Interview | Hauterkrankung Acne inversa - "Für langfristige Erfolge müssen wir meist operieren"
Vom 26. bis 29. April 2017 treffen sich Hautärzte zum Jahreskongress in Berlin. Hier ist auch Zeit, auf seltenere Phänomene unserer äußeren Hülle zu blicken. Eines davon: die Acne inversa - eine chronisch verlaufende Akne, die für Betroffene meist noch mehr ist als eine schmerzhafte Erkrankung, wie Dr. Gerd Gauglitz im Interview erklärt.
Herr Dr. Gauglitz, Akne ist eine der häufigsten Hauterkrankungen, neun von zehn Erwachsenen sind mindestens einmal im Leben betroffen. Es gibt auch seltenere Akneformen. Welche sind das?
Tatsächlich sehen wir in der Praxis auch andere Akne-Erkrankungen, die jedoch viel rarer sind. Die Acne tarda oder verspätete Akne trifft vor allem Frauen, die älter als 25 Jahre sind. Steroide, wie sie Bodybuilder zum Muskelaufbau schlucken, Kortison, Immunsuppressiva und bestimmte Antibiotika lösen eine Acne medicamentosa aus. An einer Acne inversa erkranken Männer und Frauen. Sie leiden unter entzündeten Geschwüren, die vor allem in Beugeregionen auftreten, also unter den Achseln, in der Leiste oder im Genitalbereich.
Entsteht Akne immer auf die gleiche Art und Weise?
Das kann man so sagen. Die Talgdrüsen produzieren infolge eines Testosteronüberschusses vermehrt Talg. Der überschüssige Talg kann nicht abfließen, weil der Ausgang mit Hornschuppen verstopft ist. Sie sind die Folge einer Verhornungsstörung. Die Talgdrüsen erweitern sich zu Zysten und werden mit Bakterien infiziert. Die Drüsen befinden sich übrigens entlang einer Art Säckchen, aus dem die Haare wachsen.
Welche Besonderheiten hat die Acne inversa?
Eine herkömmliche Akne heilt bei entsprechender Therapie innerhalb weniger Jahre ohne oder mit geringen Hautveränderungen aus. Die Acne inversa verläuft chronisch. Ohne Behandlung zerstört sie nach und nach die Haut einschließlich des Unterhautfettgewebes. Zwischen den entzündeten Haarfollikeln bilden sich Gänge, sogenannte Fisteln. Sie bereiten den Patienten starke Schmerzen. Die Entzündungen heilen unter Narbenbildung ab.
Der schwere Verlauf ist sicherlich auch seelisch belastend, oder?
Ja, viele Betroffene fühlen sich in ihrer Lebensqualität stark eingeschränkt. Die Krankheit ist ihnen unangenehm; sie schämen sich dafür. Sie trauen sich in kein Schwimmbad und in keine Sauna. Manche fühlen sich so beeinträchtigt, dass bei ihnen eine dauerhafte Behinderung anerkannt wird.
Gibt es Risikofaktoren für eine Acne inversa?
Vier von fünf Acne inversa-Patienten rauchen. Nikotin scheint die Vermehrung von Bakterien zu begünstigen, welche die Talgdrüsen infizieren. Durch Übergewicht liegen Hautfalten aufeinander, die feucht sind und sich dadurch leichter infizieren und entzünden. Enge Kleidung reizt die Haut ebenso wie eine Rasur oder bestimmte Inhaltsstoffe in Kosmetika. Es scheint auch eine genetische Komponente zu geben, denn mitunter sind mehrere Leute in einer Familie betroffen. Ihre Haut kann Erreger nicht so gut abwehren. Ein Diabetes schwächt die Immunabwehr zusätzlich. Hohe Testosteronwerte fördern die Erkrankung, indem sie die Talgproduktion anregen und die Talgdrüsengänge verstopfen.
Die Erkrankung tritt an besonders unangenehmen Stellen auf, unter den Achseln und im Genitalbereich. Warum entzünden sich gerade diese Talgdrüsen?
Trotz jahrelanger Forschungen ist das noch immer ein ungelöstes Rätsel. Wir gehen davon aus, dass mehrere Faktoren zusammentreffen müssen, damit Menschen erkranken. Zum einen ist es in den besagten Hautfalten häufig feucht, so dass sich hier leichter Bakterien ansiedeln. Gleichzeitig scheinen zumindest einige Betroffene eine Enzymstörung zu haben. Sie führt dazu, dass die Abwehrfunktion der Haut geschwächt ist. Es gibt aber auch Patienten, bei denen die Acne inversa an den Armen, den Oberschenkeln oder sogar im Bereich der Brustwarzen auftritt. Hier fällt uns die Erklärung der Ursache noch schwerer.
Wie lange dauert es bis zur Diagnose und Therapie?
Bis zur Diagnose können Jahre vergehen. Die Hautveränderungen werden häufig als wiederkehrende Schweißdrüsenabszesse fehlgedeutet. Andere Erkrankungen, die dem Erscheinungsbild der Acne inversa ähneln, sind schwere Pilzerkrankungen oder Fisteln, wie sie beispielsweise bei einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung entstehen.
Wen trifft die Acne inversa?
Hierzulande sollen zwischen 250.000 und 3 Millionen Menschen erkrankt sein. Wir gehen von einer recht hohen Dunkelziffer aus, weil viele Patienten zunächst eine falsche Diagnose bekommen. Die meisten Betroffenen sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Frauen erkranken etwas häufiger. Sie haben eher Hautprobleme in der Leistenregion und unter den Achseln, Männer vermehrt im Analbereich.
Wie wird therapiert?
Die Patienten sollten aufhören zu rauchen, ihr Gewicht normalisieren, lockere Kleidung tragen und so viele Risikofaktoren wie möglich ausschalten. Allein davon verschwindet die Erkrankung meist nicht, so dass in vielen Fällen eine konsequente Therapie erforderlich ist. Bei leichten Fällen behandeln wir die Stellen mit desinfizierenden Waschlotionen und antibiotischen Gelen. Erhöhte Testosteronspiegel lassen sich gut mit Medikamenten senken. Antibiotika wie Tetracyclin, Clindamycin oder Rifampicin wirken entzündungshemmend.
Wie gut hilft die Behandlung mit Medikamenten?
Sie ist zumindest einen Versuch wert. Wir haben verschiedene Medikamente zur Verfügung, die leider nicht immer erfolgreich sind. Oft müssen wir verschiedene Präparate ausprobieren, einige sind mit Nebenwirkungen behaftet. Für langfristige Erfolge im fortgeschrittenen Stadium müssen wir meist operieren. Wir entfernen die betroffenen Hautbereiche großzügig. Dank moderner Techniken erreichen wir bei vielen Patienten gute kosmetische Ergebnisse.
Gibt es andere Therapieoptionen?
Bei hoher entzündlicher Aktivität und starker Ausprägung der Erkrankung hat sich eine Behandlung mit sogenannten TNF-alpha-Blockern als günstig erwiesen. Diese Substanzen besitzen eine gute antientzündliche Wirkung. Sie sind allerdings sehr teuer, und wir setzen sie bei der Acne inversa noch nicht routinemäßig ein.
Wie wirksam ist der Laser?
Kleinere klinische Studien berichten über erste Erfolge mit Lasermethoden. Dafür verwenden die Mediziner sogenannte Epilations- oder Haarentfernungslaser. Man hofft, durch die Entfernung des Haarfollikels auch die Talgdrüsen nachhaltig zu zerstören, so dass die Erkrankung keinen Angriffspunkt mehr hat.
Könnte Cannabis eine Alternative für die schmerzgeplagten Patienten sein?
Tatsächlich hemmen die im Cannabis enthaltenen Substanzen THC und CBD entzündliche Botenstoffe und fördern entzündungshemmende Mediatoren. Allerdings wissen wir bislang noch zu wenig über Dosis, Dauer und Nebenwirkungen dieser Wirkstoffe, um sie als Alternative zu anderen Therapien zu verwenden.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Gauglitz.
Das Interview führte Constanze Löffler