Interview l Sport für Darmgesundheit - Welches Training tut dem Darm gut?
Bewegung tut auch dem Darm Gutes - indirekt, denn wer sich viel bewegt, kann den Blutdruck senken, Blutzucker- und Cholesterinwerte positiv beeinflussen. Aber welches Training tut dem Darm speziell gut - und warum? Wir haben bei der Berliner Physiotherapeutin Gefa Naegler nachgefragt.
Als Erwachsene hat das kleine Ökosystem in unserem Darm schätzungsweise bis zu 100 Billionen Mitglieder, vor allem Bakterien und Pilze. Über die Stoffe, die sie dem Körper zur Verfügung stellen, beeinflussen sie das Immunsystem, die Anfälligkeit für Krebs oder auch das Gehirn. Auch deshalb ist ein Gesundheits-Hype um die Darmflora entstanden: Von Allergien bis zur Depression wird Disbalance der Darmflora - und daraus folgende Entzündungen - mit Krankheiten in Verbindung gebracht. Den Darm gesund und aktiv zu halten hat also große Bedeutung.
Gleichzeitig leidet der Darm an einem stark vom Sitzen geprägten modernen Alltag insbesondere auch in der Pandemiesituation, wenn z.B. die Küche zum Homeoffice wird.
Frau Naegler, wie kann man dem Darm mit Bewegung direkt helfen und ihn animieren?
Da gibt es drei Aspekte: Das eine ist erst einmal natürlich das direkte Hand anlegen, das geht mit der sogenannten Colonmassage. Das heißt mit verschiedenen Handgriffen kann man Einfluss von außen nehmen auf die Bewegung des Darminhalts. Und damit kann man die Darmperistaltik anregen [Anm. d. Red.: darmeigene Muskeltätigkeit zur Bewegung] und speziell bei Verstopfung oder eben bei Darmfehlfunktionen einfach ein bisschen, ja, therapeutisch Einfluss nehmen.
Das Zweite ist: In der Brustwirbelsäule liegt ja die "Steuerschaltung" für den Darm, bzw. in der Brustwirbelsäule kommen die Nerven aus dem Rückenmark, die Darmfunktionen steuern. Ebenso gilt das z.B. fürs Herz und alle anderen Organe. Das liegt alles in der Brustwirbelsäule. Und in der unteren Brustwirbelsäule kommt die vegetative Versorgung für den Darm heraus - das heißt [Befehle vom Gehirn] wie der Darm gesteuert wird, worüber wir uns keine Gedanken machen müssen.
Und wenn ich jetzt sage: Wie kann man über Bewegung den Darm anregen, dann rede ich auch immer davon, die Brustwirbelsäule zu bewegen, d.h. strecken, beugen und rotieren. Denn natürlich wird auch der Darm positiv beeinflusst, wenn die Nerven über eine Bewegung der Brustwirbelsäule mit stimuliert werden.
Und der dritte Aspekt, um Einfluss auf den Darm zu nehmen, ist über die Atmung. Wenn ich tiefe Bauchatmung mache und das Zwerchfell wirklich unten auf den Darm drücke, dann habe ich eben auch so was wie eine interne Darmmassage.
Bei Bewegung, die auch dem Darm nützt, denkt mancher vor allem an Bauchmuskeltraining, mindestens Rumpfmuskulatur. Und auch Ihre drei genannten Aspekte beziehen sich ja vor allem auf den Oberkörper. Wie viel bringt gutes Training der Bauchmuskeln auch wirklich dem Darm?
Grundsätzlich ist Training der Rumpfmuskulatur auch für den Darm immer hilfreich, einfach weil man sich natürlich bewegt und auch in einem Bereich, wo der Darm liegt. Das heißt, da ist schon das Training positiv für den Darm. Und eine gut funktionierende Bauch- und Rückenmuskulatur, stabilisiert den Rumpf und wird natürlich bei allgemeinen Bewegungen und Aktivitäten des täglichen Lebens einfach ganz anders benutzt. Und wir reden ja bei Muskulatur immer einmal über die Kapazität der Muskulatur und dann aber auch darüber, wie die Muskulatur vom Gehirn angesteuert wird.
Wenn ich also nicht trainiere, habe ich gleich zwei negative Effekte: Ich habe keine Muskulatur, die arbeitet, und sie wird vom Gehirn eben in den Aktivitäten des täglichen Lebens auch eigentlich nicht mehr angesteuert.
Das ist also mehr eine indirekte Ansprache des Darms durch Bauchmuskeltraining, bei der sozusagen die Verbindung zwischen Gehirn und Rumpf überhaupt mal wieder positiv aktiviert wird?
Richtig.
Abgesehen vom Rücken, der Bauchmuskeltraining ja auch immer dankt, nur ein indirekter Effekt. Wie könnte man den Darm denn mit Training direkter in Schwung bringen?
Für den Darm, glaube ich, ist es interessanter, wirklich Beckenboden und Zwerchfell zu trainieren - weil das die beiden "Muskelplatten" sind, die den Darm nach unten und nach oben einschließen. Die Rumpfmuskulatur, also Bauch- und Rückenmuskulatur, die bilden ja eigentlich nur die Röhre, in der der Darm liegt.
Wenn wir aber jetzt mal den Schwerkraft-Aspekt dazu nehmen, dann drückt ja der Darm eher nach unten auf den Boden. Das heißt von vorne und von hinten ist der Einfluss nicht so groß wie von oben oder unten, weil einfach per se über die Schwerkraft größerer Einfluss stattfindet. So und das heißt: Wenn ich von Darmgesundheit spreche und wir das Bild in dem Sinne mal einen Tick größer ziehen, dann spreche ich auch immer von Beckenbodentraining und eben Atmung. Also wirklich bewusster Atmung, Atemtraining, Atemübungen.
Ganz konkret: Haben Sie eine Atemübung für unsere Leser, die man sofort und ohne große Vorkenntnisse gleich nachmachen/mitmachen kann?
Ja, also, der Klassiker ist einfach etwas, was auch alle guten Gymnastikeinheiten machen: Beim Einatmen die gestreckten Arme nach oben nehmen, tief einatmen und dann mit der Ausatmung die Arme seitlich wieder fallen lassen.
Und damit habe ich zwei Aspekte: Ich habe einmal die Streckung der Brustwirbelsäule, und ich habe über das tiefe einatmen einfach den Einfluss des Zwerchfells auf den Darm.
Und wenn ich mit Schwung ausatme, bewegt sich das Zwerchfell nach oben: Wenn ich ausatme und das eben auch mit Schwung mache, dann habe ich über das Zwerchfell, einen zusätzlichen Effekt: Wenn das Zwerchfell nach oben schnellt, ziehe ich den Darm sozusagen mit und habe dann so ein bisschen den Effekt einer "Fahrstuhl Bewegung".
Dieser Klassiker: Arme nach oben gestreckt, Brustwirbelsäule strecken, tief einatmen und beim Ausatmen die Arme seitlich wieder fallen lassen und wieder so ein bisschen zusammenschlumpfen - damit habe ich [für Brustwirbelsäule und Zwerchfell] zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
Und dann hatten Sie als zweite entscheidende Muskelpartie den Beckenboden angesprochen. Gibt es auch da etwas, was man ohne Geräte und großen Kurs auch als Anfänger einfach mal machen kann?
Ja, aber das ist etwas schwieriger ohne Bild zu beschreiben: Ich habe ja unten am Becken diese beiden Sitzbeckenknochen und das heißt: Wenn ich mich auf meine Handflächen setze, dann spüre ich diese zwei Knochen, die sich so ein bisschen anfühlen wie die Unterseite von zwei Eiern jeweils.
Wenn ich mich also auf meine Hände setze und dann einfach gedanklich versuche diese beiden Knochen auf einander zu zu ziehen - nicht über die Pobacken, sondern von innen. Ich versuche, die beiden Knochen, die ich in meinen Händen spüre sozusagen in der Mitte "zusammenzuziehen" - und damit erreiche ich den Beckenboden. Die Knochen lassen sich natürlich nicht wirklich zusammenziehen, die sind fest miteinander im Beckenring verankert. Aber die Idee, diese beiden Knochen aufeinander zu zu ziehen, damit erreiche ich den Beckenboden sehr gut.
Und jetzt noch ergänzend: Ich kann das auch mit einer Atemübung kombinieren!
Also wenn ich jetzt auf meinen Händen sitze und versuche die Knochen zusammenzuziehen - dann versuche ich das bei der Ausatmung zu machen, weil ich dann sozusagen die Zugkraft des Zwerchfells noch mitnehmen kann.
Also: Ich atme ein und bei der Ausatmung versuche ich dann, die Knochen zusammenzuziehen. Und dann habe ich alle Aspekte mit drin.
Gleich eine Kombination, vielen Dank! Atmung ist ja für Sie ein ganz wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit Bewegung. Warum sollte Atmung auch gerade jetzt für Menschen im Homeoffice Aufmerksamkeit kriegen?
Unbedingt, weil durch das Sitzen kommt das Atmen zu kurz. Die Brustwirbelsäulenstreckung kommt zu kurz und durch das Sitzen wird der Darm per se einfach träge. Bewegung [bewegte Atmung] - das ist das, was die Leute im Homeoffice jetzt unbedingt brauchen.
Liebe Frau Naegler, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Lucia Hennerici