Das Ludwig-Erhard-Ufer im Berliner Regierungsviertel
picture alliance/chromorange
Das Ludwig-Erhard-Ufer im Berliner Regierungsviertel | Bild: picture alliance/chromorange

- Berlin - Ludwig-Erhard-Ufer

Am "Kronprinzenufer" - wie es früher hieß - lässt Theodor Fontane die Familie Barby mit ihren schönen Töchtern wohnen, die Woldemar von Stechlin umwirbt. Das Haus hat eine bewegte Geschichte: Es gehört "Frau Hagelversicherungssekretär Schickedanz".

Theodor Fontane „Der Stechlin“:

Von allem, was er gesehen, war er angenehm berührt worden, auch von Haus und Wohnung. Und dazu war guter Grund da, mehr als er nach seinem ersten Besuche wissen konnte. Das von der gräflichen Familie bewohnte Haus mit seinen Loggien und seinem diminutiven Hof und Garten teilte sich in zwei Hälften, von denen jede noch wieder ihre besondern Annexe hatte. Zu der Beletage gehörte das zur Seite gelegene pittoreske Hof- und Stallgebäude, drin der gräfliche Kutscher, Herr Imme, residierte, während zu dem die zweite Hälfte des Hauses bildenden Hochparterre ziemlich selbstverständlich noch das kleine niedrige Souterrain gerechnet wurde, drin, außer Portier Hartwig selbst, dessen Frau, sein Sohn Rudolf und seine Nichte Hedwig wohnten. Letztere freilich nur zeitweilig, und zwar immer nur dann, wenn sie, was allerdings ziemlich häufig vorkam, mal wieder ohne Stellung war. Die Wirtin des Hauses, Frau Hagelversicherungssekretär Schickedanz, hätte diesen gelegentlichen Aufenthalt der Nichte Hartwigs eigentlich beanstanden müssen, ließ es aber gehen, weil Hedwig ein heiteres, quickes und sehr anstelliges Ding war und manches besaß, was die Schickedanz mit der Ungehörigkeit des ewigen Dienstwechsels wieder aussöhnte.

Die Schickedanz, eine Frau von sechzig, war schon verwitwet, als im Herbst fünfundachtzig die Barbys einzogen, Komtesse Armgard damals erst zehnjährig. Frau Schickedanz selbst war um jene Zeit noch in Trauer, weil ihr Gatte, der Versicherungssekretär, erst im Dezember des voraufgegangenen Jahres gestorben war, "drei Tage vor Weihnachten", ein Umstand, auf den der Hilfsprediger, ein junger Kandidat, in seiner Leichenrede beständig hingewiesen und die gewollte Wirkung auch richtig erzielt hatte. Allerdings nur bei der Schickedanz selbst und einigermaßen auch bei der Frau Hartwig, die während der ganzen Rede beständig mit dem Kopf genickt und nachträglich ihrem Manne bemerkt hatte: "Ja, Hartwig, da liegt doch was drin." Hartwig selber indes, der, im Gegensatz zu den meisten seines Standes, humoristisch angeflogen war, hatte für die merkwürdige Fügung von "drei Tage vor Weihnachten" nicht das geringste Verständnis gezeigt, vielmehr nur die Bemerkung dafür gehabt: "Ich weiß nicht, Mutter, was du dir eigentlich dabei denkst? Ein Tag ist wie der andre; mal muß man ran" - worauf die Frau jedoch geantwortet hatte: "Ja, Hartwig, das sagst du so immer; aber wenn du dran bist, dann redst du anders."

 

Audio: Ausschnitt aus "Der Stechlin“ gelesen von Hans Paetsch (Produktion des Hessischen Rundfunk 1973)

„Ja, der alte Graf war nicht bloß froh, die Wohnung zu haben, er hielt auch beinah abergläubisch an ihr fest. Solange er darin wohnte, war es ihm gut ergangen, nicht glänzender als früher, aber sorgenloser.

Theodor Fontane