussagen kommen. Das zu ergründen finde ich spannend.

Und man darf auch nicht vergessen, wie schwierig es hier in Deutschland ist, über Israel und Palästina zu sprechen, wie viel da mitverhandelt wird.

Wie meinen Sie das?

In Deutschland haben wir das historische Erbe des Holocausts, das ist die post-nationalsozialistische Dimension, mit der über den Nahostkonflikt gesprochen wird. Wir haben aber auch eine postmigrantische Gesellschaft, also Menschen, die aus allen Ländern der Welt nach Deutschland gekommen sind und gar nichts mit dem Holocaust zu tun hatten, diesen also nur noch in der Schule vermittelt bekommen. Und dann haben wir die postkolonialistische Dimension. Deutschland hat erst in den letzten Jahren damit angefangen, den Kolonialismus zu thematisieren und einzuordnen. Ich glaube, dass diese drei Dimensionen dazu führen, dass das Sprechen über Israel und Palästina in einem Spannungsverhältnis steht, das zu sehr viel Widerspruch und zu hitzigen Debatten führen kann. Aber die braucht es, weil wir eine Demokratie sind.

Die Berlinale hat angekündigt, den Dialog über Konflikte und Kriege dieses Jahr in den Mittelpunkt zu stellen. Wie bewerten Sie das?

Viele Menschen, auch im Team der Berlinale - aber auch die Besucher:innen - haben eine Meinung oder ein Gefühl zu Israel und Palästina. Und infolgedessen einen Raum zu schaffen, der zum Dialog mit Menschen einlädt, die eine Betroffenheitsperspektive haben, finde ich mutig. Und ich bin super dankbar, dass wir diesen Raum hier anbieten dürfen.

Wie nehmen Sie die Stimmung in der Kulturbranche generell seit dem siebten Oktober wahr?

Die Stimmung ist gelinde gesagt angespannt und auch angstvoll, es wird um Orientierung und Worte gerungen. Ich glaube, dass man bemüht ist, möglichst viele Perspektiven sichtbar zu machen und Dialogräume zu schaffen. Und die Frage ist halt: Wer beansprucht welche Räume für sich? Wer definiert Deutungshoheiten? Und dieses Spannungsverhältnis, das ich ja vorhin auch schilderte – zwischen der postnationalsozialistischen, der postmigrantischen, aber auch der postkolonialistischen Dimension – das führt gerade zu einer Neukalibrierung des Diskurses.

In der vergangenen Woche unterbrachen propalästinensische Aktivist:innen eine Performance im Hamburger Bahnhof, in der es um den Austausch verschiedener Perspektiven gehen sollte. Wie sicher oder unsicher fühlen Sie sich, sich mit dem Tiny House auf den Potsdamer Platz zu stellen?

Vor ein paar Wochen hätte ich gesagt, dass ich mich sicher fühle, und ich gar kein Problem damit habe, erkennbar mit diesem Tiny House und diesem Konzept irgendwo zu stehen. Nun hat sich leider aufgrund des Krieges, der mehr als 130 Tage anhält, einiges verhärtet in unserer Gesellschaft. Die Polarisierung hat zugenommen, die Debatten werden härter und teilweise auch gewalttätig, wie wir leider feststellen müssen. Ich habe ein mulmiges Gefühl, aber ich hoffe sehr, dass viele erkennen, dass dieses Haus nicht hier ist, weil wir irgendeine Position einnehmen. Sondern dass wir zum Dialog einladen wollen und eine ganz breite Palette an Grautönen aufmachen möchten.

Gibt es für Sie auch Positionen, bei denen der Dialog aufhört?

Aufgrund meiner Arbeit an Schulen habe ich sehr viel gehört in den letzten Monaten. Ich glaube, mich kann nicht so viel schocken. Deswegen bin ich auch tendenziell jemand, der erst mal allen zuhören möchte und zuhören wird. Aufhören würde es, wenn es um Gewaltverherrlichung geht. Ich habe auch schon erlebt, dass meiner Familie der Tod gewünscht wurde, weil sie Zionisten und Zionistinnen sind. Wenn so etwas geäußert wird, dann bewegt man sich nicht mehr auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Da würde ich die Reißleine ziehen.

Was wünschen Sie sich für die kommenden Tage?

Mein Wunsch wäre es, dass möglichst viele Menschen uns besuchen und uns mit Fragen löchern, sie ihre Meinung miteinbringen und bereit sind, sich auch auf unsere Perspektiven einzulassen. Und dieses Haus vielleicht mit mehr Wissen zu verlassen, das ihnen zu mehr Sprechfähigkeit verhilft. Am besten wäre es, wenn sie rausgehen und selbst zu Multiplikator:innen werden, diesen Gedanken des Dialogs weitertragen. Und zeigen: Wir müssen uns nicht unbedingt positionieren, sondern wir müssen miteinander sprechen und das Leid des Gegenübers akzeptieren und anerkennen. Einfach menschlich sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Marie Röder.

Das Tiny House

Sendung: rbbKultur - Das Magazin, 17.02.2024, 18:30 Uhr

4 Kommentare

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  1. 4.

    Ja, ein versöhnlicher Kommentar zum Nahostkonflikt kann nur beginnen mit "Die Araber sollten lernen...". Wer die Gewaltherrschaft der Hamas gewählt haben soll, bleibt auch Ihr Geheimnis. Ihre Lösung liegt dann am Ende darin, Menschen verhungern und verdursten zu lassen, aus Humanität. Terrorismus genauso wie unverhältnismäßige, völkerrechtswidrige Militäroperationen einfach gleichgültig billigen - Ihr Kommentar ist ein einziger Appell, Menschenrechte selektiv zu verteilen und sie damit ganz abzulegen.

    Empathie und Solidarität, genau wie Menschenrechte, sind aber nicht selektiv. Wen die Menschen in welchem Teil Palästinas wählen sollen, ist sowieso fraglich, da es dort ewig keine freien Wahlen gab. Hamas und Fatah sind unfähig und unwürdig, die Interessen der palästinensischen Bevölkerung zu vertreten, worauf man aber nicht warten kann in einem eskalierten Konflikt. Israel und Palästina brauchen beide Demokratie und Frieden, nicht noch mehr Gewalt und Gleichgültigkeit.

  2. 3.

    Die Araber in dem betroffenen Gebiet sollten lernen, dass inzwischen kein arabischer Staat mehr für sie in den Krieg gegen Israel zieht. Die Situation wird für sie von Krieg zu Krieg schlechter. während sie gleichzeitig die Hamas mit überwältigender Mehrheit gewählt haben. Vielleicht wird sie so schlecht, es gibt Meldungen, Ägypten plant eine riesige Zeltstadt, die dann wohl im benachbarten Ägypten entstehen würde. Der Ghaza-Streifen bietet für zwei Millionen Menschen keine Lebensgrundlage der Selbsternährung, wenn nicht die Bewohner des Ghaza Menschen von der speziellen arabischen UN Organisation ernährt werden würden, wäre der Druck für Veränderung da. Hier muss man langfristig ansetzen und die fast vollständige Alimentation zurück fahren. Hier muss auch Deutschland ansetzen, denn es zahlt jahrzehntelang eine große Summe an die spezielle UN Organisation, letztere steht immer mehr in der Kritik, dass es sich um eine verdeckte Hamas Organisation handelt.

  3. 2.

    Klar ist es schwierig, über Israel und den Ghazastreifen zu sprechen. Es hat zahlreiche Bemühungen gegeben, da irgendeinen Kompromiss zu finden. Aber solange Hamas dort im Ghaza-Streifen das Sagen hat, sehe ich keinen Kompromiss, der möglich wäre. Und ob Israel jetzt wirklich die Hamas militärisch ausschalten kann, bleibt abzuwarten. Denn die Hamas Forderung ist die Beseitigung es Staates Israel.

  4. 1.

    Einfach menschlich sein, das wollte ich bei einem Gespräch mit einem Freund den ich sehr schätze. Er ist gebürtiger Tunesier, lebt aber schon seit Jahrzehnten hier in dieser Stadt mit seiner Familie u.führt ein eigenes kleines Unternehmen. Da wir gute Nachbarn sind kommen wir des öfteren zusammen um uns gegenseitig auszutauschen. Seit dem 7.Oktober 2023 kippte die Stimmung merklich u.mein Freund war nur noch zornig, wütend über die Angriffe der israelischen Regierung im Gaza Streifen. Er fragte mich ohne Umschweife auf wessen Seite ich denn stehen würde und als ich ihm sagte, es sei für mich momentan sehr schwierig darauf zu antworten bohrte er weiter nach. Dann sagte ich ihm offen, dass ich auf Seiten der Jüdischen Bevölkerung stehe, aber zugleich die Israelische Regierung verurteile für derartig heftige Angriffe. Zudem bin ich überzeugt davon das die Hamas eine terroristische Organisation ist. Von da ab brach er den Kontakt zu mir ab. Aber ich stehe zu meiner Aussage.

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