Marianne Birthler (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Umwandlung der Birthler-Behörde in eine Stiftung - wird eine Institution politisch kaltgestellt?

Bundesinnenminister Schily will sie nicht mehr in seiner Zuständigkeit haben, die Behörde für die Stasiunterlagen. Denn von Anfang an gab es Ärger damit. Ihr erster Chef, Joachim Gauck, mischte sich immer wieder in die politische Diskussion um die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Zuletzt machte der Streit um die Kohlakten Schlagzeilen. Betroffene und Bürger-rechtler fürchten die Abwicklung einer einmaligen Behörde.

Stellen Sie sich das mal bildlich vor: 180 Kilometer Akten! Diese Akten erzählen Schicksale: von mutigen Menschen und von Bespitzelung, Zermürbung, Terror in der Ex-DDR. Dass es diese Akten gibt ist alles andere als selbstverständlich. Dass Opfer von einst darin lesen dürfen, erst recht nicht. Die Rede ist von der Behörde für Stasi-Unterlagen. Sie ist ein einzigartiges Beispiel für selbstbestimmten Umgang mit Vergangenheit. Wie wurde diese Behörde doch gelobt?! Wie wurde sie gefeiert!? Doch die Zeit der spektakulären Enthüllungen ist vorbei, die Aufarbeitung taugt nicht mehr für Schlagzeilen. Im Bundes-Kabinett wird demonstrativ laut über das Aus der Behörde nachgedacht, denn dort hat die engagierte Chefin Marianne Birthler nicht nur Freunde. Sascha Adamek und Andrea Everwien berichten.

Jakob Heinemann war 13 Jahre alt, als sein Vater starb. Das war im Januar 1989. Erst Jahre später erfuhr er, dass sein Vater als Regimegegner verfolgt worden war und sich schließlich das Leben genommen hatte. Heute sucht er die Stasi-Unterlagenbehörde auf, um herauszufinden, wie es zum Tod seines Vaters kam. Bereits vor drei Jahren hatte er die Einsicht in die Akten seines Vaters beantragt.

Jakob Heinemann
„Er hat Ende der 70iger, Anfang der 80iger Schriften aus Westdeutschland veröffentlicht, hat Mitschnitte von Radiosendungen im Deutschlandfunk gemacht, was natürlich alles verboten war. Die wurden dann kopiert und verbreitet. Daraufhin wurde er festgenommen, wurde mehrfach verhört, kam danach in psychiatrische Anstalten und hat sich dann 1989 das Leben genommen, wo wir davon ausgehen, dass das mit diesen Stasi-Vorfällen zusammenhängt.“

Es ist kein einfacher Behördengang. Wer hierher kommt, ist voller Ängste vor bösen Überraschungen. Deshalb werden die Bürger von Sachbearbeitern wie Brigitte Schütze betreut. Sie kennt bereits die Akte von Heinemanns Vater und bereitet ihn in einem Gespräch auf die Akten vor. Die Birthlerbehörde ist mehr als ein Archiv. Die Betreuer werden psychologisch geschult, um den Betroffenen zur Seite zu stehen:

Brigitte Schütze, Stasi-Unterlagenbehörde
“Da versuche ich dann schon – also wenn jetzt, sag ich mal, böse Sachen drin stehen, ihm das so ein bisschen vorweg aufzubereiten. Dass man dann nicht völlig geschockt ist wenn also gerade in Partnerschaften, wenn der Partner IM war, so was gibt’s ja auch.“

Im Lesesaal der Behörde kann Jakob Heinemann die Originalakten durchsehen. Hier findet er ein MfS-Foto von der Schreibmaschine seines Vaters, mit der er die illegalen Abschriften anfertigte.

Jakob Heinemann
„Dann habe ich kopierte Briefe von meiner Mutter gesehen, wo man sich auch wundern kann, wie die Leute da rangekommen sind, oder man hat eben gesehen, dass die Leute auf der Arbeit bespitzelt wurden von Kollegen, dass also mein Vater durch eine Kollegin sozusagen verpfiffen wurde.“

In den Akten begegnet Jakob Heinemann seiner eigenen Herkunft. Er weiß jetzt, wie sehr die Stasi seine Familiengeschichte beeinflusst hat. So wie Heinemann beantragen auch heute noch, 15 Jahre nach der Wende bis zu 8.000 Menschen im Monat bei der Birthlerbehörde eine Akteneinsicht.

Doch Ende vergangener Woche drohte plötzlich das Aus für die Behörde. Bislang hatte hier der Bundesinnenminister die Dienstaufsicht – aus gutem Grund: geht es doch um die Hinterlassenschaft des DDR-Geheimdienstes. Doch vergangenen Freitag ließ Otto Schily lapidar mitteilen, er gebe die Aufsicht jetzt ab - an die Staatsministerin für Kultur, Christa Weiss. Dabei ist die Kulturbeauftragte eigentlich nur für die Pflege des Geschichtsbewusstseins zuständig – nicht für die Aufarbeitung von politischer Vergangenheit, die heute noch relevant ist. Und: Noch am selben Tag kommt heraus, dass ihr Staatssekretär bereits ein Konzept für die Zerschlagung der Birthlerbehörde erarbeitet hat. Darin heißt es lapidar:

„Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheit“ wird in das Bundesarchiv integriert. Diese Umsetzung sollte im Jahre 2010 abgeschlossen sein.“

Der Bundestagsabgeordnete Werner Schulz, ein ehemaliger Bürgerrechtler, der selber am Runden Tisch beteiligt war, hält Schilys Vorgehen schlicht für gesetzeswidrig:

Werner Schulz, MdB Bündnis ’90 / Die Grünen
„Die Behörde ist 1991 mit gutem Grund dem Bundesinnenministerium unterstellt worden, was die Rechtsaufsicht anbelangt, weil es hier um Strafverfolgung geht, weil es hier um kriminelle Tatbestände geht. Wenn der Bundesinnenminister der Meinung ist, dass es nicht mehr der aktiven Aufarbeitung bedarf, dann muss er an das Parlament herantreten, dann muss das Gesetz verändert werden, das kann man nicht klammheimlich einfach so tun.

Demonstranten
“Stasi in den Tagebau.“

1989: Nichts war so verhasst wie die Staatssicherheit. Synonym für Spitzelei, Kontrolle, Angst. Endlich sollte Schluss damit sein. Endlich sollten die Akten den Betroffenen zugänglich werden.

4. November 1989: die größte Demonstration auf dem Alexanderplatz. Damals als Rednerin dabei: Marianne Birthler, die heutige Beauftragte für die Staatssicherheitsunterlagen:

Marianne Birthler (4.11.1989)
„Wer hat befohlen, dass Polizisten aufgehetzt wurden und Angst vor der Bevölkerung hatten.“

September 1990: eine aufgebrachte Menge vor der ehemaligen Stasizentrale in der Berliner Normannenstraße. Ein Gerücht geht um: die Akten sollten an den Bonner Geheimdienst oder ins Bundesarchiv gehen. Aus Protest besetzen Bürgerrechtler um Bärbel Bohley das Gebäude. Ihre Forderung:

Bürgerrechtler (September 1990)
„Also, ich denke, es muss sein, dass die Akten sicher gelagert werden, dass kein Geheimdienst Zugriff hat und dass Menschen, die davon betroffen sind, die Nachteile hatten oder die in Verleumdung geraten, Möglichkeit haben müssen, dort einzusehen.“

Der Erfolg der Bürgerrechtler: das Stasi-Unterlagengesetz, im Dezember 91 vom Bundestag beschlossen. Seitdem garantierten erst Joachim Gauck, dann Marianne Birthler für eine unabhängige Aufarbeitung der Stasivergangenheit. Vom Bundestag gewählt und allein ihm verantwortlich, ist die Institution der Bundesbeauftragten zu einer moralisch-politischen Instanz geworden, die jetzt ernsthaft bedroht ist:

Werner Schulz, MdB Bündnis 90 / Grüne
„Wir stehen da ja nicht an einem Endpunkt, sondern es ist gerade so, dass Osteuropa damit beginnt, diese tristen und trüben Kapitel aufzuarbeiten. Andere sind an uns herangetreten, Polen, die baltischen Staaten, Rumänien, selbst der Irak – Dort beginnt das überhaupt erst. Hier hätten wir etwas mitzuteilen. Hier haben wir uns wie gesagt etwas aufgebaut, was einmalig ist auf der Welt. Und wir fangen nun gerade damit dann wieder an, so etwas zu evaluieren, abzuwickeln, was ich da gelesen hab, ins Archiv nach Koblenz zu versenken, oder andere Dinge wieder zu experimentieren. Das ist völlig haltlos.“

Jakob Heinemann wird die Birthlerbehörde auch in Zukunft brauchen. Er hat bereits einen neuen Antrag gestellt. Ihm fehlen noch sieben Jahre Akten über die totale Überwachung seines Vaters:

Jakob Heinemann
“Er konnte sich nirgendwo mehr allein und sicher fühlen in irgendeiner vertrauten Umgebung. Die gab es für ihn nicht mehr. Deshalb bin ich so traurig, dass die Akte hier 1982 endet und werde irgendwie versuchen, da noch an andere Sachen ranzukommen, wo man vielleicht noch ein bisschen mehr erfährt.“

Kulturstaatsministerin Weiss hat die Pläne inzwischen übrigens dementiert. Das Papier sei nicht mit ihr abgesprochen, zu einem Interview mit KLARTEXT war Frau Weiss aber nicht bereit.

Beitrag vom Sascha Adamek und Andrea Everwien