Waldstraße im Menzer Forst - dpa/Jens Kalaene
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Waldstraße im Menzer Forst | Bild: dpa/Jens Kalaene

- Menzer Forst

Anhand des "Menzer Forst" analysiert Fontane das Zusammenspiel von Natur und Industrialisierung. Er lässt sich aber auch die blutigen Mordgeschichten nicht entgehen.

So still der Wald, und doch erzählt er auf Schritt und Tritt, freilich mehr Ernstes als Heiteres.

Theodor Fontane

Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Band I "Grafschaft Ruppin":

Er zählt jetzt gerade hundert Jahr, dieser prächtige Wald, der ein Leben für sich führt, ein halbes Dutzend Wasserbecken mit grünem Arm umschließt und über Altes und Neues, über Teeröfen und Forsthäuser, über Glashütten und Fabriken nach wie vor seine Herrschaft übt. In ihn hinein wolle mich jetzt der Leser begleiten.

Es ist noch Platz auf dem Pürschwagen (vorne der Kutscher und der Herr), und ein Kissen und eine Decke harren des neuen Gastes. Die Zeit für die Decke wird kommen, die Zeit für das Kissen aber ist schon da, denn über Stubben und Wurzeln fort geht es bereits weglos und holterdiepolter in den Wald hinein. Die jungen Zweige fegen uns die Augen aus; jetzt Moorgrund, jetzt raschelndes Laub; jetzt über den Graben und jetzt über niedergestürzte Bäume hin, deren schon angefaultes Holz unter dem Drucke der Räder zerbricht und in Moderstaub aufwirbelt. Entzückendes Steeplechase; das Gefühl der Fährlichkeit geht in der Wonne des Hindernisnehmens unter.

So still der Wald, und doch erzählt er auf Schritt und Tritt, freilich mehr Ernstes als Heiteres. Wo der Pascher ein Jahrhundert lang zu Hause war, wo Förster und Wildschütz ihre nicht endende Fehde führen, wo der Sturm die Bäume bricht und die tiefen Waldseen, die sich von uralter Zeit her einen Hang nach Menschenopfern bewahrt haben, ihre Polypenarme phantastisch ausstrecken, da sind immer »Geschichten« zu Haus. Tabellen wären hier anzufertigen mit drei Rubriken nur: erschlagen, erschossen, ertrunken.

Eben haben wir eine Stelle passiert, die solche »Geschichte« hat, und noch von neustem Datum dazu. Hier, wo das Unterholz sich durch die Waldrinne zieht, gleich links neben der Weißbuche, da lag er, da fanden sie ihn, den Kopf nach der Tiefe zu, den einen Fuß im Gestrüpp verwickelt und neben ihm die Büchse. Der grüne Aufschlag des einen Ärmels war rot, und man sah deutlich, er war mit der Rechten nach der Brust gefahren. Wessen Kugel hatte ihn getroffen? Einen Augenblick schien es, als sei man dem Geheimnis auf der Spur: in Herz oder Lunge des Toten hatte man das Kugelpflaster gefunden und an ebendiesem Pflaster acht scharf markierte schwarze Strichelchen, die's dem Kundigen verrieten, daß die Kugel aus einer Büchse mit acht Rillen gekommen war. Und solcher Büchsen gab es am Rande der Menzer Forst hin nicht allzu viele. So wies man denn mit Fingern auf den und den. Aber die Sache kam zu früh in Kurs, und als an den verdächtigsten Stellen gesucht wurde, waren die achtrilligen Büchsen verschwunden. Ein groß Begräbnis gab es, groß wie die Teilnahme, aber das Geheimnis seines Todes hat der Tote mit ins Grab genommen.

So ging das Geplauder, als plötzlich, zwischen den Stämmen hin, eine weite Wasserfläche sichtbar wurde, darauf hell und blendend fast die späte Nachmittagssonne flimmerte. »Das ist der Stechlin«, hieß es. Und im nächsten Augenblicke sprangen wir ab und schritten auf ihn zu.

 

Audio: Ausschnitt aus "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" gelesen von Gert Westphal (Produktion des SWR 1982-1985)