Interview l Hilfe durch Berührung - Lymphmassage: Entlastung für geschwollenes Gewebe
Es fristet ein Schattendasein im Körper: das Lymphsystem. Kaum jemand weiß genau, wie es eigentlich funktioniert. Erst wenn es zu Schwellungen an Armen und Beinen oder auch im Gesicht kommt, ist davon die Rede. Lymphmassage, also die Lymphdrainage, hillft dann ein gestautes Areal zu entlasten. Wie das funktioniert, bei welchen Erkrankungen und wann man sie auch selbst durchführen kann, hat rbb Praxis Brigitte Szagarus-Heidemann gefragt, Physiotherapeutin, Dozentin und Therapeutin für manuelle Lymphdrainage.
Frau Szagarus-Heidemann, gibt es einen Unterschied zwischen "Lymphmassage" und "Lymphdrainage"?
Wir Physiotherapeuten sprechen eigentlich nur von Lymphdrainage, denn mit "Massage" hat die Lymphdrainage nicht so viel zu tun. Eine Massage ist sehr viel kräftiger als die Lymphdrainage, dabei wird die Haut ja in der Regel richtig rot und gut durchblutet.
Würde man das bei Patienten mit einem so genannten Lymphödem - also einer Schwellung des Gewebes - durchführen, würde das die Lymphgefäße zu sehr belasten und sie könnten regelrecht kaputt gehen.
Bei der Lymphdrainage wird die gestaute Gewebsflüssigkeit mit sanften Bewegungen der Hände in die Bereiche geleitet, in denen das Lymphsystem noch gesund ist, um dort dann abtransportiert zu werden.
Wie entstehen diese Schwellungen, die sie tagtäglich behandeln?
Das Lymphsystem ist ja dazu da, Flüssigkeit und Nährstoffe aus dem Gewebe über die Lymphbahnen zurück ins Blut zu transportieren. Werden zum Beispiel im Zusammenhang mit einer Brustkrebsoperation Lymphknoten aus der Achselhöhle entfernt, werden diese Lymphbahnen unterbrochen. Das führt dann bei den Frauen zu Schwellungen im Arm oder in der Brust. Wir sprechen dann von einem Lymphödem.
Welche Erkrankungen oder Behandlungen können solche Schwellungen noch hervorrufen?
Neben den Krebsoperationen, die häufig Lymphödeme verursachen können, gibt es noch andere Erkrankungen wie die chronisch-venöse Insuffizienz. Da ist es die Vene, die einen Defekt hat, wodurch Flüssigkeit nicht mehr ausreichend aus dem Gewebe abtransportiert werden kann. Normalerweise springt dann das Lymphsystem verstärkt ein. Doch das kann auf Dauer dieser zusätzlichen Belastung nicht standhalten und so kommt es auch hier zu Ödemen; typischerweise in einem Bein und dann vom Knie an bis zum Fuß.
Bei rheumatischen Erkrankungen können die Gelenke anschwellen, was dann eine Lymphdrainage lindern kann. Eine andere Erkrankung, die mit Lymphödemen einher gehen kann, ist das Lipödem. Das ist eine Fettverteilungsstörung in den unteren Extremitäten. Bei einem langanhaltenden Lipödem kommt es als Folge der Erkrankung häufig auch zu einer Schädigung des Lymphsystems, dann sprechen wir von einem Lipo-Lymphödem.
Auch bei Patienten, die Verbrennungen erlitten haben, sind oftmals - je nach Tiefe der Verbrennung - Lymphbahnen zerstört worden, was zu Ödemen führt. Nach Knie- oder Hüftoperationen kann das betroffene Gewebe zunächst auch anschwellen und eine Lymphdrainage sinnvoll sein. Das ist aber im Gegensatz zu den anderen Erkrankungen nur ein vorübergehendes Phänomen.
Wie führen Sie die Lymphdrainage durch?
Ich habe ja schon erwähnt, dass der Druck auf das Gewebe nicht zu stark sein darf. Wenn ich einen sanften Druck ausübe und das Gewebe halbkreisförmig bewege, dann merke ich an einer bestimmten Stelle, dass das Gewebe nicht mehr mitgeht, also stoppt. An diesem Punkt höre ich auf.
Generell beginne ich immer in den gesunden Regionen oberhalb des angeschwollenen Gewebes und versuche dort den Lymphfluss anzuregen. Dort arbeite ich auch mit sanftem Druck auf dem Gewebe und erreiche über diesen Hautreiz eine Anregung der Lymphgefäßmotorik, wodurch die Lymphgefäße anschließend vermehrt Lymphflüssigkeit aufnehmen können. Liegt zum Beispiel eine chronisch-venöse Insuffizienz vor, behandele ich zuerst den Oberschenkel und arbeite mich dann langsam vor bis zum geschwollenen Gebiet. Ab Knie und Unterschenkel schiebe ich dann die angestaute Lymphflüssigkeit hoch zum vorab gut vorbereiteten gesunden Gewebe des Oberschenkels.
Ein besonderes Anwendungsgebiet für die Lymphdrainage ist eine Hauterkrankung: "Rosazea". Wie wirkt das Verfahren hier genau?
Bei Menschen, die unter einer Rosazea leiden, sind die feinen Gefäße im Gesicht erweitert und entzündet und das Gesicht ist geschwollen, es besteht ein Ödem. Bei einer schweren Form der Rosazea, dem Morbus Morbihan, kommt es zusätzlich zu einer Verhärtung des Gewebes. Diese Veränderungen entstehen, weil die Entzündungsstoffe, die bei dieser Erkrankung vermehrt gebildet werden, durch das Lymphsystem nicht mehr richtig abtransportiert werden können.
Durch die sanften Bewegungen, die wir oder die Patienten selbst dann im Gesicht ausführen, kann die aufgestaute Flüssigkeit besser abtransportiert werden. Wir leiten die Patienten in der Regel dazu an, diese Massage auch selbst durchzuführen. Das funktioniert ganz gut und gibt den Betroffenen die Möglichkeit sich selbst zu helfen; das ist jetzt in Coronazeiten besonders wichtig geworden.
Wie oft muss eine Lymphdrainage durchgeführt werden, um Erfolg zu haben?
In der Akutphase, zum Beispiel nach einer Krebsoperation, werden die Patientinnen in der Regel sechs Mal pro Woche behandelt und das für circa zwei bis maximal vier Wochen. Nach der Lymphdrainage werden die behandelten Regionen bandagiert, damit der Effekt möglichst lange anhält und die Flüssigkeit nicht wieder in das behandelte Gebiet zurück fließt. Wenn das gut funktioniert, reicht es, wenn sie danach ungefähr einmal in der Woche zur Lymphdrainage kommen.
Die Patienten lernen in der Praxis auch, sich selbst zu bandagieren, so dass sie bei beginnenden Schwellungen hier schon selbst gegensteuern können. Zu diesem Zweck können auch Physio-Tapes eingesetzt werden.
In welchen Fällen darf keine Lymphdrainage durchgeführt werden?
Wenn die angeschwollenen Regionen entzündet sind und die Patienten Fieber haben, verbietet sich eine Lymphdrainage. Das gilt auch für Patienten mit Herzschwäche, die ja auch oft unter Schwellungen in beiden Beinen leiden. Haben solche Patienten zusätzlich Luftnot oder zeigen Zeichen einer Minderdurchblutung an Fingern oder Lippen, verbietet sich eine Lymphdrainage absolut. Würde man diese Patienten mit einer Lymphdrainage behandeln, würde man die Flüssigkeit zurück zum Herzen leiten, was das geschwächte Herz zusätzlich stark belasten würde.
Zahlen die Gesetzlichen Krankenkassen die Behandlung? In allen Fällen?
Die Kosten der Lymphdrainage werden von den Kassen übernommen, bei Lymphödemen nach Krebsoperationen, bei Venenleiden und rheumatischen Erkrankungen mit Ödembildung und bei der schweren Form der Rosazea: dem Morbus Morbihan. Wenn Patienten die Behandlung selbst bezahlen, müssen sie mit 50 bis 80 Euro rechnen, je nach Zeitaufwand. Sie brauchen aber auch in diesen Fällen ein Rezept vom Arzt.
Frau Brigitte Szagarus-Heidemann, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ursula Stamm