- Berlin als Freizeitparadies - wo hört der Spaß auf?

"Be Berlin" - mit diesem Slogan wirbt die Stadt. Und sie wirbt sehr erfolgreich. In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Übernachtungen verdoppelt. Weitere zehn Millionen sollen hinzukommen. Doch schon jetzt läuft es nicht immer reibungslos zwischen Besuchern und Berlinern, wie die Überlastung des Mauerparks und der Anwohnerstreit um die Kreuzberger Admiralbrücke zeigen. Hat Berlin überhaupt einen Plan, wie sich der Tourismus nachhaltig entwickeln soll?

„Party, bis der Osterhase Eier legt" - titelte am Wochenende eine Berliner Zeitung. Treffenderweise, denn über Ostern war in Berlin mal wieder Partytourismus angesagt: Rund zwei Millionen Menschen haben die Hauptstadt besucht - und gefeiert. Berlin ist trendy und angesagt, das ist gut für die Wirtschaft, aber: So mancher Berliner ist richtig genervt. Robert Frenz wollte wissen: Gibt es eigentlich ein nachhaltiges Konzept für den Tourismus?

Be Welt - Be Offen - Be Berlin. Das ist nicht Woodstock, sondern der Mauerpark in Prenzlauer Berg. Ein Open Air ohne Veranstalter. Der Park entwickelt sich mehr und mehr zum Magnet für Besucher aus der ganzen Welt. Mehrere zehntausend Menschen sind es, die auch am Ostersonntag zur alternativen Karaoke-Party pilgern.

Passant
„Es heißt, Berlin ist der hipste Ort der Welt. Jetzt weiß ich, warum. Das kannst Du nirgendwo anders sehen."
Passant
„Wir sind vor allem zum Feiern in Berlin. Dieser Park ist wie ein Festival. Wahnsinn."

Passant
„Ich bin mit hier mit Freunden, die aus dem Ausland kommen. Wir zeigen denen das einfach, weil das Berliner Lebensatmosphäre ist."
KLARTEXT
„Was ist denn das Besondere an der Berliner Lebensatmosphäre?"
Passant
„Jeder kann machen, was er will."

Die grenzenlose Freiheit im Mauerpark. Das ist auch die Freiheit, den Müll nicht in die dafür aufgestellten Behälter zu werfen. Gut, der sauberste Park war er nie. Doch seit der Mauerpark in jedem Reiseführer gelistet ist, mögen Anwohner die Grünfläche unter der Woche kaum noch nutzen, beobachtet Alexander Puell vom Verein "Freunde des Mauerparks".

Alexander Puell, Freunde des Mauerparks
„Es gibt erheblich mehr Touristen jedes Jahr. Also, der Mauerpark wurde international entdeckt für sich. Das ist super, das freut uns auch, weil der Mauerpark ist eine Atmosphäre, die man so sonst in Berlin nicht finden würde. Wenn es aber immer mehr Touristen werden, kommen auch immer mehr Probleme dazu. Probleme sind hauptsächlich Müll und einfach die Menge an Menschen."

Übernutzung und Müll: Am Mauerpark zeigen sich die Folgen eines neuen Tourismusphänomens. Jeder dritte Berlin-Besucher ist unter 30 und interessiert sich längst nicht nur für klassische Sehenswürdigkeiten wie das Brandenburger Tor.

Das haben auch die Berlin-Vermarkter der Agentur visitberlin erkannt. Mit einer Broschüre werben sie für alternative Sehenswürdigkeiten und versuchen so, mehr Besucher in die Kieze zu locken.

Natascha Kompatzki, visitberlin
„Berlin steht dafür, dass die Stadt absolut cool ist, immer neue Trends entstehen, die Stadt eine Kochschule, kann man sagen, für urbane Trends ist. Das heißt, die Touristen kommen, weil sie einfach den Lebensstil der Berliner nachempfinden wollen, nachleben wollen. Sehen wollen: Wo geht der Berliner hin? Was macht der Cooles?"

Zum Beispiel, sich den Sonnenuntergang von der Kreuzberger Admiralbrücke aus ansehen. Früher sammelten sich hier vereinzelte Berliner - heute ein immer größeres internationales Publikum, das den Tag bei Bier und Live-Musik ausklingen lässt - nicht selten bis tief in die Nacht.

Monique Sahan kann die Admiralbrücke von ihrem Fenster zwar nicht sehen, aber deutlich hören. Wie ihre Nachbarinnen findet sie kaum noch in den Schlaf, seit das internationale Partyvolk vor ihrer Haustür feiert.

Monique Sahan, Anwohnerin
„Ich erlebe hier auf der Brücke und am Kanal eine Entwicklung innerhalb dieser Gesellschaft, die dieses Areal für Partyzwecke missbraucht, die ich nur noch als grenzenlos hedonistisch und egoistisch orientiert bezeichnen kann, und das ist nicht das Leben, das ich mir vorstelle und das lebenswert für viele, viele Menschen ist."

Marion M., Anwohnerin
„Es wird einfach dem Tourismus so entgegengekommen, dass sich die anderen beugen müssen. Dann ist man eben Dörfler oder reaktionär."

Auch im Wrangelkiez regt sich Unmut - Billigunterkünfte und Privatwohnungen, die als Ferienapartments vermietet werden, krempeln den Kiez komplett um. Die Anwohner befürchten steigende Mieten.

Müll, Lärm und Veränderung der Kieze - angesichts vermehrter Konflikte fordert der Metropolenforscher Johannes Novy von der TU Berlin ein Umdenken der Berliner Tourismuspolitik.

Johannes Novy, Metropolenforscher TU Berlin
„Bislang konzentriert sich Politik ausschließlich darauf, Wachstum organisieren und das ja auch erfolgreich offenkundig. Ich denke, wir sollten darüber nachdenken, wie ein nachhaltiger Tourismus auf Stadtebene aussehen könnte und welche Anreize die Politik setzen kann, um diesen auch zu ermöglichen."

Der Tourismus ist tatsächlich eine der wenigen wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten Berlins. Neun Milliarden Euro gaben die Besucher allein im vergangenen Jahr aus. Mehr als 230 000 Berliner arbeiten im Tourismusgewerbe. Seit dem Jahr 2000 konnte Berlin die Zahl der Hotelübernachtungen von 10 auf 20 Millionen steigern. Bis 2020 sollen es 30 Millionen werden.

Nur: Werden dann Konflikte zwischen Berlinern und Touristen zunehmen? Selbst im Tourismuskonzept des Senats ist die Rede von „Überlastungserscheinungen" und „Konflikten". Die touristische Entwicklung Berlins sei deshalb „im Einklang mit den Interessen der hier lebenden Menschen" zu betreiben.

Wie das in der Praxis aussehen soll, sagt das Konzept nicht. Wir fragen nach - bei Ingeborg Junge-Reyer, der zuständigen Senatorin für Stadtentwicklung. Ein Interview bekommen wir aber nicht - zuständig für alle strategischen Fragen des Tourismus sei visitberlin.

Natascha Kompatzki, visitberlin
„Unsere Aufgabe ist es, Touristen einzuladen, die Gäste nach Berlin einzuladen, und nicht, Politik zu machen."
KLARTEXT
Wer muss die Politik dann machen?"
Natascha Kompatzki, visitberlin
„Die Politik muss der Senat machen, sprich die dafür zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung."
KLARTEXT
„Die sagt: Sie sind zuständig. Die haben mich zu Ihnen geschickt, was diese Frage angeht."

Für nachhaltigen Tourismus aber fühlt sich in Berlin offenbar niemand zuständig.

So ist es Sache der Bezirke, die Dinge selbst zu regeln. In Pankow wollen Behörden und Sicherheitskräfte im Mai beraten, wie sie mit der Überlastung des Mauerparks umgehen wollen.

Auf der Admiralbrücke in Kreuzberg glaubt man, bereits eine Lösung gefunden zu haben. Um 22 Uhr löst die Polizei die Straßen-Party einfach auf. Eine halbe Stunde später ist Berlins beliebteste Brücke abgesperrt. So jedenfalls werden sich viele Besucher aus aller Welt Berlin nicht vorgestellt haben.



Autor: Robert Frenz