-
Immer weniger junge Berliner wollen zur Polizei: Zu schlecht erscheinen Karrierechancen, dazu kommen hohe Belastungen durch eine dünne Personaldecke und Gehälter, die erheblich unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Schon jetzt zeigt die Statistik einen leichten Anstieg der Kriminalität - für die Gewerkschaft Ergebnis des schlechten Zustands der Polizei. Ist das nur das übliche gewerkschaftliche Klagelied - oder wird die innere Sicherheit Berlins auf dem Altar der Sparpolitik geopfert?
Anmoderation
"Berlin bildet so viel junge Menschen in der öffentlichen Verwaltung aus wie nie", verkündete Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum gestern stolz. Das ist prima, doch reicht das, um die Verwaltung wirklich auch zukunftsfähig zu machen? Überall herrscht Personalnotstand. Besonders eng sieht es bei der Berliner Polizei aus – der Behörde, die für unsere Sicherheit sorgen soll. Helge Oelert und Sabrina Behrens.
Kreuzberg im Juni. Randalierer schmeißen Molotowcocktails auf einen Mannschaftswagen – und machen ihn damit zur Gefahr für seine Insassen.
Nirgendwo werden Polizisten so häufig Opfer von Gewalt wie in Berlin. Und zwar nicht nur bei Risikoeinsätzen wie Demos oder Fußballspielen. Auch scheinbar völlig alltägliche Situationen entwickeln sich immer häufiger zur Bedrohung für Leib und Leben.
Steve Feldmann
Gewerkschaft der Polizei
"Wir hatten ja mittlerweile Vorfälle im vergangenen Jahr, wo Notrufe ausgelöst wurden, ganz bewusst, um dann die heran kommenden Funkwagen aus dem Hinterhalt anzugreifen. Das sind Szenerien, die hat man sich vor Jahren noch gar nicht vorstellen können."
In der Gewalt gegen die Beamten sehen Kritiker auch eine Folge jahrelangen Sparens. "Kaputtsparen" nennen sie es. Denn aus Personalnot könne die Polizei an manchen Brennpunkten heute nicht mehr genug Präsenz zeigen. Dort seien Gebiete entstanden, in die sich inzwischen einzelne Streifenwagen nicht mehr hinein trauen. Die Politik gibt das sogar zu. Und hofft offenbar, die Realität würde schöner, indem man hässliche Worte vermeidet.
Bernd Krömer (CDU)
Senatsverwaltung für Inneres
"Wenn Sie eben die Situation haben, dass man in bestimmten Teilen der Stadt praktisch nur noch mit größeren Einsatzgruppen unterwegs sein kann, weil sich der einzelne Funkwagen da gar nicht mehr so ohne Weiteres hineintraut, ist das natürlich kein gutes Signal."
KLARTEXT
"Das ist dann ja eine 'No-Go-Area' dann."
Bernd Krömer (CDU)
Senatsverwaltung für Inneres
"Es gibt keine 'No-Go-Areas' in Berlin."
KLARTEXT
"Aber was Sie eben beschrieben haben, wär' ja eine…"
Solche Beschönigungen aus der Politik mag dieser Mann nicht mehr hören.
LKA-Beamter
"Wenn Leute hier sagen, wir haben hier keine No-Go-Areas, dann ist das einfach mal glatt gelogen. Also in viele Bereiche kann man einfach als normaler Funkwagen zu zweit gar nicht mehr, weil man da einfach ein großes Risiko eingehen würde. Und ich sage mal, da wird wirklich am falschen Ende gespart."
Eigentlich sollen sich Polizisten zu politischen Fragen nicht äußern. Öffentliche Kritik an der eigenen Führung wird nicht gern gesehen, Interviews gibt’s normalerweise nur mit Genehmigung der Polizeispitze. Doch dieser LKA-Beamte will nicht länger schweigen. Seinen Namen sollen wir nicht nennen, aber er will Gesicht zeigen für sein Anliegen – und riskiert berufliche Nachteile, um endlich auszusprechen, was er täglich als Kriminalhauptkommissar erlebt.
LKA-Beamter
"Wenn wir Observationen durchführen wollen, dann besorgen wir uns 'nen Observationsbeschluss bei der Staatsanwaltschaft. Den bekommen wir dann auch in aller Regel. Der läuft dann über ein, zwei, drei Monate – je nachdem. Und ja, dann kommt es eben relativ oft vor, dass der dann einfach mal bei uns im Fach liegen bleibt, weil wir keine operativen Kräfte bekommen."
Doch für die Politik darf nicht sein, was nicht sein soll.
Bernd Krömer (CDU)
Senatsverwaltung für Inneres
"Das kann ich mir eigentlich fast nicht vorstellen, wenn die Staatsanwaltschaft die Polizei als ihr Hilfsorgan, wie es ja nach der Strafprozessordnung ist, um entsprechende Einsätze bittet, dann wird dem in aller Regel natürlich nachgegangen."
Kritikpunkt Zwei: Zu wenig Personal, um auf gesellschaftliche Veränderung zu reagieren.
LKA-Beamter
"Weil es ist doch jetzt so: Wir haben hier 'nen neues Phänomen. Nehmen wir mal an die Rocker – das war ja so 'nen Thema. Und dann wird halt aus allen möglichen Bereichen, werden Leute zusammengezogen, damit man da eben schlagkräftig auftreten kann. Aber die Leute fehlen dann natürlich in ihren eigenen Bereichen wieder. Und das ist einfach immer nur ein Stopfen von Löchern."
Bernd Krömer (CDU)
Senatsverwaltung für Inneres
"Da wird’s sicherlich eine Verlagerung geben müssen, wenn ein Kriminalitätsfeld zusätzliche Bedeutung erlangt, dann muss man sehen, dass man das entsprechend kompensiert an anderen Stellen."
Kompensation auch bei den Objektschützern – weil die zu wenig Leute hatten, wurden Berge von Überstunden angehäuft. Um diese wiederum abzubauen, müssen nun teure Spezialisten wie Hauptkommissare für diese vergleichsweise einfache Tätigkeit abgezogen werden.
LKA-Beamter
"Und dann wurde eben hier beschlossen, dass eben ja die Kriminalpolizei und die Polizei auf den Abschnitten diese Streifen übernimmt. Und dann ist man eben in so 'nem Opel Corsa Objektschutzstreife gefahren."
Bernd Krömer (CDU)
Senatsverwaltung für Inneres
"Das ist im Moment dieser Einsparsituation noch geschuldet, wird aber in den nächsten Monaten umgestellt werden."
Wurde unsere innere Sicherheit also geopfert, weil Berlin sparen wollte bis es quietscht?
Wir dürfen auf der Suche nach einer Antwort zwei Polizisten in Pankow begleiten. Sandy Gräfe und Mario Gottschling, zwei Polizeioberkommissare im Abschnitt 13. Für sie war es schon immer ein Traumjob. Doch der wurde in den vergangenen Jahren durch die dünner werdende Personaldecke schwieriger. 4.000 Beamte hat der Senat seit 2002 eingespart – was erhebliche Zusatzbelastungen bringt.
Mario Gottschling
Polizeioberkommissar
"Also, 'ne Arbeitsverdichtung ist zu merken. Wenn sich alles so überlappt, weil ein Einsatz den nächsten jagt und man sich nicht auf einen Einsatz konzentrieren kann, wird es natürlich immer schwerer."
Vor allem fehlt der Nachwuchs. Über Jahre hat Berlin zwar teuer ausgebildet, aber dann nicht übernommen. Andere Länder stellten sie mit Kusshand ein. Dann verzichtete Berlin vorübergehend sogar ganz auf die Polizistenausbildung.
Bis jedoch Nußbaums Nachwuchsoffensive nun wirkt, werden noch Jahre vergehen. Doch die Probleme sind schon da: Weil kaum Junge dazu kamen, liegt der Altersdurchschnitt heute bei fast 48. Mit Folgen für die Personaldecke.
Sandy Gräfe
Polizeioberkommissarin
"Je älter man wird, umso schneller wird man krank. Definitiv. Und wir haben einen relativ hohen Krankenstand zur Zeit."
Und in den kommenden Jahren gehen über 6.000 Beamte in Pension – niemand weiß, wie die ersetzt werden sollen, denn es fehlt an Bewerbern. Was wohl auch daran liegen könnte, dass Polizisten in Berlin erheblich weniger verdienen als in anderen Bundesländern.
Mario Gottschling
Polizeioberkommissar
"Wenn ich den Gehaltszettel meiner Schwester angucke. Die ist zwar jetzt ein bisschen älter. Sie hat mal weniger bekommen als ich, aber Brandenburg hat uns überholt. Und wir haben beide denselben Dienstgrad."
Auch der bauliche Zustand vieler Polizeigebäude wird oft als Ausdruck geringer Wertschätzung wahrgenommen.
Lose Kabel, durchweichte Decken, verrostete Heizkörper. Wegen fehlender Modernisierung kommt es sogar immer wieder zum Ausfall ganzer Heizungsanlagen. Was dann wiederum die Ausbreitung von Legionellen fördert. In mehreren Abschnitten wurden Sanitäranlagen gesperrt – und vorübergehend Dixi-Klos aufgestellt.
Oft verursachen die Schäden immense Folgekosten, zum Beispiel, wenn – wie hier - Legionellenfilter eingebaut werden müssen. Oder man private Schießstände anmietet, weil die eigenen wegen giftiger Baustoffe gesperrt sind.
Mit wirtschaftlicher Vernunft hat das wenig zu tun.
KLARTEXT
"Ist nicht auch das kurzsichtig, wenn man jetzt zum Beispiel gespart hat, stattdessen aber die Heizungen ausfallen, weil man die Kessel nicht gewechselt hat, dadurch dann Legionellenbefall kommt, dadurch dann wiederum Filter eingebaut werden müssen – das kostet ja am Ende alles viel mehr als eine vernünftige Instandhaltung gekostet hätte…"
Bernd Krömer (CDU)
Senatsverwaltung für Inneres
"Sie haben Recht, aus wirtschaftlicher Sicht ist das so."
Es spricht also vieles dafür, dass Berlins Polizei heute keine optimalen Rahmenbedingungen mehr hat, um Verbrechen zu bekämpfen. Henkel hat rund 200 zusätzliche Polizisten eingestellt. Aber das sei nur Kosmetik, meinen die Kritiker.
LKA-Beamter
"Weil, wir fühlen uns, um es ganz drastisch zu sagen, einfach von der Politik verarscht. Ganz knallhart. Und da helfen auch keine schönen Bekundungen immer. Das Fass ist übergelaufen."
Abmoderation
Hier haben wir also gehörigen Nachholbedarf, um die Stadt fit für die aktuellen und künftigen Herausforderungen zu machen.
Beitrag von Helge Oelert und Sabrina Behrens