Asylbewerber
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- Asylbewerber ohne Unterkunft - Wie sich die Bezirke um die Aufnahme der Flüchtlinge drücken

Die Zahl von Asylbewerbern in Berlin steigt weiter an. Senat und Bezirke streiten seit Monaten um die Unterbringung von Flüchtlingen. Senator Czaja will jetzt durchgreifen, auch gegen den Widerstand der Bezirke. Die führen gegen die Aufnahme der Asylbewerber das Baurecht ins Feld.

Wie muss es sein, aus seiner Heimat fliehen zu müssen, alles zurückzulassen, in einem fremden Land zu stranden – und dann zu erleben, dass einen niemand haben will. Zigtausenden Flüchtlingen ergeht das so. In Berlin hat ihre Zahl dramatisch zugenommen. Inzwischen ist die Lage richtig besorgniserregend! Denn: es gibt nicht mehr genügend Unterkünfte, um die ständig wachsende Zahl an Flüchtlingen unterzubringen. Doch statt unbürokratisch zu helfen, und so schnell wie möglich neue Unterkünfte zu schaffen, drücken sich viele Bezirkspolitiker vor der Verantwortung. Andrea Everwien und Marina Mai.

Diese Flüchtlingsfamilie lebt mit drei Kleinkindern auf 20 Quadratmetern. Zwei der Kinder sind schwer behindert und brauchen Ruhe, der gesunde Junge dagegen braucht mehr Platz zum Toben.

Der Vater ist verzweifelt, zeigt eine Bescheinigung der Charité: die Kinder müssen dringend in eine gesunde und saubere Umgebung, damit sie sich entwickeln können.

Doch alle Bescheinigungen nützen nichts, es gibt einfach zu wenig Platz für Flüchtlinge in Berlin.

Die Familie ist in einer ehemaligen Schule untergebracht, in einer Notunterkunft.
Die Klassenräume sind durch Decken unterteilt, das muss reichen für die Privatsphäre.

Mehr als die Hälfte der Bewohner hier sind Kinder. Oft genug verbringen sie die Tage vorm Fernseher. Das Nichtstun zerrt an den Nerven, macht angespannt und müde zugleich.

Im Souterrain: der einzige Gemeinschaftsraum, die Kantine.
220 Menschen warten in dieser Schule monatelang auf ihre ungewisse Zukunft.

Der Betreiber gibt sich redlich Mühe. Doch diese Lebensumstände sind auf Dauer unerträglich.

Claudia Schütz
Landesamt für Gesundheit und Soziales
„Es ist eine Notunterbringung, ist nicht ideal, vom Bezirk nicht gewünscht, im Moment können wir aber nicht rausgehen, weil ich nicht weiß, wo ich die Leute sonst lassen soll."

Morgens um 10 Uhr im Landesamt für Gesundheit und Soziales. Jeden Tag kommen hier neue Asylbewerber an. Frau Schütz und ihre Mitarbeiter haben fast 6.000 Flüchtlinge in Heimen untergebracht. Weil aber schon jetzt 200 Plätze fehlen, schlafen die Menschen in manchen Häusern sogar auf den Gängen.

Die Not ist groß – die Hilfsbereitschaft einiger Berliner Bezirkspolitiker aber offenbar klein.

Deswegen ist Sozialsenator Mario Czaja unter Druck. Jetzt rügt er öffentlich seine Bezirkskollegen.

Mario Czaja, CDU
Senator für Gesundheit und Soziales
„Ich stelle jedenfalls nur fest, dass bestimmte Dinge in einzelnen Bezirken möglich sind und in anderen Bezirken als nicht möglich dargelegt werden."

So heißt es etwa in Mitte: „Kein Asylbewerberheim im allgemeinen Wohngebiet" –
Spandau dagegen will „Kein Asylbewerberheim im Gewerbegebiet".

Offenbar ist jedes Argument recht, um Asylbewerberheime zu verhindern.

In Mitte geht es um dieses Hostel: 170 Zimmer, bisher genutzt von Jugendgruppen, die Berlin besuchen. Die Betreiberin – einst selber Flüchtling aus dem Iran – hat angeboten, hier mehrere hundert Asylbewerber in kleinen Appartements mit eigenem Bad und eigener Küche aufzunehmen. Schon jetzt sind 200 Flüchtlinge im Hinterhaus untergebracht.

Doch der Baustadtrat aus Mitte hat angekündigt, den Betrieb des Heimes zu verbieten. Seine Begründung: Ein „Asylbewerberheim mit 450 Plätzen" sei „im allgemeinen Wohngebiet nicht genehmigungsfähig".

Doch das stimmt so nicht. Verwaltungsrichter Matthias Schubert hat sich für KLARTEXT den Fall angeschaut.

Matthias Schubert
Vorsitzender Richter, Verwaltungsgericht Berlin
„Asylbewerberheime sind in der Regel Anlagen für soziale Zwecke und als solche im allgemeinen Wohngebiet nach der Baunutzungsverordnung regelmäßig zulässig."

Gern hätte KLARTEXT die Verantwortlichen im Bezirk Mitte nach ihrer Rechtsauffassung befragt. Doch offenbar mochte dort niemand die Argumente des Baustadtrates vertreten.

Er selbst war im Urlaub, deswegen sollten wir uns an den Stadtrat für Soziales wenden.
Der will aber nichts zum Thema sagen, verweist auf den Stadtrat für Gebäudemanagement. Mittags sagt dieser zu, abends aber leider wieder ab – und meint: fragen Sie doch den Baustadtrat – genau, den, der im Urlaub ist.

Immerhin, gestern Abend war der Urlaub zu Ende. Der Baustadtrat führt an, es hätten sich Anwohner über die Flüchtlinge im Hinterhaus beschwert.

Carsten Spallek, CDU
Baustadtrat Berlin-Mitte
„Es gibt derzeit schon Beschwerden, dass dort durch Kochen zum Beispiel, oder sich Aufhalten in Hofräumen, dass eine sehr intensive Belegung erfolgt, ein deutliches Lärmen, teilweise bis nachts um 2 oder um 3 Uhr."

Wegen Kochgerüchen und Lärm auf dem Hof sollen Flüchtlinge nicht ordentlich wohnen dürfen? Claudia Schütz will das nicht glauben.

Claudia Schütz
Landesamt für Gesundheit und Soziales
„Weil die 450 Asylbewerber, glaube ich, auch nicht viel schlimmer sind als die 450 Berlinbesucher, die vorher in dem Hostel übernachtet haben. Ich glaube, viele von ihnen haben den Wunsch, sich zu integrieren und sich möglichst unauffällig zu bewegen. Das ist die Erfahrung, die wir in allen Bereichen hier gemacht haben, in allen Unterbringungseinrichtungen, die wir haben."

Der Senator jedenfalls ist mit seiner Geduld am Ende. Er droht jetzt, dem Bezirk das Genehmigungsverfahren zu entziehen, denn er meint,

Mario Czaja, CDU
Senator für Gesundheit und Soziales
„dass man dann eben darüber nachdenken muss, ob bei einer gesamtstädtischen Aufgabe nicht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die obere Genehmigungsbehörde wird, weil wir Obdachlosigkeit zu vermeiden haben."

Doch nicht nur in Mitte sind Asylbewerber offenbar unerwünscht. In Spandau will man sie auch nicht haben – diesmal die Begründung: sie gehörten nicht ins Gewerbegebiet.

Es geht um diese ehemalige Kaserne. Die Arbeiterwohlfahrt betreibt hier eine Notunterkunft. Das umliegende Gelände ist groß, im Umfeld von ein paar hundert Metern wohnt hier niemand. Es gibt große Gemeinschaftsräume, sogar ein Kindergarten im Hause wäre denkbar.

Die AWO würde das Haus gern für den Dauerbetrieb herrichten – doch der Bezirk verweigert die Genehmigung. Auch Spandaus Bürgermeister beruft sich auf das Baurecht – doch diesmal mit einem anderen Argument, Zitat:

„Das Heim liegt in einem Gewerbegebiet. Dort ist ein Asylheim planungsrechtlich nicht zulässig."

Stimmt, sagt hier der Experte. Dennoch: wenn der Bezirk wolle, könne er auch in diesem Falle genehmigen. Zum Beispiel, indem er die Kaserne ausdrücklich vom Zwang befreit, ein Gewerbe zu beherbergen.

Matthias Schubert
Vorsitzender Richter Verwaltungsgericht Berlin
„Voraussetzung für die Befreiung ist, dass Gründe des Gemeinwohls die Befreiung erfordern und das könnte hier der Fall sein, weil eben die Asylbewerberzahlen steigen und die Bundesrepublik Deutschland als sozialer Rechtsstaat verpflichtet ist, die Asylbewerber aufzunehmen und unterzubringen."

KLARTEXT wollte wissen, warum Spandau keine Ausnahme macht, wenn dies doch möglich wäre.

Ergebnis: das gleiche Schwarze-Peter-Spiel wie in Mitte.

Der Baustadtrat verweist auf den Bezirksbürgermeister – der sagt, dass er nichts sagt und schickt uns zurück zum Baustadtrat. Aber der hatte ja schon abgesagt.

Manfred Nowak
Arbeiterwohlfahrt Mitte
„Es liegt zweifelsfrei am Bezirk, dass wir keine weiteren Menschen hier aufnehmen können, und dadurch die gesamtstädtische Situation insgesamt erschwert wird."

Berlins Bezirkspolitiker müssen sich bewegen. Denn auch sie können nicht riskieren, dass Flüchtlinge obdachlos werden.

Und sie können auch nicht verantworten, dass diese Kinder weiter auf 20 Quadratmetern leben müssen.


Übrigens: In Brandenburg gibt es ein ganz ähnliches Problem. Zahlreiche Flüchtlingsorganisationen haben die Landesregierung deswegen heute in einem offenen Brief scharf kritisiert: Die – Zitat – "skandalöse Wohnsituation von Flüchtlingen" in Brandenburg – müsse unverzüglich verbessert werden.

Beitrag von Andrea Everwien und Marina Mai