Kinder im Kindergarten (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Sprachförderung für Kinder bleibt auf der Strecke

Mahmut und Sulema haben einen Migrationshintergrund, Peter und Paul kommen aus sozial schwachen Familien. Gemeinsam ist ihnen, dass sie Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben. Was sie als Kinder nicht lernen, belastet sie ein Leben lang. Vor Jahren hat die Politik das Problem erkannt: Die Kita-Träger verpflichteten sich, vermehrt Sprachförderung anzubieten. Doch dem Projekt sind Grenzen gesetzt: Viele Kinder sind trotz der Reform auf der Strecke geblieben. Der Senat will zwar die Sprachförderung verstärken, doch mehr Personal für Kitas gibt es nicht.

Wer in Deutschland im falschen Elternhaus aufwächst, hat kaum eine Chance. So einfach und so ungerecht ist das! Nachzulesen im neuen Pisa-Test. Kinder aus sozial schwachen Familien kommen in der Schule häufig nicht mit. Es beginnt schon bei den ganz Kleinen. Ein Viertel aller Berliner Kinder im Vorschulalter kann nicht richtig Deutsch sprechen. Jetzt will der Berliner Senat diese Situation mit einem neuen Gesetz ändern. Das klingt gut, wird aber den meisten Kindern nicht helfen. Ein Bericht von Katrin Aue, Almut Gaude und Rita Nikolow.

Die Konrad-Agahd-Grundschule in Berlin-Neukölln. 85 Prozent der Kinder kommen aus Familien nicht-deutscher Herkunft, die meisten deutschen Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen. Die Konrad-Agahd gilt zwar als Vorbild-Schule im Kiez. Doch sie hat mit dem gleichen Problem zu kämpfen, wie so viele andere auch: Bei der Einschulung sprechen viele Erstklässler zu schlecht Deutsch.

Gizem
„Ich war bei eine Weihnachtsfest, da war so da könnten wir Kuscheltier rausholen, da könnten wir Kuscheltier rausholen aber meine Papa, wir hatten das nicht geschafft.“

Eigentlich sollen die Kinder lesen und schreiben lernen, doch dafür müssen die Lehrer erst die Voraussetzungen schaffen.

Brigitte Gajewski, Konrad-Agahd-Grundschule
„Wenn Kinder in die Schule kommen und sehr schlecht deutsch sprechen, dann bedeutet das auch, sie verstehen die deutsche Sprache genauso schlecht. Im konkreten Fall heißt das eine einfache Aufforderung: bitte hole dein Frühstück oder deine Frühstücksdose aus deiner Schultasche, kann von ihnen gar nicht nachvollzogen werden weil sie sowohl den Begriff ‚Frühstücksdose’ als auch ‚Schultasche’ gar nicht zuordnen können.“

Die Sprachdefizite bei der Einschulung sind in der Schule kaum noch aufzuholen, so die Erfahrung der Pädagogen.

Jörg-Uwe Quandt, Konrad-Agahd-Grundschule
„Für die weitere Laufbahn dieser Kinder bedeutet das, dass sie im Grunde genommen immer dem anderen Teil der Gruppe hinterherhinken.“

Das Problem ist lange bekannt. Seit 2004 müssen alle 5jährigen einen verbindlichen Deutschtest absolvieren: Deutsch Plus.

Das Testergebnis im Jahr 2006: fast jedes vierte Kind spricht zu schlecht deutsch. Davon sind rund zwei Drittel Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache, ein Drittel hat deutschsprachige Eltern.

Die Konsequenz bislang: spezielle Förderung noch vor der Einschulung.
Die Kinder, die ohnehin zur Kita gehen, sollen dort besonders unterstützt werden. Für die wenigen anderen, die keine Kita besuchen, wurden tägliche Deutschkurse an Schulen eingerichtet. Doch das hat offenbar das Problem nicht behoben.

Brigitte Gajewski, Konrad-Agahd-Grundschule
„Das kann ich nicht feststellen, dass durch den Deutsch Plus Test eine Besserung eingetreten ist. Weil ein halbes Jahr Sprachförderung reicht definitiv nicht aus, um die Kinder als Schulkind vorzubereiten.“

Das hat auch die Politik erkannt. Im Abgeordnetenhaus wird derzeit ein neues Gesetz diskutiert. Geplant ist, die Sprachförderung zeitlich auszuweiten und zu intensivieren.

Der Weg: Mehr Kinder sollen früher in die Kitas kommen. Grundsätzlich eine gute Idee. Nur: Mehr Personal pro Kind gibtŽs dafür nicht. Dabei ist schon jetzt an den Kitas individuelle Förderung kaum zu schaffen.

Die Kita Ackerstraße in Berlin-Spandau. Sprechen wird hier natürlich täglich geübt, etwa mit Sprachspielen in der ganzen Gruppe.

Erzieherin
„Enrique, Enrique darf anfangen!“
Enrique
„Mein rechter, rechter Platz ist leer, ich wünsche mir den Ramón her!“

30 Kinder mussten im Herbst den Deutschtest absolvieren. Das Ergebnis: Neun Kinder haben „besonderen Förderbedarf“. Doch für wirklich individuelle Betreuung ist nur selten Zeit. Heute haben David, Paulina und Ramón ausnahmsweise Glück.

Erzieherin
„Woran kannst denn Du erkennen, dass das ein Mädchen ist, das mit den Kindern spielt?...Was hast Du denn hier zum Beispiel, was ist denn das hier?“
Ramon
„Ein Zopf.“
Erzieherin
„Immer antwortet der Ramón, wo ich doch die Paulina frage!“

KLARTEXT
„Ein paar Kinder haben besonderen Förderbedarf, was machen Sie denn dann besonderes mit denen?“
Sabine Pfeiffer
„Tja, nicht viel. Weil einfach die Zeit dazu fehlt. Also es ist so, dass man versucht, wie gesagt, dann beim Morgenkreis, oder bei Singspielen das Kind dann vielleicht öfter rankommen zu lassen, damit es mehr erzählen kann, aber im Grunde genommen sitzen da noch 13 andere Kinder, die wollen auch erzählen.“

Das neue Gesetz sieht vor: der Deutsch Plus-Test soll ein halbes Jahr früher durchgeführt werden, um die Kinder dadurch länger fördern zu können. Das ist gut für die 5jährigen, die bislang nicht in den Kitas sind. Für die soll es auch mehr Geld geben.

Doch der Löwenanteil der Berliner 5jährigen, rund 95 Prozent, geht in eine Kita. Und trotz vieler Kinder mit Förderbedarf sollen die Erziehrinnen nicht mehr Zeit für sie bekommen. Denn der Erzieherschlüssel, also die Zahl der Kinder pro Erzieher, ändert sich nicht.

Für Burkhard Entrup vom Landesausschuss der Kita-Eltern reicht das Gesetz deshalb nicht aus, um die Sprachfähigkeit wirklich zu verbessern.

Burkhard Entrup, Landeselternausschuss Berliner Kita
„Ich hoffe halt, dass natürlich die, die noch an dem Gesetz zerren und noch die Möglichkeit haben, Einfluss zu üben, dass man dort noch eigentlich detaillierter und klarer drauf schaut, dass man Dinge dort auch noch festschreibt die unbedingt notwendig sind. Dass nämlich wirklich dann auch zusätzliches Personal für die Kindertagesstätte notwendig ist. Dann kann man auch individuelle Förderung machen.“

Doch in der Senatsverwaltung für Bildung setzt man stattdessen auf Fortbildung und bessere Arbeitsorganisation in den Kitas – dann klappt’s auch mit der Sprachförderung, so der Staatssekretär.

Eckart R. Schlemm (SPD), Staatssekretär für Bildung
„Bisher, was ich gehört habe, stehen wir in Berlin ganz gut da. Das heißt nicht, dass es nicht noch besser werden könnte. Aber auch das werden wir untersuchen und wenn die Untersuchungsergebnisse vorliegen, werden wir auch natürlich entsprechende Schlussfolgerungen ziehen.“
KLARTEXT
„Das heißt, es könnte sein, dass der Personalschlüssel angehoben wird?“
Eckart R. Schlemm (SPD), Staatssekretär für Bildung
„Das wäre eine denkbare Möglichkeit. Nur ich weiß noch nicht, wie die Untersuchung ausgeht. Danach können wir dann genaueres sagen.“

Also erstmal abwarten und ein Gesetz verabschieden, bei dem die meisten Kita-Kinder leer ausgehen. Irgendwann gibt’s vielleicht mehr Personal. Für Ramón, Paulina, David und viele andere Kinder kommt das auf jeden Fall zu spät.

Diese Kinder werden nicht richtig gefördert. Im schlimmsten Fall kann das dazu führen, dass sie nie richtig lesen und schreiben lernen. Nach vorsichtigen Schätzungen verlassen in Berlin jedes Jahr etwa 2.000 Mädchen und Jungen die Schule als „funktionale Analphabeten“.

Beitrag von Katrin Aue, Almut Gaude und Rita Nikolow