Feuerwache in Wollin (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Erschreckend: Wolliner Bürger verteidigen mutmaßlichen Kriegsverbrecher

Karl Gropler aus Wollin soll 1944 als Angehöriger des 2. Bataillons des 35. Regiments der 16. SS-Panzergrenadierdivision „RF–SS“ am Massaker von Sant Anna di Stazzema beteiligt gewesen sein. In Italien wurde Gropler deshalb in erster Instanz von einem Militärgericht in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. In Wollin stehen alle hinter dem heute 82jährigen. Es sei ja Krieg gewesen. Eine Reportage.

Auf dem Dorf zu leben, das hat so seine eigenen Gesetze. Man kennt sich seit Generationen, es gibt Familienbande und Nachbarschaften und eine lange gemeinsame Geschichte. Das schweißt zusammen. Wollin im westlichen Brandenburg ist ein typisch deutsches Dorf: Viele Großväter waren im Krieg, in der NSDAP, oder in der SS. So wie Karl Gropler, aufgewachsen in Wollin. Er war bei den Pimpfen, bei der Hitlerjugend und später dann bei der SS. Von der italienischen Justiz wurde Gropler rechtskräftig verurteilt wegen der Beteiligung an einem Kriegsverbrechen. Jetzt ermittelt auch in Deutschland die Staatsanwaltschaft – und die Wolliner sind empört, allerdings nicht über die damaligen Verbrechen. Sascha Adamek auf den Spuren einer bis heute verdrängten Geschichte.

Dorfbewohner
„Der Mann ist 82 Jahre und nach 62 Jahre brauch man mit so watt nich mehr anfangen. Also wir halten hier im Dorf auch alle zusammen. Und dass man…“
Dorfbewohnerin
„Der hat uns doch nichts getan.“
Dorfbewohner
„…dass man nach so einer Zeit mit so einem Fax noch anfängt, das tut mir echt leid.“
KLARTEXT
„Was sagen Sie denn zu den Verbrechen, die ihm vorgeworfen werden?“
Dorfbewohner
„Was soll ich dazu sagen. Es war Krieg.“
Dorfbewohnerin
„Ach, das sagen wir nichts zu.“
Dorfbewohner
„Da sagen wir gar nichts mehr weiter zu. Es war Krieg.“
KLARTEXT
„Es wurden unschuldige Zivilisten, Frauen und Kinder hingerichtet.“
Dorfbewohner
„Was hat denn der Russe gemacht, was macht denn der Ami heute?“

Enio Mancini, Überlebender des Massakers von Sant’Anna
„In diesem Haus hinter mir ist es zu einem grauenvollen Ereignis gekommen. Die Soldaten hatten etwa 70 Menschen, Frauen, Kinder, alte Leute in die Ställe im untersten Stock gepfercht. Kaum waren sie drinnen, warfen die Nazi-Soldaten Handgranaten rein und dann zündeten sie das ganze Haus an. Fünf Kinder aber entkamen.“

Wollin, ein ganz normales Dorf in Brandenburg. Hier wohnt ein 82jähriger ehemaliger SS-Mann – seit über 60 Jahren unbehelligt. Karl Gropler, hier vor dem Haus seiner Familie, scheut die Öffentlichkeit.

Im Juni letzten Jahres hat ein italienisches Militärgericht Gropler verurteilt. Gropler soll im Jahre 1944 an einem Massaker beteiligt gewesen sein, bei dem 560 Zivilisten ermordet wurden.

Sant’Anna in der Toskana. Am Morgen des 12. August 1944 stürmten SS-Einheiten das Dorf. Sie waren auf der Suche nach Partisanen, doch im Dorf treffen sie nur Frauen, Kinder und einige alte Männer. Karl Gropler war damals Unteroffizier der Waffen-SS. Die italienischen Militärrichter sind überzeugt, dass Gropler an jenem Tag an dem Massaker beteiligt war. Er wurde angeklagt wegen
Zitat:
„fortgesetzter gemeinschaftlicher Gewaltanwendung gegen Zivilpersonen mit Todesfolge“
und
„Verurteilt zu lebenslanger Freiheitsstrafe…“

Der ehemalige Unteroffizier der Waffen-SS kehrte nach dem Krieg zurück nach Wollin.

Dorfbewohner
„Also ich kenne ihn als korrekten Kollegen.“
Dorfbewohner
„War ein einwandfreier Kollege, ehrlich, aufrichtig, fleißig.“
Dorfbewohnerin
„Eigentlich ist er ein ruhiger Beamter, so wie ich ihn kenne.“

Wir erfahren: Gropler war in der Freiwilligen Feuerwehr. Und er arbeitete hier in der ehemaligen LPG. Doch was denken die Menschen im Dorf über seine Verurteilung als Kriegsverbrecher? Allein die Frage empört die meisten:

Dorfbewohner
„Da bin ich eben der Meinung. In den Medien ist er als ‚Mörder von Wollin’, als ‚Kriegsverbrecher von Wollin’ dargestellt worden, und in Deutschland ist er nicht rechtskräftig verurteilt. Also ist das nicht so gerechtfertigt. Das ist meine Meinung dazu.“
Dorfbewohner
„Das war so früher.“
KLARTEXT
„Was war so früher?“
Dorfbewohner
„Das war so. Hab ich mich noch nicht mit beschäftigt.“
Dorfbewohner
„Es gab ja hier mehrere im Betrieb, die in der SS waren, ob freiwillig, oder gezogen, gab es ja nachher auch, die konnten gar nichts dafür.“
KLARTEXT
„Also, Sie wussten, dass er bei der SS war.“
Dorfbewohner
„Ja.“
KLARTEXT
„Sie müssen doch eine Meinung dazu haben, wenn jemand solcher schwerer Verbrechen beschuldigt wird.“
Dorfbewohner
„Nein, dazu will ich mich nicht äußern.“

Wen wir auch fragen, niemanden scheint das Kriegsverbrechen in Italien betroffen zu machen.

Karl Gropler ist mit seinen 82 Jahren noch gut zu Fuß. Als er allerdings die Kamera entdeckt, klammert er sich an die Stalltür. An das Massaker kann er sich angeblich nicht mehr erinnern. Wohl aber an eine Kirche in einem italienischen Ort:

KLARTEXT
„Haben Sie denn gesehen, was mit den Zivilisten passiert ist?“
Karl Gropler, ehemaliger SS-Mann
„Ich habe gar nichts gesehen, ich war in der Kirche, weil ich wahrscheinlich zu doof war, weiß ich nicht.“

Das ist nach Meinung der italienischen Militärrichter die Kirche, von der Gropler spricht. Hier soll Gropler dabei gewesen sein, als dutzende Dorfbewohner zusammengetrieben und danach erschossen wurden. Um die Spuren ihrer Mordtaten zu verwischen, schleppten die SS-Männer anschließend die Kirchbänke heraus, türmten sie über die Leichenberge und setzten alles in Brand.

KLARTEXT
„Dort wurden ja alle Menschen, die zusammengetrieben waren, umgebracht…“
Karl Gropler, ehemaliger SS-Mann
„…da habe ich nichts von gesehen, von so was, dass die da... Deswegen bin ich ja so erstaunt, dass ich hier… So einen Massenmord habe ich nicht gesehen.“

In einer Vernehmung im Jahr 2003 gestand Gropler allerdings ein, Zivilisten in einem Dorf mit zusammengetrieben zu haben. Auf Befehl habe er sie auch bedroht:
Zitat:
„Eine Person der Gruppe wollte nach rechts gehen, obwohl sie nach links gehen sollte…Dann habe ich zu der Person ‚si nistra’ gesagt. Hierbei habe ich meine Pistole auf ihn gerichtet. Er ist dann auch nach links gegangen und ich meine Pistole wieder einstecken.“

In Wollin können viele nicht verstehen, dass die Gerichte noch heutzutage gegen einen Kriegsverbrecher vorgehen.

Dorfbewohnerin
„Aber das jetzt gerade wieder aufzurollen und dann so einen alten Mann, das ist mir alles nicht begreiflich.“
Dorfbewohnerin
„Und was so früher war. Weiß ich, was mein Großvater gemacht hat. Keine Ahnung. Oder was er machen musste. Das weiß doch kein Mensch.“
Dorfbewohner
„Ich sage bloß: Den Mann sollte man in Ruhe lassen. Es waren mehrere gewesen.“

Karl Gropler selbst spricht nicht über das, was er damals im Einzelnen tat. Er verweist auf Befehle, denen er sich angeblich nicht widersetzen konnte.

Karl Gropler, ehemaliger SS-Mann
„Was hatte man denn da zu sagen: gehorchen oder an der Wand stehen, eines hat es doch früher bloß gegeben bei dem Verein.“

Doch es ging damals auch anders: Einige zum Beispiel überlebten nur, weil ein SS-Offizier eine befohlene Erschießung einfach absetzte:

Enio Mancini, Überlebender des Massakers von Sant’Anna
„Direkt vor uns, auf einem Gestell hatten sie ein Maschinengewehr aufgebaut. Und das luden sie mit Munitionsbändern. Wir mussten aufstehen und warten. Es vergingen zehn, fünfzehn Minuten, die uns wie eine Ewigkeit vorkamen. Weil wir schon begriffen hatten, dass sie nun auf uns schießen würden. Wir warteten und wussten nicht, warum wir noch warten mussten. Dann kam ein Soldat, ein Vorgesetzter, wahrscheinlich der Offizier, der die Gruppe anführte. Er sah uns und fing an Befehle auf deutsch zu brüllen, er rief immer ‚Raus! Schnell! Raus! Schnell!’.“

Befehlsverweigerung, die Leben rettete. Historiker wie Wolfgang Wippermann haben jahrzehntelang keinen Fall gefunden, in dem ein SS-Mann bei Befehlsverweigerung umgebracht wurde:

Prof. Wolfgang Wippermann, Historiker FU Berlin
„Befehlsnotstand bedeutet, wenn ich verweigere, Verbrechen zu begehen, werde ich selber getötet oder hart bestraft. Das hat es einfach nicht gegeben. Das war dann eine Schutzbehauptung nachträglich in den Prozessen, die in allen Fällen nicht belegt werden konnte.“

Solche historischen Tatsachen sind in Wollin kaum bekannt. Statt dessen verteidigen die Dorfbewohner ihren Nachbarn.

Übrigens: Laut Wehrmachtsbericht waren die Toten von Sant’Anna angeblich Banditen und Bandenhelfer.150 Kinder wurden hier ermordet, das jüngste war zehn Wochen alt.