Hanna Schygulla als Effi Briest - Verfilmng von Rainer Werner Fassbinder (1974)
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Hanna Schygulla als Effi Briest - Verfilmng von Rainer Werner Fassbinder (1974) | Bild: picture alliance / United Archives/Roba Archiv

- Berlin - Schadowstraße

Nach den stillen Tage in Kessin sehnt sich Effi Briest nach Abwechslung. Den bringt ein Besuch bei der Mutter in Berlin: Der neueste Großstadttrend sind "Bibelwitze".

Theodor Fontane "Effi Briest":

Auf dem Friedrichstraßen-Bahnhof war ein Gedränge; aber trotzdem, Effi hatte schon vom Coupé aus die Mama erkannt und neben ihr den Vetter Briest. Die Freude des Wiedersehens war groß, das Warten in der Gepäckhalle stellte die Geduld auf keine allzu harte Probe, und nach wenig mehr als fünf Minuten rollte die Droschke neben dem Pferdebahngleise hin in die Dorotheenstraße hinein und auf die Schadowstraße zu, an deren nächstgelegener Ecke sich die »Pension« befand. Roswitha war entzückt und freute sich über Annie, die die Händchen nach den Lichtern ausstreckte.

Nun war man da. Effi erhielt ihre zwei Zimmer, die nicht, wie erwartet, neben denen der Frau von Briest, aber doch auf demselben Korridor lagen, und als alles seinen Platz und Stand hatte und Annie in einem Bettchen mit Gitter glücklich untergebracht war, erschien Effi wieder im Zimmer der Mama, einem kleinen Salon mit Kamin, drin ein schwaches Feuer brannte; denn es war mildes, beinah warmes Wetter.

Auf dem runden Tische mit grüner Schirmlampe waren drei Kuverts gelegt, und auf einem Nebentischchen stand das Teezeug.

»Du wohnst ja reizend, Mama«, sagte Effi, während sie dem Sofa gegenüber Platz nahm, aber nur um sich gleich danach an dem Teetisch zu schaffen zu machen. »Darf ich wieder die Rolle des Teefräuleins übernehmen?«

»Gewiß, meine liebe Effi Aber nur für Dagobert und dich selbst. Ich meinerseits muß verzichten, was mir beinah schwerfällt.«

»Ich verstehe, deiner Augen halber. Aber nun sage mir, Mama, was ist es damit? In der Droschke, die noch dazu so klapperte, haben wir immer nur von Innstetten und unserer großen Karriere gesprochen, viel zuviel, und das geht nicht so weiter; glaube mir, deine Augen sind mir wichtiger, und in einem finde ich sie, Gott sei Dank, ganz unverändert, du siehst mich immer noch so freundlich an wie früher.«

Und sie eilte auf die Mama zu und küßte ihr die Hand. »Effi, du bist so stürmisch. Ganz die alte.«

»Ach nein, Mama. Nicht die alte. Ich wollte, es wäre so. Man ändert sich in der Ehe.«

 

Audio: Ausschnitt aus "“Effi Briest“  gelesen von Gert Westphal (Produktion des SWR 1972)

Der erste Kutscher war 'Leid'. Denn schon im Buche Hiob heißt es: 'Leid soll mir nicht widerfahren', oder auch 'wieder fahren' in zwei Wörtern und mit einem e.

Theodor Fontane