Urkunde von Erwin Strittmatter (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Strittmatter im Schatten seiner Vergangenheit

Erwin Strittmatter, einer der bedeutendsten Schriftsteller der DDR. Nach der Wende wurde bekannt, dass er der Stasi zugearbeitet hat. Jetzt haben Historiker herausgefunden, dass er im 2. Weltkrieg Mitglied der berüchtigten Polizeibataillone war. In Spremberg wird nun darüber gestritten, ob er weiter als Namensgeber einer Schule und einer Straße fungieren soll.

Als der Schriftsteller und Nobelpreisträger Günter Grass vor zwei Jahren urplötzlich bekannte, als Jugendlicher Mitglied in der Waffen-SS gewesen zu sein, ging ein Aufschrei der Empörung durch die Republik. Nun gibt es einen ähnlichen Fall. Es geht um Erwin Strittmatter, einen der erfolgreichsten Autoren in der DDR. 14 Jahre nach seinem Tod kam jetzt heraus, dass auch seine Vergangenheit im 3.Reich nicht so unschuldig war, wie Strittmatter es zu Lebzeiten dargestellt hat. Doch hier geht es nicht nur um Wahrheit und Lügen eines Mannes, hier geht es um das Selbstverständnis im Osten. Denn Erwin Strittmatter war eine Ikone der DDR. Und die will man sich in seiner Heimatstadt Spremberg nicht kaputtmachen lassen.

Spremberg am vergangenen Samstag: Ex-Bürgermeister Egon Wochatz führt eine Gruppe Strittmatter-Verehrer durch die Stadt.

Egon Wochatz (CDU), Stadtverordneter Spremberg
„Ich begrüße Sie im Namen des Strittmatter-Vereins, des Erwin-Strittmatter-Vereins zu einem Rundgang heute. Dann bitte mir nach!“

Der Schriftsteller Erwin Strittmatter ist in Spremberg allgegenwärtig: Neben dem Strittmatter-Verein gibt es eine Strittmatter-Promenade, ein Strittmatter-Gymnasium, das der Namensgeber selbst besucht hat. Die Region trägt den Titel „Strittmatter-Land“, und im Jahr 1988, noch zu Lebzeiten, wurde der Autor Ehrenbürger von Spremberg.

Erwin Strittmatter, der Schriftsteller aus der Lausitz war in der DDR ein Star-Autor.

Seine Helden: meist einfache Leute, die nicht so ganz in die offizielle DDR-Doktrin passen wollten. Romane wie „Der Wundertäter“ waren Kult. Bundesweit bekannt wurde Strittmatter erst nach seinem Tod: durch die Verfilmung seines Romans „Der Laden“.

Der Autor, der sich selbst als „apolitischen Menschen“ bezeichnete, galt in der DDR als moralische Instanz.

Doch vor drei Wochen fiel ein Schatten auf das Andenken des Schriftstellers: Ein Historiker enthüllte: von 1941 bis 1945 diente er bei der Ordnungspolizei im Bataillon 325.

Hinter dem unverfänglichen Namen verbarg sich eine Elitetruppe der Nazis, die wie die Waffen-SS einen grausamen Partisanenkampf in den besetzten Gebieten führte.

Stefan Klemp, Historiker
„Also Polizeibataillone haben eine sehr hohe Zahl von Zivilisten ermordet, und zwar direkt durch Erschießungen. Man kann also von einer halben Million Menschen ausgehen, die von Angehörigen von Polizeieinheiten erschossen worden sind.“

In Slowenien und Griechenland war Strittmatters Bataillon an Ermordungen von Zivilisten beteiligt. Ab 1943 trug sein Verband das Kürzel SS im Namen, hieß fortan SS-Polizei-Gebirgsjägerregiment 18. Der Reichsführer SS und Chef der Polizei Himmler hatte die Umbenennung angeordnet. Eine „Auszeichnung“ für das rücksichtslose Vorgehen gegen Partisanen und Zivilisten wie hier in Jugoslawien.

Strittmatter war zu dieser Zeit Bataillonsschreiber, über seinen Schreibtisch gingen Einsatzberichte und Befehle. Wegen „guter Kriegstagebuchführung“ wurde er später in das zentrale Film- und Bildarchiv versetzt.

Dort fasste er die Berichte verschiedener Einheiten zusammen, hatte also Kenntnis von vielen Einsätzen der Ordnungspolizei. Doch diese Unterlagen wurden kurz vor Kriegsende 1945 vernichtet. Die Aufarbeitung war mühsam, Zeugen schwiegen - auch Strittmatter.

Stefan Klemp, Historiker
„Wenn er eben diese Kenntnis hatte und wenn er diese Kenntnis offenbart hätte, dass man dann natürlich viel früher hätte ansetzen können und was aufarbeiten können. Nur er ist ja auch in der DDR gewesen, hat dort gelebt. Und wie alle, die daran beteiligt waren, hatte er natürlich kein Interesse gehabt, das zuzugeben, dass er davon gewusst hatte.“

Und so erfuhr Spremberg erst vor drei Wochen, wo der Namensgeber der Promenade und des Gymnasiums zwischen 1941 und 45 gedient hatte. Der Bürgermeister reagierte damals entschlossen.

Klaus-Peter Schulze (CDU), Bürgermeister Spremberg Archiv 10.06.2008
„Wenn sich das alles bestätigt, so wie ich’s jetzt kenne, werde ich den Abgeordneten vorschlagen, dass wir eine Umbenennung der Straße vornehmen.“

Zwei Wochen später: Der Hauptausschuss der Stadtverordnetenversammlung trifft sich. Doch die Abgeordneten wollen ihrem Bürgermeister nicht so recht folgen. Sogar die eigentlich dem Antifaschismus der DDR nahe stehende Linke will alles so lassen, wie es ist.

Birgit Wöllert (Die Linke), Stadtverordnete Spremberg
„Wenn die Strittmatter-Promenade umbenannt würde, würde das bedeuten, dass Erwin Strittmatter ein Mensch war, der sich Verbrechen schuldig gemacht hat. Das Signal würden wir aussenden.“

Und auch in der eigenen CDU konnte sich Bürgermeister Schulze nicht durchsetzen. Ausgerechnet sein Amtsvorgänger Wochatz stellt sich gegen ihn. Dass Strittmatter seine Vergangenheit verschwiegen hat, stört ihn nicht.

Egon Wochatz (CDU), Stadtverordneter Spremberg
„Da verdrängt man. Und wenn Sie mit Kriegsteilnehmern sprechen – auf der einen Seite dann wird alles verdrängt, was negativ war – und man erinnert sich an Dinge, die einem positiv vorgekommen sind. Aber dieses Verdrängen ist wichtig für jeden Menschen im Bezug auf Dinge, die er im Leben als negativ erfahren hat. Also auch der Krieg als solcher, ne schlimme Geschichte.“

Mehr als nur eine „schlimme Geschichte“ scheint die Angelegenheit auch für den Bürgermeister nicht mehr zu sein. Von seiner Entschlossenheit, die Promenade umzubenennen, ist jedenfalls nicht mehr viel übrig.

KLARTEXT
„Sind Sie immer noch der Auffassung, dass wenn sich die Fakten so bestätigen, die Strittmatter-Promenade umbenannt werden müsste?“
Klaus-Peter Schulze (CDU), Bürgermeister Spremberg
„Der Bürgermeister alleine entscheidet nicht, sondern das ist eine kollektive Entscheidung und ich werde mich dazu äußern, wenn ich weitere Informationen eingesammelt habe.“

Um an weitere Informationen zu kommen, hatten die Mitglieder des Hauptausschusses eine einfache Idee: Der Strittmatter-Verein – also ausgerechnet die organisierten Strittmatter-Liebhaber um Ex-Bürgermeister Wochatz – könne die Forschungsarbeit doch für die Stadtverordneten erledigen. „Ergebnisoffen“, wie es heißt.

Vor dem Strittmatter-Gymnasium erfahren die Vereinsmitglieder dann schon vorab, wie das Ergebnis der – noch zu führenden Untersuchung – aussehen könnte.

Egon Wochatz (CDU), Stadtverordneter Spremberg
„Wir sehen keinen Grund, im Augenblick uns im Grundsätzlichen anders zu positionieren in Bezug auf Erwin Strittmatter. Das heißt also: Die Strittmatter-Promenade, über die wir gleich noch gehen werden, bleibt die Strittmatter-Promenade. Wir empfehlen nicht, dass der Kreis sich entsprechend anders positioniert. Und auch in Bezug auf die Ehrenbürgerwürde haben wir keinen Anlass gesehen, da irgendwo zu drehen. Das in aller Kürze.“

Beifall von den Mitgliedern des Vereins, der eigentlich eine ergebnisoffene Untersuchung führen soll.

Schließlich steht mit Strittmatter einer von ihnen am Pranger – einer aus dem Osten. Ein Brief ehemaliger Schüler des Jahrgangs 55 erregt die Gemüter. Die Unterzeichner hatten die DDR nach ihrem Abschluss verlassen. Heute fordern sie eine Umbenennung des Gymnasiums.

Egon Wochatz (CDU), Stadtverordneter Spremberg
„Ich gehe selten auf die Barrikade, aber hier bin ich mal auf die Barrikade gegangen. Wir lassen uns das hier vor Ort nicht vorschreiben. Das lassen wir uns nicht vorschreiben. Wir nehmen zur Kenntnis und sehen im Augenblick keinen Anlass, darauf zu reagieren und werden dann auch noch bestimmte Dinge zu hinterfragen haben. Aber wir lassen uns nicht von Leuten, die vor 61 die DDR verlassen haben, jetzt hier etwas vorschreiben. Dass man mit ihnen diskutieren kann, das versteht sich, aber …“

Der halbherzige Umgang mit Strittmatter hat Tradition in Spremberg. Der Abgeordnete Andreas Lemke erinnert sich, dass schon einmal eine unangenehme Geschichte gedeckelt wurde.

Andreas Lemke (SPD), Stadtverordneter Spremberg
„Mich erinnert das jetzige Geschehen daran, dass 1996, wo der SPIEGEL-Artikel zu den Stasikontakten von Erwin Strittmatter auftauchte in Spremberg das überhaupt kein Thema war. Das Vereinsmitglied und Gründungsmitglied Wochatz war damals Bürgermeister in Spremberg und am liebsten glaube ich, wäre das bei der jetzigen SS-Geschichte von Erwin Strittmatter auch so abgegangen, dass in Spremberg möglichst keiner groß aufwirbelt.“

Die Stasi-Vergangenheit Strittmatters stand zwar im SPIEGEL, ist in Spremberg aber kaum bekannt. Als „Geheimer Informator“ „GI Dollgow“ bespitzelte der Schriftsteller von 1959 bis 1961 seine Kollegen. Zitat aus seiner Stasi-Akte:
„In der Zusammenarbeit war festzustellen, dass der GI eine eigene Initiative entwickelte und alle an ihn gerichteten Fragen offen und ohne zu zögern beantwortete.“

Und auch seine Vergangenheit bei der Ordnungspolizei war der Stasi bekannt.

Die SED wusste ebenfalls Bescheid – im Gegensatz zur Öffentlichkeit. Ende der 50er Jahre ist Strittmatter bereits einer der wichtigsten Autoren der DDR. Als er zum 1. Sekretär des Schriftstellerverbandes gewählt werden soll, muss er sich vor der Partei erklären.

Allerdings liest sich seine Variante des Krieges auffallend harmlos. Von „Objektbewachung“ in Jugoslawien und „Kontakt mit griechischen Kommunisten“ ist die Rede. Die Einsätze gegen die Zivilbevölkerung kommen nicht vor. Doch die Partei gibt sich zufrieden und will die Einzelheiten wohl auch gar nicht genauer wissen. Beim Forschungsverbund SED-Staat kennt man das Phänomen, dass die Partei es mit der antifaschistischen Aufarbeitung in Wahrheit oft nicht so genau nahm.

Jochen Staadt, Forschungsverbund SED-Staat
„Für die SED und die DDR war der erste Sekretär des Schriftstellerverbandes ein internationaler Repräsentant nicht nur einer in der DDR. Und die Geschichte eines solchen Mannes, wenn der in einem Polizeibataillon gedient hatte unter Umständen mit Sondereinsätzen, konnte man gar nicht offen legen. Das hätte das ganze Bild beschädigt.“

Mit seinem Selbstbild war Strittmatter kurz vor seinem Tod jedenfalls im Reinen.

Erwin Strittmatter, 1992
„Also ich bereue keinen Augenblick. Ich bin ich. Und abbitten für das, was ich gewesen bin, das tue ich bei niemandem.“

Erwin Strittmatter: Ein Ehrenbürger, der seine Vergangenheit verschwiegen hat: die beim SS-Polizei-Gebirgsjägerregiment 18 und die bei der Stasi.

Andreas Lemke (SPD), Stadtverordneter Spremberg
„Falls sich diese Vorwürfe jetzt inhaltlich noch bestätigen, was ja, wo man ja fast von ausgehen muss, mittlerweile, dann ist die Frage nicht mehr zu halten, dann kann man die Ehrenbürgerschaft nicht aufrechterhalten.“