Karin Michaëlis, dänische Schriftstellerin (1872 - 1950); © Mary Evans Picture Library
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Vergessene Autorinnen wiederentdecken - Die Überlesenen: Karin Michaëlis

In unserer Reihe stellen wir Ihnen Karin Michaëlis vor. Die dänische Schriftstellerin war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts berühmt und ungemein produktiv: Ungefähr 60 Romane und Erzählungen hat sie ge­schrieben. Fast immer geht es bei ihr um das Verhältnis zwischen Frauen und Män­nern, um unglückliche Ehen oder fehlgeschlagene Versuche, glücklich miteinander zu werden. Manuela Reichart empfiehlt zum Lesen unbedingt d e n Bestseller aus dem Jahr 1910: "Das gefährliche Alter".

Über eine Million verkaufte Exemplare, Übersetzungen ins Deutsche, ins Englische, ins Französische, ins Italienische, ins Tschechische... Dreimal wurde das Buch verfilmt, einmal mit Asta Nielsen. "Das gefährliche Alter" sorgte bei Erscheinen für Aufmerksamkeit und Skandal.

Die BZ am Mittag schrieb: "Wenn es Karin Michaelis in ihrem Buch "Das gefährliche Alter“ gelingt, ihr Zeitalter in Furcht und Schrecken zu versetzen vor den zügellosen Gelüsten einer Vierzigjährigen, so ist es ein Beweis ihrer dichterischen Kraft, auf den sie stolz sein kann. In früheren, strengeren Zeiten hielt man die Jahre um die Dreißig für das gefährlichste Alter der Frau, jetzt ist man liberaler geworden; billigt ihr zehn weitere Jahre zu. Frau Karin Mi­chaelis steigt unerschrocken in die tiefsten Abgründe weiblicher Seelennot hinab, dort­hin wo sie Grausen und Verzweiflung findet."

Eine vierzigjährige Frau gar als Heldin?

Grausen und Verzweiflung: ein Roman über die Wechseljahre. Karin Michaelis selber ist 38, eine angesehene Autorin, und inspiriert wird sie für ihr Erfolgsbuch durch das seltsame Verhalten ihrer Geschlechtsge­nos­sinnen. - In ihren Lebenserinnerungen schreibt sie: "Eine Freundin meiner Mutter entwickelte plötzlich eine der­artige Besessenheit von Reinlichkeit, daß ihr Gatte und ihre Kinder sich wegen des ewi­gen Abstaubens, Polierens und Scheuerns kaum zu bewegen wagten…. Später ver­wickelte sich die ältere Schwester einer meiner Freundinnen, die bisher nur unschuldig geflirtet hatte, in eine Liebesaffäre nach der anderen. Es gab viele derartige Beispiele….Sie waren ganz verschiedene Indi­viduen, nur in einem Punkt waren alle gleich - sie waren zwischen Vierzig und Fünfzig."

Als Karin Michaelis ihrem alten Freund, dem norwegischen Dichter Bjørnstjerne Bjørnson, der damals in seinen 70ern ist, von ihrem Plan erzählt, einen Roman über eine Frau in den Wechseljahren zu schreiben, antwortet der: "Seien Sie bitte nicht beleidigt. Aber Sie können doch nicht erwarten, daß sich ein Mann für einen Roman interessiert, dessen Heldin eine vierzigjährige Frau ist."

Schluss mit dem oberflächlichen Eheleben

Karin Michaelis lässt sich zum Glück nicht abschrecken. Die Protagonistin des Romans ist Anfang 40, als sie beschließt, ihren Mann zu ver­lassen und sich in die Einsiedelei zurück­zuzie­hen. Es gibt keinen äuße­ren Anlass für die Schei­­­dung: keine Untreue, kein Drama, nur den Überdruss am behü­teten, oberflächlichen Ehe­leben. Sie zieht auf eine einsame Insel, will fortan ohne Gesell­schaft, vor allem ohne Män­ner, leben und so den "Übergangsjahren“ die Stirn bieten.

Die modern erzählte Geschichte beginnt mit einem Brief, in dem sie einer Cou­sine ihre Gründe darlegt, die vermeintlichen, denn dass hinter der Flucht in Wahrheit etwas an­deres steckt, das wird der Heldin erst später klar. Karin Michaelis Romanheldin kämpft jedenfalls für das Recht der Frau zu altern...

"Niemand hat bisher jemals laut die Wahrheit ausgesprochen, daß die Frau, mit jedem Jahr, das vergeht - wie wenn der Sommer kommt und die Tage länger werden -, mehr und mehr Weib wird. Sie erschlafft nicht in dem, was ihr Geschlecht betrifft, sie reift bis tief in den Winter hinein.

Aber die Gesellschaft zwingt sie, einen falschen Kurs zu steuern. Ihre Jugend darf nur bestehen, solange die Haut glatt und der Körper verlockend ist. Sonst gibt sie sich dem boshaften Gelächter preis." (Aus: "Das gefährliche Alter")

Das Spiel der Geschlechter

Klug und ironisch, selbst- und gesellschafts­kritisch betrachtet Karin Michaelis das Spiel der Ge­schlech­ter - und schont dabei auch nicht ihre Heldin. Denn die begreift plötz­lich, dass sie in Wahrheit vor der Leidenschaft für ei­nen jüngeren Mann geflohen ist. Aber es ist zu spät, der Geliebte hat nicht gewartet. Voller Panik will sie danach zum geschiedenen Ehemann zurück, aber der hat sich, allem beteuerten Leiden zum Trotz, längst mit einer Jun­gen getröstet. Ein grausames Spiel um Liebe und Täusch­ungen, Wahrheit und Lebens­lüge: Immer da, wo man sich be­sonders ehrlich wähnt, betrügt man sich.

Die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Beverly Driver Eddy hat eine Biographie über Karin Michaelis geschrieben und sagt: "Sie wollte allen Frauen helfen, sie hat gesagt, sie wollte einfach zeigen, dass alle Frauen in den Wechseljahren leiden, dass sie mit der gleichen Rücksicht behandelt werden soll­ten wie Männer, die Zahnschmerzen haben…

Und in diesem Buch - sie war nicht die erste, die über Frauen in den Wechseljahren ge­schrieben hat, aber sie war die erste, die geschrieben hat, dass alle Frauen leiden, dass das nicht Einzelfälle sind. Das war das Neue, das war das Skandalöse an diesem Buch. Und da hat sie natürlich sogar Frauenrechtler:innen geärgert, denn die haben geglaubt, wenn die These von diesem Buch akzeptiert wird, dass die Frauen nie die Wahlstimme, das Wahlrecht bekommen."

Manuela Reichart, rbbKultur