Heroes
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- Heroes - Arme Helden im Kampf gegen Gewalt

Sie gewinnen Preise für ihre Integrations-Arbeit, Senatoren lassen sich gern mit ihnen ablichten – doch wenn es um die Finanzierung geht, stehen sie relativ alleine da: die Heroes. Junge Männer mit türkischen oder arabischen Wurzeln, die sich den Kampf für Gleichberechtigung und gegen Gewalt im Namen der Ehre auf die Fahnen geschrieben haben. Ein wichtiges Projekt, das in Berlin kurz vor dem Aus steht. Dass es auch anders geht, zeigen Städte wie Duisburg oder Köln, in denen die Heroes Finanziers gefunden haben. KLARTEXT meint: Wer hier nicht hilft, schadet der Stadt!

Heroes, Helden – das ist ein Projekt junger, überwiegend muslimischer Männer in Berlin, die sich mit einem außergewöhnlichen Konzept für Gleichberechtigung und Menschenrechte engagieren. Wir haben bereits darüber berichtet. Politiker rühmen das Projekt gerne als Beispiel für tolerantes Miteinander. Und trotzdem droht den Heroes nun das finanzielle Aus! Andrea Everwien.

Rollenspiel
„Was machst du, steh mal auf, wo ist deine Schwester?“
„Ich weiß nicht, Baba.“
„Wie, du weißt es nicht?“
„Ich weiß es nicht.“
„Wie spät ist es, hast du mal auf die Uhr geguckt? Wenn ich nicht zuhause bin, wer muss auf deine Schwester aufpassen?“
„Ich."
„Ja, was tust du dann hier?“
„Ich weiß es nicht.“
„Wie, du weißt es nicht? Du gehst jetzt suchen, sofort, Ich will so was nie wieder erleben! Geh jetzt!"

„Was ist die Ehre eines Mannes?" „Die Jungfräulichkeit seiner Schwester."

Solche einfachen Antworten wollen diese jungen Männer türkischer Herkunft nicht mehr akzeptieren: die Heroes. Mit Rollenspielen gehen sie zu viert oder zu fünft in die Schulen, um mit Gleichaltrigen über männliche Ehre zu diskutieren. Ein Schauspieler und ein Psychologe haben sie selbst ein Jahr lang darauf vorbereitet.

Die Heroes haben sich zusammengefunden nach dem Mord an Hatun Sürücü. Die junge Frau wurde umgebracht von ihrem Bruder, weil sie selbständig leben wollte. Vor ein paar Wochen: Gedenkwache zum fünften Jahrestag. Gegen eine Kultur der Ehre, die solche Morde legitimiert.

Nesimi
"Heroes Berlin"
„Mein Herz klopft, ich merke, dass wir eine Aufgabe haben, dass solche Dinge nie wieder passieren dürfen."

Rona
„Heroes Berlin"
„Ich definiere meine Ehre weder durch meine Schwester noch durch die Gesellschaft und erst recht nicht durch Sexualität.“

Für eine solche Einstellung gibt es viel Lob vom Innensenator:

Frank Henkel (CDU)
Innensenator
„Das ist ein Wert an sich, deutlich zu machen, dass es sich um einen falschen Ehrbegriff handelt."

Lob und Anerkennung auch von der Senatorin für Integration: vor ein paar Tagen überreicht Dilek Kolat sechs neuen Heroes ihre Anerkennungsurkunden. Ein Jahr lang haben auch sie sich mit ihrer Rolle als türkische Männer auseinandergesetzt, jetzt werden auch sie in die Schulen gehen.

Dilek Kolat (SPD)
Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen
„Sie verändern viel in dieser Stadt, Sie verändern Berlin im positiven Sinne so dass unsere Stadt auch noch toleranter und noch respektvoller wird. Herzlichen Dank dafür."

Trotz allen Lobes: die Heroes stehen vor dem finanziellen Aus. 20.000 Euro hat ihnen der Senat in diesem Jahr zugestanden. Im Mai sind die aufgebraucht.

Doch mehr haben die Heroes von der Integrationssenatorin offenbar nicht zu erwarten. Befragt nach den Finanzen, sucht sie das Weite und schickt stattdessen
ihre Integrationsbeauftragte vor die Kamera.

Die verteilt zwar jährlich 800.000 Euro an Migrantenorganisationen. Doch offenbar setzt sie keine Schwerpunkte, verteilt nach dem Gießkannenprinzip: für jeden ein bisschen, für keinen genug.

Monika Lüke
Integrationsbeauftragte
„Sie glauben gar nicht, wie viele Projekte wirklich innovative Ansätze verfolgen, ihre eigenen Herkunftskulturen hinterfragen, mit ihnen arbeiten. Heroes ist was Besonderes, es gibt zum Glück zahlreiche besondere Projekte in der Stadt."

Doch die Heroes sind ein ganz besonderes Projekt. Denn hier hinterfragen nicht die Opfer der Ehrenkultur deren Regeln, sondern potentielle Täter. Diese jungen Männer sind in Deutschland geboren und aufgewachsen, dennoch haben sie selbst lange genug ihre „männliche Ehre" hochgehalten.

Deniz
„Heroes Berlin"
„Keiner hat sich eigentlich gefragt, warum ist es uns jetzt so wichtig, oder so. Das ist ein ganz kleines Beispiel. Oder mit der Freundin. ‚Ist Deine Freundin Jungfrau?’ Wenn man nein gesagt hat, dann war es schon so: ‚Du Ehrenloser oder so’: Also wurde nicht unbedingt ausgesprochen oder so, aber man hat schon auf jeden Fall – man musste schon darauf achten, dass man einen guten Ruf hat – und guter Ruf heißt immer: du bist immer so männlich wie es geht, sag ich jetzt mal. Lässt dir nicht unbedingt viel sagen und stolzierst durch die Gesellschaft.“

Yilmaz Atmaca ist ausgebildeter Schauspieler. Jede Woche trainiert er mit den Heroes den Perspektivwechsel. Wie fühlt es sich an, ein Mädchen zu sein?

Rona
„Heroes Berlin"
„Ich spiel die mit dem Minirock.“
Anderer Projektteilnehmer
„Also, ich könnte die Konservative spielen."

Die Gruppe beschließt: die beiden spielen zwei Freundinnen, die sich nach drei Jahren an der Uni wiedertreffen. Die eine: züchtig verhüllt, die andere mit kurzem Rock und tiefem Ausschnitt:

Rollenspiel
„Ich weiß nicht, früher hättest du nicht so angezogen!"
„Wie angezogen?“
„Ich weiß nicht, ich will dich ja nicht beleidigen – aber hast du nicht gerade gesehen, wie die Leute geguckt haben? Stört dich das eigentlich nicht?"
„Nein, lass sie doch gucken, das hat doch nichts mit mir zu tun…“

Was bestimmt das Verhalten – das Gesetz der Ehre, die Regeln der Gemeinschaft oder das eigene Empfinden?

Rona
„Heroes Berlin"
„Jeder kann von mir aus tun und lassen, was er will. Ich achte nur darauf. Man muss nur ein guter Mensch sein, darauf lege ich wert, das ist für mich wichtig, wie du mit deinen Menschen umgehst, wie man sich verhält in der Gesellschaft.“
KLARTEXT
„Also, du hast schon auch Werte?“
Rona
„Heroes Berlin"
„Ja, Werte habe ich, natürlich. Aber ich meine, ich achte nicht mehr so auf die Ehrkultur."

Die „Heroes" wollen die Gesellschaft verändern – und fangen bei sich selbst an. Sie verzichten darauf, ihre Freundinnen zu beherrschen, dafür gewinnen sie Beziehungen auf Augenhöhe.

Yilmaz Atmaca
Schauspieler und Coach „Heroes Berlin"
„In einem System, in dem Männer bevorzugt sind, in dem Männer die Regeln und Macht verteilen und auch die kontrollieren, ist die Beziehung zwischen Männern und Frauen ganz anders: da entsteht mehr Angst, da entsteht mehr Kontrolle. Wir sind Gefangene in unserem System und deswegen müssen wir auch uns – um uns zu befreien – dagegen einsetzen und auch das erklären."

Das Land braucht noch immer noch neue Männer. Die „Heroes" sind ein guter Anfang. Berlin sollte froh darüber sein – und sie ganz besonders unterstützen.

Beitrag von Andrea Everwien