Prof. Dr. Antje Boetius, Direkorin des Alfred-Wegener-Instituts (Bild: rbb/AWI/Esther Horvath)
Prof. Dr. Antje Boetius Direkorin des Alfred-Wegener-Instituts | Bild: rbb/AWI/Esther Horvath

Expedition Arktis - Ein Jahr. Ein Schiff. Im Eis. - Die Expedition

Die Arktis – eine Welt im Wandel

Mit der MOSAiC-Expedition haben wir uns auf die Spuren des norwegischen Polarforschers Fridtjof Nansens begeben, der vor mehr als 125 Jahren die erste Eisdrift durch den Arktischen Ozean wagte. Zu seinen wissenschaftlichen Durchbrüchen gehörte die Erkenntnis, dass der Nordpol in einem eisbedeckten, tiefen Ozean liegt, und dass dessen Meereis mit Strömungen bis in das europäische Nordmeer driftet. Nansen plädierte damals für international einheitliche physikalische Temperaturmessungen, um der Zukunft eine Klima-Referenz zu bieten. Wir haben diese Expedition jetzt zum ersten Mal mit einem modernen Forschungseisbrecher wiederholt. So konnten wir erstmals auch dem arktischen Winter dringend notwendige Daten abringen – mit den besten Messinstrumenten, die die Welt heute zu bieten hat. Wir waren dabei, als sich das Eis im Frühsommer und Sommer 2019 und 2020 schneller zurückzog als jemals zuvor. Wir wissen, dass es nur noch halb so dick ist wie zu jener Zeit, als Nansen mit seinem Segelschiff Fram driftete. Während des Winters haben wir etwa 10 Grad Celsius höhere Temperaturen gemessen als Nansen damals. All dies zeigt, in welch schnellem Wandel sich die Arktis und ihr Klima durch die menschengemachte Erderwärmung befinden. Was wir heute dort nicht messen, können wir schon in wenigen Jahren nicht mehr nachholen – da die Arktis dann eine andere Welt sein wird.

Prof. Dr. Antje Boetius, Direktorin Alfred-Wegener-Institut

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Gespräch mit Prof. Dr. Markus Rex, Expeditionsleiter MOSAiC

Das Team bei der ersten Schollenbegehung (Bild: rbb/AWI/UFA Show & Factual)
Expeditionsleiter Prof. Dr. Markus Rex (Mitte) | Bild: rbb/AWI/UFA Show & Factual

Was hat Sie wissenschaftlich gesehen am meisten überrascht?

Der atemberaubende Rückgang des arktischen Meereises! Wir sind nördlich von Grönland zum Nordpol vorgestoßen - durch weite Strecken offenen Wassers fast bis zum Pol, wo eigentlich dickes, teil mehrjähriges Eis liegen sollte. Letztlich waren nur noch 3,3 Millionen Quadratkilometer der Arktis eisbedeckt, so wenig wie im historischen Minimum vom September 2012. Noch Anfang der 1980er Jahre waren es in diesem Monat knapp 8 Millionen Quadratkilometer. Außer 2012 waren es zuvor nur im vergangenen Jahr weniger als 4 Millionen Quadratkilometer. Was 2012 noch als spektakuläre Anomalie erschien, wird jetzt bereits zur Normalität.

Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse erwarten Sie von der Expedition?

Die Expedition lässt uns die Prozesse hinter dem dramatischen Wandel der Arktis verstehen. Hier sind die Atmosphäre, Schnee und Eis, Ozean, Ökosystem und Biogeochemie eng aneinandergekoppelt. Wir haben über 100 komplexe Parameter durchgehend ganzjährig aufgezeichnet, um diese Zusammenhänge zu entschlüsseln. Wir können die Prozesse jetzt in unseren Klimamodellen nachbauen – eine wichtige Voraussetzung für wissensbasierte gesellschaftliche Entscheidungen über die anstehenden Klimaschutzmaßnahmen.

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Expedition?

Unser gesamtes Konzept zur Versorgung der Expedition im Eis der Zentralarktis und zum Austausch der Expeditionsteilnehmer ist in wenigen Tagen vollständig auseinandergeflogen. Die Expedition stand zwischenzeitlich vor dem Scheitern. Wir mussten in wenigen Wochen alles neu erfinden. Die deutschen Schiffe Maria S. Merian und FS Sonne sowie die russische Akademik Tryoshnikov haben kurzfristig die Aufgaben übernommen, die wegen der Pandemie nicht wie geplant ablaufen konnten. Zudem haben wir den Expeditionsablauf umgestaltet, die Expedition bei gleicher Länge in fünf statt in sechs Phasen gegliedert und die Wissenschaftsteams entsprechend umgebaut. Es war eine Herkulesaufgabe, aber sie ist gelungen. Wir konnten weitermachen, während praktisch alle anderen größeren Forschungsexpeditionen abgebrochen werden mussten. Das macht uns überglücklich.

Prof. Dr. Markus Rex

Bärenbesuche sind häufig und die Sicherheitsvorkehrungen groß. | rbb/AWI/Esther Horvath
Bärenbesuche sind häufig und die Sicherheitsvorkehrungen groß. | Bild: rbb/AWI/Esther Horvath

MOSAiC Meilensteine / Timeline

20. September 2019 | Aufbruch

Nach einem Jahrzehnt der Vorbereitungen ist es soweit: um 20:30 Uhr verlässt der deutsche Eisbrecher Polarstern den Hafen im norwegischen Tromsø. An Bord befindet sich das erste Expeditionsteam. Begleitet vom russischen Eisbrecher Akademik Fedorov nehmen sie Kurs auf die zentrale Arktis.

4. Oktober 2019 | Beginn der Eisdrift

Nach nur wenigen Tagen finden Wissenschaftler der MOSAiC-Expedition bei 85 Grad Nord und 134 Grad Ost eine Eisscholle, auf der sie das Forschungscamp für die einjährige Drift durch das Nordpolarmeer aufbauen. Damit ist einer der wichtigsten Meilensteine der Expedition bereits vor dem geplanten Termin und vor Einbruch der Polarnacht erreicht. Die Suche mit Hilfe von Satelliten, zwei Eisbrechern, Helikopterflügen und Erkundungsmissionen auf dem Eis war dennoch eine enorme Herausforderung – auch, da es nach dem warmen Sommer kaum ausreichend dicke Schollen in der Ausgangsregion der Expedition gibt.

13. - 18. Dezember 2019 | Schichtwechsel in der Polarnacht

Mit dem ersten Austausch von Team und Schiffscrew geht die Expedition in die nächste Phase, um dringend benötigte Forschung am arktischen Klimasystem durchzuführen. Das Team des ersten Fahrtabschnitts, geprägt durch dünnes Meereis, zieht erste Bilanz: Trotz extremer Herausforderungen fließen die wissenschaftlichen Daten zuverlässig. Das neue Team sieht nun der dunkelsten und kältesten Forschungsperiode entgegen: dem bislang unerforschten arktischen Winter.

24. Februar - 7. März 2020 | Zwei Rekorde am Nordpol

Schon kurz nach Rückkehr vom letzten Teamwechsel sticht der Versorgungseisbrecher Kapitan Dranitsyn erneut in See und bringt das Team des dritten Fahrtabschnitts in die Zentralarktis. Es ist ein Austausch mit historischen Dimensionen: Noch nie ist ein Schiff so früh im Jahr mit eigenem Antrieb so weit in den Norden vorgestoßen. Die Kapitan Dranitsyn erreicht am 26. Februar mit 88°28,4‘ Nord ihre nördlichste Position, bevor sie zwei Tage später an der driftenden Polarstern ankommt. Zwischenzeitlich bricht jedoch auch der deutsche Forschungseisbrecher einen Rekord: Am 24. Februar 2020 erreicht er während der Drift eine Position von 88°36´Nord, nur noch 156 Kilometer vom Nordpol entfernt. Nie zuvor war ein Schiff im Winter so weit im Norden.

Mai 2020 | Ungeahnte Herausforderungen

Im Frühjahr 2020 nimmt die Corona-Pandemie die Welt in den Griff. Grenzschließungen verhindern zunächst, dass wissenschaftliche Messflüge von Spitzbergen zur Polarstern starten können, und schließlich auch die Austauschflüge, die das neue Team zur Polarstern bringen sollten. Mit großem Einsatz arbeitet das MOSAiC-Team an Land an einem Alternativplan: Schließlich führen die deutschen Forschungsschiffe Maria S. Merian und Sonne, ausgehend von Bremerhaven, den nächsten Austausch durch. Zuvor gehen die Teilnehmenden des nächsten Fahrtabschnitts in eine kontrollierte Quarantäne und werden mehrfach auf Corona getestet. Da Maria S. Merian und Sonne keine Eisbrecher sind, muss die Polarstern die Scholle vorübergehend für einen Crew-Austausch bei Spitzbergen verlassen.

8. Juni 2020 | Zurück zur Scholle

Der Austausch und damit ein einzigartiges Treffen der deutschen Forschungsschiffe ist abgeschlossen. Polarstern macht sich wieder auf den Weg nach Norden. Am 17. Juni kommt Polarstern mit dem vierten Team bei 82,2 °Nord und 8,4 °Ost zurück zur alten MOSAiC-Scholle und nimmt die Forschungsarbeiten wieder auf.

30./31. Juli 2020 | Time to Say Goodbye

Nach genau 300 Tagen Drift hat die MOSAiC-Scholle ihr Lebensende erreicht. Nahe der Eiskante bricht sie in der Nacht auf den 31. Juli 2020 auseinander. Bereits zwei Tage zuvor hat das MOSAiC-Team mit dem Abbau des Forschungscamps begonnen. Doch die Expedition ist damit noch nicht beendet.

10.-13. August 2020 | Letzte Ablöse an der Eiskante

In Bremerhaven brechen die Teilnehmenden des fünften und letzten Fahrtabschnitts auf. Diesmal ist es das russische Forschungsschiff Akademik Tryoshnikov, das kurzfristig unter den weiterhin erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie einspringt und den letzten Austausch übernimmt. Nach nur fünf Tagen Fahrt trifft das Schiff an der Eiskante auf die Polarstern, die nach flinker, geübter Übergabe noch einmal weit gen Norden aufbricht, um die Gefrierphase des Eises im Spätsommer zu untersuchen.

19. August 2020 | MOSAiC am Nordpol

Auf dem Weg nach Norden erreicht die Polarstern um 12:45 Uhr den Nordpol – nach nur sechs Tagen Fahrt durch das sommerliche Meereis von der nördlichen Framstraße bis zum Pol. Die Eissituation am Pol im Sommer 2020 veranschaulicht die dramatischen Veränderungen der Arktis. Vor Ort stellt sich heraus, dass das Meereis großflächig geschmolzen ist. Die Situation ist für diese Region historisch. Normalerweise hält man sich aus der Region nördlich von Grönland besser fern, da hier das dickere und ältere Eis liegt und kaum ein Durchkommen ist.

22. August 2020 | Die MOSAiC-Scholle 2.0

Nach kurzer Suche findet die Expedition ein neues Zuhause: Die MOSAiC-Scholle 2.0 wird bei ungefähr 87 °43‘ Nord und 104 °30‘ Ost entdeckt, nur 11 Seemeilen von der Route entfernt, die die Original-Scholle im Januar 2020 genommen hat.

30. August 2020: Start der MOSAiC-Flugkampagne

Die beiden deutschen Polarforschungsflugzeuge Polar 5 und Polar 6 starten von Spitzbergen aus zu ihren ersten Arktis-Messkampagnen des Jahres. Die wissenschaftlichen Messflüge bis weit in die zentrale Arktis hinein dienen der Erforschung von Atmosphäre und Meereis und ergänzen das umfangreiche Forschungsprogramm der MOSAiC-Expedition. Im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen die Wolkenbildung über dem Arktischen Ozean sowie die Frage, ob das im Rahmen der MOSAiC-Expedition untersuchte Meereis eher dicker oder dünner war als in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten und wie sich die überdurchschnittlich hohen Sommertemperaturen auf die arktische Eisdecke ausgewirkt haben.

12. Oktober 2020: Heimkehr

Nach über einem Jahr kehrt Polarstern von der MOSAiC-Expedition in ihren Heimathafen nach Bremerhaven zurück. Das Expeditionsteam bringt Proben und Daten mit, von denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt noch viele Jahre profitieren werden.

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