Schriftstellerin Susanne Schädlich im "Written Archive" in Reading bei der Recherche zu Hörerbriefen aus der DDR. | rbb/ARD
Schriftstellerin Susanne Schädlich im "Written Archive" in Reading bei der Recherche zu Hörerbriefen aus der DDR. | Bild: rbb/ARD

Geschichte im Ersten - London Calling - Briefe aus dem Kalten Krieg

„Briefe ohne Unterschrift“ hieß eine BBC-Radio-Sendung, die sich in deutscher Sprache speziell an Hörer in der DDR richtete. Fast 25 Jahre lang, von Anfang der 50er Jahre bis 1974, erfreute sie sich großer Beliebtheit. Hörerinnen und Hörer aus Ostdeutschland konnten anonym an die Redaktion schreiben, ihre alltäglichen Sorgen und Probleme, aber auch ihre politische Meinung.

Die Sendung mit ihren Tausenden von Briefen war nahezu vergessen, bis die deutsche Schriftstellerin Susanne Schädlich sie in einem BBC-Archiv vor wenigen Jahren wiederentdeckte. Die historische Dokumentation des rbb in Koproduktion mit BBC und NDR erzählt die Geschichte eines kalten Propagandakrieges zwischen Ost und West.

Mit der Sendung "Briefe ohne Unterschrift" entwickelte sich ein Katz- und Maus-Spiel zwischen BBC und DDR-Staatssicherheit um Deckadressen und Codewörter. Flächendeckende Postkontrollen in der gesamten DDR führten zur Verfolgung von Briefeschreibern, denen drastische Gefängnisstrafen drohten. Tausende DDR-Bürger schrieben an die BBC und nutzten dafür ein Deckadressensystem in West-Berlin. Die Stasi sah in der britischen Radiosendung eine Hetzsendung des Westens, mit der die "politisch-ideologische Zersetzung der DDR-Bürger" vorangetrieben werden sollte. In manchen Jahren gelangten bis zu 3.000 Briefe durch die immer weiter anwachsende Postkontrolle der Stasi bis nach London. Die Schreiber, Männer, Frauen und Kinder, kamen aus allen gesellschaftlichen Bereichen der DDR.

Bis heute gibt es keine genauen Zahlen, wie viele Briefeschreiber verhaftet und verurteilt wurden. Einer von ihnen war Karl-Heinz Borchardt aus Greifswald, der als 16-jähriger Schüler begann, an die BBC zu schreiben, um seiner Empörung über die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 Luft zu verschaffen. Die Stasi fing seine Briefe jedoch ab und konnte ihn mit Hilfe von Blut- und Speichelproben sowie Handschriftenvergleich ermitteln. Er wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Hörerschaft von "Briefe ohne Unterschrift" war begeistert vom Moderator der Sendung: Austin Harrison – populär, aber auch exzentrisch und bis zu seinem Tod rätselhaft. Für die Stasi war der britische Journalist eine zentrale Figur im Kampf gegen westliche Meinungmache im Radio, sie sahen ihn als einflussreichen Staatsfeind, der in Wirklichkeit ein Agent des britischen MI6 sei. Denn Harrison fuhr regelmäßig in die DDR, vor allem zur Leipziger Frühjahrsmesse, wo er rund um die Uhr beschattet wurde. Einzigartiges Überwachungsmaterial vermittelt einen Einblick in die Akribie der Stasi-Schnüffler. Ihr größter Erfolg war ein IM, den sie sechs Jahre lang auf Austin Harrison ansetzten und der seine Berichte auf Tonband protokollierte.

Nach intensiven Recherchen in Londoner Archiven kann der Film bislang unbekannte Dokumente zeigen, die ein differenziertes Bild vom populären Radio-Moderator und seiner Sendung ermöglichen. Der German Service der BBC hat offenbar über Jahrzehnte eng mit einer geheimen Propaganda-Abteilung des britischen Außenministeriums zusammengearbeitet. Austin Harrison schrieb ausführliche Berichte über seine DDR-Besuche an das "Foreign Office", und diese wurden auch an die bundesdeutsche Regierung in Bonn weitergeleitet.

Bisher unveröffentlichte Dokumente, Fotos und Tonbandaufzeichnungen sowie Archivmaterial aus britischen und deutschen Quellen vermitteln einen intensiven Eindruck von der Propaganda-Auseinandersetzung zwischen Ost und West im Radio.

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Christoph Müller
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