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Egal, wann es geschieht – mitten bei der Arbeit im Stall, in der Schlosserei, im Büro, beim Abendessen oder im Urlaub – fast immer kommt ein Schlaganfall plötzlich und unerwartet. Viele Betroffene werden schnell und effizient versorgt. Doch mitunter werden die Anzeichen eines Schlaganfalls unterschätzt und falsch gedeutet. Der Film begleitet Schlaganfall-Patienten aus Berlin und Brandenburg.
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Man kennt ihn unter vielen Namen, den Schlaganfall: Apoplex, Insult, Stroke oder Hirninfarkt. Hierzulande gibt es jedes Jahr knapp 270.000 Schlaganfälle, etwa 200.000 davon sind erstmalige Ereignisse. Jährlich sterben etwa 63 000 Menschen daran. Etwa jeder fünfte Patient innerhalb von vier Wochen, mehr als ein Drittel innerhalb eines Jahres. Rund die Hälfte der überlebenden Schlaganfall-Patienten bleibt ein Jahr nach Ereignis dauerhaft behindert und ist auf fremde Hilfe angewiesen. Fast eine Million Bundesbürger leiden an den Folgen dieser Erkrankung.
Damit ist der Schlaganfall hierzulande die dritthäufigste Erkrankung überhaupt. Weltweit ist der Schlaganfall nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Todesursache Nummer zwei mit etwa 5,5 Million Todesfällen. Der Schlaganfall zählt außerdem zu den teuersten Erkrankungen in den westlichen Ländern. Denn die Patienten müssen besonders intensiv versorgt und gepflegt werden. Mindestens sechs Milliarden Euro geben Krankenkassen und -versicherungen hierzulande Jahr für Jahr für Diagnose, Therapie und Rehabilitation für diese Indikation aus.
Was ist ein Schlaganfall?
Der Schlaganfall – er kommt plötzlich und unerwartet, auf einen Schlag eben. Manchmal kündigt er sich an, mit unspezifischen Anzeichen wie starken Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Er entsteht, wenn im Gehirn Gefäße verstopfen, reißen oder platzen. Die Folgen: Das Hirngewebe bekommt nicht mehr genug Sauerstoff und Nährstoffe, die Nervenzellen sterben nach und nach ab, Hirnfunktionen setzen aus.
In vier von fünf Fällen verschließt sich plötzlich ein Gefäß im Gehirn. Entweder setzt sich ein Gerinnsel fest, das aus dem Herzen oder dem restlichen Blutkreislauf stammt. Oder eine Plaque verstopft das Gefäß. Erhöhte Blutfettwerte oder Gefäßerkrankungen begünstigen diese Ablagerungen. Seltener reißt eine angeborene Aussackung eines Hirngefäßes. Hirnchirurgen können eine solche Deformation zwar operativ entfernen, wenn sie diese rechtzeitig entdecken. Eine solche Operation ist jedoch immer mit Risiken verbunden.
Wird das Hirngewebe nicht mehr durchblutet, geht es ums Überleben: Mit dem Zusammenbruch zählt jede Minute. Es ist ein Kampf gegen die Zeit, gegen den Untergang von Hirngewebe, von Nervenzellen, von Lebensfunktionen. Keiner der Betroffenen noch seine Angehörigen wissen in diesen Minuten des Geschehens, welches Leben sie danach erwartet. Je nachdem, welches Hirnareal betroffen ist, können wichtige Funktionen ausfallen: der Arm ist gelähmt, die Sprache verwaschen, der Blick getrübt – manchmal für den Rest des Lebens.
Versorgung von Schlaganfall-Patienten: Vorteile der Stroke Unit
Schlaganfall-Patienten müssen umgehend in eine Klinik gebracht werden, in der die Ärzte rund um die Uhr eine schnelle und sichere Diagnose stellen können. Dazu bedarf es vor allem diverser Bildgebungsverfahren. Noch besser sind Kliniken, die mit einer Schlaganfall-Spezialabteilung ausgestattet sind. Mittlerweile gibt es bundesweit derzeit 276 solcher zertifizierten Stroke Units. 107 von ihnen sind überregionale Einrichtungen, die technisch und personell noch besser ausgestattet sind. Die Experten dort unterstützen die Kollegen der weiteren 159 regionalen Spezialabteilungen bei der Behandlung. Erreicht der Patient eine dieser Stroke Units innerhalb von zwei bis vier Stunden nach dem Ereignis, hat er durch das rasche Eingreifen der Ärzte gute Chancen, dass sich die Symptome ganz oder zumindest deutlich zurückbilden.
Während die Schlaganfallzentren in Großstädten wie Berlin dicht an dicht liegen, sind sie auf dem Land wie in Brandenburg weitläufig verteilt. Auf dem Weg bis zur nächsten Stroke Unit vergeht oft wertvolle Zeit. Dann stirbt durch die fehlende Blutzufuhr das Hirngewebe ab. Das Hirnwasser kann nicht mehr abfließen. Schwellungen und Druck zerstören das Hirngewebe unwiederbringlich. Viele Versorger in bundesweit ländlichen Regionen sind daher bereits telemedizinisch mit einer Stroke Unit verbunden.
In der Stroke Unit ist die schnelle Diagnostik möglich: Ist es tatsächlich ein Schlaganfall? Hat der Patient ein verstopftes Gefäß oder ein geplatztes Aneurysma? Das lässt sich am besten im CT unterscheiden. Verstopft ein Thrombus, also ein Blutgerinnsel im Gehirn, leiten die Neurologen sofort die sogenannte Lyse ein. Bei diesem Verfahren wird ein Medikament in den Arm gespritzt, welches das Blutgerinnsel auflösen soll.
Eine weitere, neue Therapiemöglichkeit ist das neuroradiologische Katheterverfahren. Es kommt zum Einsatz, wenn der Thrombus sehr groß oder sehr hartnäckig ist und sich medikamentös nicht auflösen lässt. Hierbei schieben die Ärzte über eine dünne Katheter-Hülse ein winziges Fanggitter zum Gerinnsel im Gehirn vor. Der Thrombus wird eingefangen und abtransportiert. Wenn das Gefäß verengt ist, dehnen die Neuroradiologen die Engstelle mitunter mit einem Ballon auf, bis wieder Blut in die bisher unterversorgten Hirngefäße strömt. Die Wirksamkeit der sogenannten endovaskulären "mechanischen Thrombektomie (MTE)" wurde durch mehrere aktuelle Studien bei schweren Schlaganfällen als Ergänzung der Lyse-Therapie belegt.
Schlaganfall-Experten verschiedener Fachgesellschaften begrüßen die neue Therapie. Da sie jedoch besondere Anforderungen an die behandelnden Ärzte und die Ausstattung der Kliniken stellt, sollte die Methode den Fachleuten zufolge ausschließlich in den von der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) zertifizierten Stroke Units und von zertifizierten Neuroradiologen und Radiologen durchgeführt werden.
Wichtig ist die umfassende Nachsorge
Je schneller die Patienten versorgt werden, desto besser geht es ihnen später. Doch manchmal bleiben trotz einer umfassenden mehrgleisigen Akutversorgung zumindest kleinere Schäden zurück. Die Patientin im Film, Susanne L. aus Berlin, hat nach ihrem Schlaganfall noch Krämpfe im Fuß – vor allem bei Aufregung und Stress. Das führt dazu, dass sie nicht richtig laufen kann. Solche spastischen Lähmungen lassen sich mit Botulinumtoxin behandeln, besser bekannt unter dem Markennamen Botox. Botulinumtoxin, eigentlich ein Nervengift, wird dabei exakt dosiert in die verkrampfte veränderte Muskulatur injiziert. Auch die Feinmotorik in der Hand auf der Seite des Schlaganfalls ist eingeschränkt. Doch Physio- und Ergotherapie bringen der Patientin nach wie vor winzige Fortschritte.
Ist wertvolles Hirngewebe unwiederbringlich zerstört, bleiben Schlaganfall-Patienten auch nach der Therapie in einer Reha-Klinik schwer gezeichnet. Je nach Ausmaß der Zerstörung im Gehirn kann eine Körperseite gelähmt bleiben. Betroffene können nicht mehr (deutlich) sprechen oder nur noch auf einem Auge sehen. Sie sollten die Rehabilitation deshalb weiter fortführen. Selbst Jahre nach einem schweren Schlaganfall können noch Besserungen eintreten. Das ist wissenschaftlich belegt.
Unser Gehirn ist das ganze Leben lernfähig und in der Lage, neuronale Vorgänge durchzuführen und damit potentiell bestehende Defizite zu kompensieren. Auch unsere Muskulatur und unser Gelenksystem haben in einem gewissen Umfang die Möglichkeit, dazuzulernen, wenn sie trainiert werden. Daten beispielsweise aus skandinavischen Ländern zeigen, dass sich Lähmungserscheinungen wie auch Sprachfunktionen verschlechtern, wenn im Langzeitverlauf kein weiteres Training stattfindet.