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Pfarrkirche St. Marien | Bild: dpa-Zentralbild

- Gransee - Pfarrkirche St. Marien

In der Kirche St. Marien besteigt Fontane den Kirchturm, um den "vier Glocken mit dem harmonischen Geläut" möglichst nahe zu sein.

Die Marienkirche hat zwei Türme, die des Vorzugs genießen, beide fertig zu sein

Theodor Fontane

Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Band I „Die Grafschaft Ruppin":

Die Marienkirche, deren Pfeiler bis in den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts zurückdatieren, ist ein ursprünglich romanischer Bau, mit Gewölben aus der gotischen Epoche. Was diese Kirche, die von keiner in der Grafschaft übertroffen wird, auch schon äußerlich auszeichnet, ist die reiche Verwendung des vierblättrigen Kleeblatts. Allerdings begegnet man diesem Ornament innerhalb der Backsteingotik unserer Mark an den verschiedensten Stellen, aber nirgends in gleicher Überschwenglichkeit wie hier. Nicht nur band- und bortenartig tritt es uns an Fries und Strebepfeilern entgegen, sondern die betreffenden Bänder und Borten verbreitern sich auch zu ganzen Flächen, so daß tapetenartige Wirkungen erzielt werden, ähnlich denen an modernen Berliner Bauten, wo man mit Stein, als ob es sich um eine Tapisseriearbeit handle, Muster und Figuren herzustellen beginnt.

Die Marienkirche hat zwei Türme, die des Vorzugs genießen, beide fertig zu sein, und sich nur dadurch unterscheiden, daß die Spitze des einen völlig massiv, die des andern als eine bloße Holzkonstruktion in die Höhe steigt. Als Grund für diese Verschiedenheit wird diplomatische Rücksicht angegeben, und zwar Rücksicht auf die rivalisierenden Mächte der Maurer- und Zimmermeister. Was dem einen recht war, war dem andern billig.

In dem nach rechts hin gelegenen steinernen Turme befinden sich die »vier Glocken mit dem harmonischen Geläut«. Bei dem Brande von 1711 stürzten die damals vorhandenen in das Schiff der Kirche nieder, und der Glockengießer Johann Jacobi zu Berlin goß aus dem zusammengeschmolzenen Gut die jetzigen vier. Zwei davon sind intereßlos, aber die erste und dritte zeichnen sich durch ihre Inschrift aus.

Die erste, bei sechzehn Fuß Umfang, hat folgende Umschrift: »Quum dirissimum ac satis fatale incendium, incuria perditi fabri, die XIX. Junii anni MDCCXI, exortum urbem totam cum trecentis aedibus privatis ac sacris, simul omnibus et publicis deperderet, haec ego campana die XXX. Octobris MDCCXI reliquiis facta a J.Jacobi.« Also etwa: »Nachdem eine höchst schreckliche, verhängnisvolle Feuersbrunst, welche durch die Nachlässigkeit eines verruchten Schmidts den 19.Juni1711 ausbrach, die ganze Stadt mit 300 Bürgerhäusern samt Kirchen und öffentlichen Gebäuden zugrunde gerichtet hatte, bin ich, diese Glocke, am 30. Oktober 1711 aus den Überbleibseln hergestellt durch Johann Jacobi.«

Die dritte Glocke, bei neun Fuß Umfang, bringt Reimzeilen. Sie lauten:

Gleiche Glut zerstörte mich,
Gleiche Glut erneute mich
Wie die andern zweene;
Drum soll mein Getöne,
Gott, nächst ihnen, dir auch singen
Und Dankopfer bringen.

J. Jacobi goß mich in Berlin 1711

Das Innere der Kirche bietet weniger, als man erwarten sollte, weil das mehrerwähnte Feuer von1711 den ganzen Inhalt ausbrannte. Manches wurd aber doch gerettet.

Etwas davon zeigt der Altar. Dieser selbst ist ein Rokokobau (1739) von den üblichen Formen; als Bild aber ist in die von korinthischen Säulen eingefaßte Wand eine bunte mittelalterliche Holzskulptur eingelassen, so daß der Schrein jetzt eine wunderliche Stilvermählung aus dem fünfzehnten und achtzehnten Jahrhundert zeigt.

Ein andres Überbleibsel aus mittelalterlicher Zeit ist eine Reliquienbüchse, die, durch ein glückliches Ungefähr, erst gerettet und dann aufgefunden wurde. Sie befand sich in einem aus Steinen aufgeführten Altar einer Seitenkapelle, der, weil massiv, dem Feuer widerstand. Auf diesem Altar nahm Anfang der fünfziger Jahre Superintendent Kirchner eine eingelegte Steinplatte wahr, die hohl klang, wenn man daraufklopfte. Dies bestimmte den Superintendenten, die Platte herausnehmen zu lassen. Was er vermutet hatte, bestätigte sich. Unter dem Sandstein war eine Öffnung, von der aus, röhrenartig, ein Kanal auslief, darin weitere Nachforschungen die vorerwähnte Reliquienbüchse entdeckten. Sie hat die Form einer gedrückten Kugel, ist faustgroß, von Lindenholz und zeigt eine mittelgroße Öffnung, die mittelst eines einfachen Deckels geschlossen wird. In dieser Büchse .befanden sich, außer einem Stückchen Mumie, drei Splitter vom Kreuze Christi in ein Stückchen Seidenzeug gewickelt, zugleich auch eine Urkunde mit dem Sekretsiegel des Bischofs von Havelberg. (Büchse und Inhalt sind zur Zeit in Händen des Superintendenten Kirchner in Walchow.)

 

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Audio: Ausschnitt aus "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" gelesen von Hans Hildebrandt (Produktion des Berliner Rundfunk 1991)