Stenotypistin, Mitglied der NSDAP
Brigitte Eickes Tagebuch beginnt im Jahr 1942. Sie ist 15 Jahre alt und macht grade eine Lehre in einer Textilwarenfirma. Ihr Vater ist früh im Krieg gestorben. Die junge Stenotypistin lebt gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Hund Kuzi in Berlin. Ihr Freund Kurt Schulze wird gegen Ende des Krieges als Soldat in die Wehrmacht eingezogen. Brigitte ist 1945 Mitglied in der NSDAP und im Bund deutscher Mädel.
Tagebuchauszüge
Sonntag, Silvester. Mit Kurt in den Grunewald gefahren. Es war ein herrlicher Spaziergang. Es ist alles tief verschneit. Wir sind noch eingekehrt und haben eine Molle getrunken. Um sechs Uhr waren wir zu Hause und haben mit Schulzes gefeiert.
Es war der Abschluss eines ereignisreichen Jahres. Wie wird das nächste Jahr werden? Wir haben Angst vor 1945.
Vierter Januar. Fliegeralarm von Viertel vor zwölf bis Viertel vor eins. Es hat mächtig gebummst und war wieder ein schwerer Angriff.
Kurt hat mich abgeholt, das letzte Mal. Er hat nur mich mitgenommen zum Bahnhof.
Wer weiß, wann wir uns wiedersehen.
Wir mussten früh antreten und zum Rosenthaler Platz zum Barrikaden schippen. Wir waren noch nicht lange bei der Arbeit, waren alle recht gut gelaunt, wir Jungschen waren am singen, da kam Fliegeralarm.
Zwei Stunden hatten wir heute Stromsperre. Von Kurt habe ich die ersten zwei Briefe erhalten. Fliegeralarm von Viertel vor neun bis halb zehn.
Um den Alex brennt es wie toll. Wir haben Zuhause kein Licht und kein Wasser.
Heute hat unser Führer Geburtstag. Wir haben schon Angst vor dem Tag. Man hört schon die Artillerie. Herr Doktor sagt, wir sollen Vertrauen und keine Angst haben, der Führer macht ein Experiment und ganz zum Schluss wendet sich doch alles noch zum Guten.
Mutti und ich haben unseren Rucksack gepackt, wenns mal schnell losgehen sollte. Jeder hat die nötigsten Papiere, zwei Garnituren Wäsche, Seife, Schuhe, Kleid, Handtuch und so weiter. Vielleicht werden wir nach Russland verschleppt.
Ich habe heute aus der Winsstraße 16, aus dem großen Bassin, Wasser geholt, es ist ganz mistig, aber wir wollen unsere Weckgläser noch nicht angreifen, vielleicht kommt es noch schlimmer. Täglich hört man von neuen Toten, die beim Wasserholen draufgegangen sind.
Ich habe solche Angst. Lange leben wir ja nicht mehr. Ich bestimmt nicht. Was wird mein lieber Kurt machen? Ich werde wohl alle meine lieben Soldaten nicht wiedersehen!
Wir haben uns auf die Socken gemacht und sind zu Eickes gelaufen. Es liegen viele Tote auf der Straße und aufgedunsene Pferdeleiber. Es sieht furchtbar aus.
Neunter Mai. Mittwoch. Wir mussten alle mit Eimern antreten und die Barrikade an der Kirche wegräumen, es war ein großes Stück Arbeit und die Russen haben aufgepasst. Es heißt, wir müssen unsere Radioapparate abgeben, sonst machen wir uns strafbar. Nicht nur Radios, sondern auch Fotoapparate. Nach dem Mittagessen bin ich mit Mutti zur Firma gegangen. Nach alter Gewohnheit, wie ich Angestellte unserer Firma im Hof stehen sah, sage ich dummes Ding doch: Heil Hitler.
17. Mai. Bei Schöps Radio gehört. Um 10 Uhr ins Geschäft. Heute waren auch ein paar Mädchen von uns da. Charlotte Henning ist mehrmals vergewaltigt worden und Edith Gasenza 5 mal. Wir haben uns so alle Erlebnisse berichtet.
Frau Schöbs kam rauf und sagte, dass ab morgen alle Parteigenossen antreten müssen und arbeiten. Nun wird‘s wohl losgehen, morgen um 6 Uhr in der Christburger Straße. Wenn es nur beim arbeiten bliebe, möchte man es eben hinnehmen, aber man spricht viel von abtransportieren und internieren. Jetzt beginnt die Zeit der Buße für meine Parteizugehörigkeit.
Früh um 6 Uhr in die Jablonskistraße auf dem Trümmerberg Schutt geschleppt. Eimerkette. Wir haben schwer ran müssen. Mit Lotti Martin war ich da, sie musste mit, weil ihr Vater Parteigenosse war. Um 10 Uhr war ich Zuhause, das sind 16 Stunden harte Arbeit. Wenn das so weitergeht, werden viele schlapp machen von den Frauen. Es ist furchtbar, wie wir Deutschen uns erniedrigen müssen.
Sonnabend. Heute ist Nazi-Sondereinsatz. Um 7 Uhr standen wir wieder wie die Sträflinge in Reih und Glied. Dann kam ein Jugendleiter und sagte, alle unter 20 Jahren sollen raustreten, die kommen zum Jugendlicheneinsatz. Dann kamen zwei junge Männer und sammelten die Arbeitskarten ein. Auf meiner war noch ein dickes N drauf und der Horst sagte: Nazis können wir nicht gebrauchen. Aber der Jugendleiter sagte, alles hätte seine Ordnung und ich konnte mir eine andere Karte ausschreiben lassen. Ich sollte nun nachhause gehen und um zwei Uhr wieder zur Stelle sein. Da sollte ich zu einer Sitzung der "Antifaschistischen Jugend" und Protokoll aufnehmen.
Im neuen Büro der Antifa macht das Arbeiten wirklich Spaß. Ich habe den Eindruck, sie wollen dasselbe wie die Nazis, nur unter anderem Namen. Es wird das Gleiche verlangt, das Gleiche geredet. Sie sagen, die besten Jugendlichen im Arbeitseinsatz, die sich vorzüglich als Einsatzleiter eignen, sind immer wieder zum größten Teil HJ-Führer.
Frau Schulz hat von Kurt einen Brief bekommen. Kurt lebt also, Gott sei Dank! Ich bin froh!
Früh um 7 mit Mutti nach Borgsdorf in den Wald nach Holz holen. Es war eine furchtbare Schlepperei und der Waldaufseher hätte uns bald unser Handwerkszeug weggenommen, weil wir einen Stamm sägen wollten. Wir haben zwei große Säcke und noch Rucksack und Tasche voll und mussten zur Bahn noch rennen.