Bild alter Stasiakten (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- STASI-Verdacht – Laxe Aufarbeitung bei Gewerkschaft der Polizei

Als der Verdacht laut wurde, dass Andreas Schuster, Bundesvorstandsmitglied und zugleich Landesvorsitzender der Brandenburger Gewerkschaft der Polizei, als IM für die Staatssicherheit tätig gewesenen sein soll, wehrte der GDP-Bundesvorstand ab: Gewählte Funktionäre seien durch die Innenministerien und Mitarbeiter durch die GdP selbst überprüft worden. Doch KLARTEXT-Recherchen ergaben: Auch gegen einen anderen leitenden Mitarbeiter des Bundesvorstands besteht IM-Verdacht.

20 Jahre nach dem Fall der Mauer kommt die Landesregierung Brandenburg jetzt endlich auf die Idee, einen Stasi-Beauftragten einzusetzen. Heute, Sie haben es vielleicht gehört, wurde im Landtag in Potsdam ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Reichlich spät, denn alle anderen ostdeutschen Länder haben längst einen Stasi-Beauftragten. Dabei hat es Brandenburg besonders nötig, wie wir in den vergangenen Sendungen berichtet haben. Immer mehr rückt jetzt auch die Gewerkschaft der Polizei in den Fokus. Gabi Probst mit Einzelheiten.

Dietmar Michael will nicht mit uns reden. Der Brandenburger arbeitet im Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei, ist für Werbung und Bildung zuständig und vertritt den Geschäftsführer, eine Vertrauensstellung.

Der Grund seines Schweigens: Für die Birthler-Behörde gilt er als ehemaliger IM. Auch wenn keine Verpflichtungserklärung gefunden wurde, so legen doch Stasi-Dokumente den Verdacht nahe, dass Michael als IM Nelke für die Stasi tätig war.

Auch Andreas Schuster steht unter IM-Verdacht. Schuster ist Brandenburger Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei und Bundesvorstandsmitglied. Auch er gibt uns trotz mehrfacher Bitten kein Interview.

Andreas Schuster bestreitet bis heute, je als IM gearbeitet zu haben. Und der Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei stärkt ihm den Rücken, nennt die Vorwürfe unhaltbar und gibt in einer Pressemitteilung bekannt:

Zitat
„Schuster habe nicht als Inoffizieller Mitarbeiter für die Stasi gearbeitet…“

Doch in der Hinterlassenschaft des Ministeriums für Staatssicherheit existieren drei Karteikarten mit Name, Geburtsdatum und Adresse des Andreas Schuster.

Und es gibt viele Änderungen auf diesen Karten. Zuerst soll Schuster als GMS Andreas, also Gesellschaftlicher Mitarbeiter, dann als IM Andreas und dann als IM Werner gearbeitet haben - für die Abteilung VII der Stasi, die für die Polizei zuständig war. Noch im Frühsommer '89, so die Akten, soll Schuster sogar ein FIM, ein sogenannter Führungs-IM geworden sein und damit selbst andere IMs geführt haben.

Auch dazu schweigt Andreas Schuster.

Harry Ewert fertigte 1998 für den Deutschen Bundestag einen Bericht über die Stasi-Überprüfungen in den neuen Ländern an. Er hat dafür Tausende Stasi-Akten gesichtet.

KLARTEXT
„So eine Akte, die immer wieder neue Daten aufweist, vom GMS zum FIM?“
Harry Ewert, ehem. Runder Tisch
„Also da gibt es ganz konkrete Vorschriften. Denn da gab es ja eine ganz konkrete IM-Ordnung. Und daran hatten die sich zu halten.“
KLARTEXT
„Und wenn daran immer neue Eintragungen sind…?“
Harry Ewert, ehem. Runder Tisch
„…dann ist dementsprechend auch gearbeitet worden.“

Trotz dieser Indizien: Der Bundesvorstand der Polizeigewerkschaft sieht keinen Handlungsbedarf im Fall Andreas Schuster. Die Gewerkschaft beruft sich auf eine Überprüfung in der Vergangenheit:

Zitat
„…Schon 1992 hat die Gewerkschaft der Polizei (GdP) (…) im Zuge der Erweiterung ihres Organisationsgebietes auf die neuen Bundesländer alle maßgeblichen Funktionsträger durch den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, der so genannten Gauck-Behörde, überprüfen lassen…“

Doch das reicht nicht, meint der Bundestagsabgeordnete Stephan Hilsberg.

Stephan Hilsberg (SPD), Mitglied des Bundestages
„In der Zwischenzeit sind da eine ganze Menge an neuen Forschungsergebnissen zu Tage getreten und ich glaube, sich auf das Datum 1992 noch heute zu berufen, das ist zu wenig.“

Auch er müsste eigentlich überprüft worden sein. Dietmar Michael ist leitender Mitarbeiter im Bundesvorstand der Gewerkschaft der Polizei. Auch für ihn existiert eine Registrierkarte – aber keine Verpflichtungserklärung. Er wurde unter dem Decknamen „Nelke“ geführt. Ein Führungsoffizier hat in einem so genannten Vorgangsheft diverse operative Vorgänge mit Registriernummern festgehalten.

Demnach soll "Nelke" mehrfach von seinem Führungsoffizier zum Bespitzeln der eigenen Kollegen eingesetzt worden sein. Mehrere solcher Vorgänge haben wir bei unseren Recherchen gefunden.

Die Akte „Jüngling“ hat uns besonders betroffen gemacht. In ihr wird geschildert, wie ein Potsdamer Polizist von seinen Kollegen bespitzelt wurde. Einer der Spitzel-Kollegen soll IM Nelke gewesen sein. Die Konsequenz der Überwachung: Der Polizist wurde aus dem Dienst entlassen.

Wir haben das Opfer gefunden. Der Mann bat uns, sein Gesicht nicht zu zeigen. Noch heute schmerzt ihn die Erinnerung.

Mann
„Man hat zu mir gesagt, ich bin ein Verräter. Und das ging mir immer durch den Kopf. Was habe ich denn verraten? Wissen Sie ich bin nicht klar gekommen. Die Frage stand immer, was habe ich denn verbrochen?“

Nach der Entlassung aus dem Polizeidienst begann für den Mann ein Spießrutenlauf.

Mann
„Man hat mich fertig gemacht. Man hat mich ja gemieden auf der Straße. Es gab nur einige, eins, zwei drei, die mich mal besuchen kamen. Aber ansonsten hat man mich gemieden.“

Er ist inzwischen rehabilitiert.

Doch bei der Bundesführung der Gewerkschaft der Polizei gibt es bis heute keine systematische Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Ein möglicher Grund:

Stephan Hilsberg (SPD), Mitglied des Bundestages
„Ich glaube, dass vielen bei der Gewerkschaft die Brisanz des Themas nicht wirklich bewusst war oder dass auf der anderen Seite sie sich gefürchtet haben vor den belastenden Momenten, die bei einer intensiven Untersuchung ans Licht gekommen wären.“

Bis zur Änderung des Stasi-Unterlagengesetzes im Jahr 2006 hatte die GdP die Möglichkeit, alle Mitarbeiter überprüfen zu lassen. Doch daran bestand wohl kein Interesse.

Stephan Hilsberg (SPD), Mitglied des Bundestages
„Es kann einer Gewerkschaft, die ihrer freiheitlichen Traditionen bewusst ist, doch nicht gleichgültig sein, dass in ihren eigenen Mitarbeiterreihen eine ganze Reihe an ehemaligen Staatssicherheitsleuten darunter sind. Insofern glaube ich, es hat auch so etwas wie eine Verdunklungs- und Vertuschungstaktik gegeben.“


Gabi Probst