Bürgerwehr, Bild: rbb

- Notwehr oder Selbstjustiz? Bürgerwehren in Brandenburg

An der Grenze zu Polen steigt die Kriminalität. In manchen Orten gehen die Bürger jetzt selbst auf Streife. Wackelt das Gewaltmonopol des Staates?

Anmoderation
Es ist eines der Themen der bevorstehenden Brandenburg-Wahl: Die innere Sicherheit. Hierbei besonders im Fokus: die zunehmende Grenzkriminalität. Entlang der Oder fühlen sich viele Menschen alleine gelassen, haben längst kein Vertrauen in die Polizei mehr. Die bedenkliche Folge: Bürger nehmen es inzwischen selbst in die Hand, sich zu schützen. Eine Reportage von André Kartschall und Christoph Rosenthal. 

Nachts, wenn alles schläft, macht sich Peter Chvosta auf den Weg zu seinem Zweitjob. Wie viele andere Bewohner des Dorfes Lawitz passt er auf, dass nichts gestohlen wird. Denn in dem Vorort von Eisenhüttenstadt ist eine Diebesbande aktiv: Motorräder, Rasenmäher, Fahrräder. In immer kürzeren Abständen kommen die Diebe und verschwinden wieder – unerkannt. Die Polizei ist machtlos. Deshalb haben die Lawitzer die Sache selbst in die Hand genommen. Sie gehen auf Streife, jede Nacht, ehrenamtlich.

Peter Chvosta
"Wir bleiben in Verbindung, probieren jetzt auch gleich mal die Geräte aus, wenn wir draußen sind. Dass man das auch im Dunkeln halberwegs…, 'ne Lampe, Beleuchtung, hat jeder? "

Die Lawitzer vermuten: die Täter kommen aus dem nahen Polen. Nachdem die Grenzkontrollen Ende 2007 weggefallen sind, hat sich die Zahl der Diebstähle in Lawitz verfünfzehnfacht.

Seit einem Monat sind sie nun unterwegs – seit einem Monat wurde nichts mehr geklaut. Die Streifen sind offenbar effektiver als die offiziellen Ordnungshüter. Die Lawitzer sagen, sie handeln nur aus der Not heraus. Das Wort "Bürgerwehr" mögen sie nicht – zu martialisch. Falls sie bei ihren Streifen einmal einen Dieb beobachten sollten, wollen sie nur die Polizei rufen. Auf Selbstjustiz hat es hier niemand abgesehen.

Peter Chvosta
"Das ist doch gar nicht meine Aufgabe und ich bin auch nicht dafür ausgelegt, muss ich ganz ehrlich sagen. Nicht, dass ich ein Angsthase bin, aber Sie sehen ja selber: ich bin komplett unbewaffnet oder wie auch immer."

Eigentlich sind Bürger, die für ihre eigene Sicherheit sorgen und sich dabei in Gefahr begeben, in einem Rechtsstaat nicht vorgesehen. Schließlich ist das die Aufgabe der Polizei. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Soweit die Theorie. Doch wo der Staat versagt, entsteht eine Grauzone.

Peter Chvosta
"Eigentlich sollte das gar nicht sowas geben, wie es uns gibt. Das ist  doch … kann doch gar nicht gewollt sein, dass hier einer alleine das in die Hand nimmt, sein Dorf zu beschützen."
KLARTEXT

"Wollen Sie auch gar nicht?"
Peter Chvosta

"Auf gar keinen Fall!"
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"Warum machen Sie das dann?"
Peter Chvosta

"Na, weil wir Angst haben. Weil wir Angst haben, dass wir beraubt werden. Weil wir Angst haben, dass nachdem die Garagen fertig ausgeräumt sind, die ins Haus rein kommen. Das ist dann schon 'ne Art Prävention  gegen das, was wir…“ (schaut sich um) "Freund und Helfer, hm."
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"Na, ist doch gut, wenn die hier patrouillieren."
Peter Chvosta

"Ja."
Polizist

"Hallo."
Peter Chvosta

"Hallo."
Polizist

"Allet schick?"
Peter Chvosta

"Allet schick. Bis jetzt ruhig."
KLARTEXT

"Man kümmert sich um Sie."
Peter Chvosta

"Ja. Und wenn Ihr weg seid, was ist dann?"
KLARTEXT

"Dann sind Sie ja noch da."
Peter Chvosta

"Ja, dann sind wir wieder alleine."

Aus Geldmangel wird seit Jahren an der Brandenburger Polizei gespart – von mehr als 9.500 Stellen sind noch 8.220 übrig.

Wir treffen Brandenburgs Innenminister bei einem Wahlkampftermin. Er behauptet einfach, es gäbe kein Problem.

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"Ist das denn Sinn der Sache, dass die Leute selbst für ihre Sicherheit sorgen müssen?"
Ralf Holzschuher (SPD)
Innenminister Brandenburg

"Das müssen sie nicht, es gibt keine Not. Die Sicherheit ist auch in der Grenzregion gewährleistet. Und da, wo es Probleme gibt, wie aktuell in einigen Städten in der Grenzregion, da ist die Polizei dabei, lageabhängig zu reagieren und die Kräfte zu verstärken."

Tatsächlich sind momentan mehr Streifenwagen an der Grenze unterwegs. Doch die Aktion ist erst einmal zeitlich befristet – bis kurz nach der Landtagswahl. Die Lawitzer wollen, falls es sein muss, länger auf Streife bleiben. Jede Nacht.

Ortswechsel: Die Gemeinde Bleyen-Genschmar, nördlich von Frankfurt/Oder. Auch hier wird mehr gestohlen – zehnmal so viel wie noch im Jahr 2007. Auch hier laufen Bürger Streife, manche wollen lieber nicht gezeigt werden, einer von ihnen wurde kürzlich bedroht.

Sicherheitspartner Bleyen-Genschmar
"Wir schauen, ob wir fremde Kennzeichen sehen, Kennzeichen, die uns aus anderen Nächten bekannt vorkommen."

In Bleyen-Genschmar läuft es wie in Lawitz – mit einem Unterschied: Die Streifengänger sind staatlich anerkannt – als so genannte "Sicherheitspartner" der Polizei. Ein stolzer Titel – viel mehr aber auch nicht.

Sicherheitspartner Bleyen-Genschmar
"Wir haben von der Polizei in einer Feierstunde unsere Dienstausweise bekommen, eine laminierte Karte. Dann haben wir, ja, die besten Wünsche mit auf den Weg bekommen und das war's dann eigentlich auch gewesen."

25 Euro Aufwandsentschädigung gibt es pro Monat – eine symbolische Summe. Günstiger kann das Land Brandenburg Hilfspolizisten nicht bekommen. In Bleyen-Genschmar befürchten manche schon, dass die Sicherheitspartner die Polizei dauerhaft ersetzen sollen.

KLARTEXT
"Wie lange wollen Sie das durchhalten?"
Sicherheitspartner Bleyen-Genschmar

"Ja, das fragen wir uns selber. Wie lange das noch gehen soll, bis die Politik endlich mal sagt: 'Halt, jetzt ist Stopp. Wir können uns das jetzt nicht mehr länger angucken, was die Leute da draußen machen. '"

Das Modell "Sicherheitspartner" hat noch einen anderen Vorteil für die Polizei: sie weiß, mit wem sie es zu tun hat. Jedes Mitglied muss erst einmal ein einwandfreies Führungszeugnis vorlegen können.

Letzte Station: Eisenhüttenstadt Auch hier gibt es mehr Diebstähle bei Autos. Mehr als sechsmal so viele wie 2007. Und hier gibt es eine Gruppe, die sich explizit "Bürgerwehr" nennt. Sicherheitspartner wollen die Mitglieder allerdings nicht werden. Bei einem Kennlerntreffen mit Polizei und Stadtvertretern wollten einige nicht einmal sagen, wer sie sind.

Auf der Facebook-Seite der Bürgerwehr finden sich ausländerfeindliche Parolen. Gehetzt wird gegen "kanacken", die man am liebste "abknallen" würde. Dazu kommt: das örtliche Asylbewerberheim wird immer wieder als Hort der Kriminalität dargestellt. Mehrere Mitglieder der Bürgerwehr gehören offenkundig zur rechten Szene.

Bislang haben die Rechten ihren im Internet verbreiteten Parolen keine Taten folgen lassen. Sollte sich das aber ändern, müsste die Polizei die Bürger von Eisenhüttenstadt wohl vor der Bürgerwehr Eisenhüttenstadt beschützen.

Beitrag von André Kartschall und Christoph Rosenthal