(Quelle: rbb)

- Fehlender Reformwille – Wie der rot-rote Senat das Karlsruher Urteil ignoriert

Ob es um Überkapazitäten im öffentlichen Dienst oder die 270.000 Wohnungen im Landesbesitz geht, noch immer hat Berlin Spielräume in Sachen Landesfinanzen, so der Bundesgerichtshof. Konsequenz – keine. Nach der Devise „Wir haben genug gespart“ wollen die Koalitionäre in die nächste Legislaturperiode aufbrechen.

Berlin ist eine Mieterstadt. Und eine günstige dazu. Im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten zahlt man hier deutlich weniger Miete. Das war schon immer so, auch als die Stadt noch geteilt war. In West-Berlin waren die Mieten lange Zeit staatlich festgelegt, und im Osten sowieso. Mieterhöhungen sind deshalb ein heikles Thema, das Politiker äußerst ungern anpacken. Noch ungemütlicher wird es, wenn es um die städtischen Wohnungsbaugesellschaften geht. Die zu verkaufen, das würde auf einen Schlag 5 Milliarden Euro bringen. Doch Wowereit & Co. stellen sich stur. Das ist ärgerlich. Warum?! Das zeigt Andrea Everwien.

Karlsruhe, vergangene Woche: Das Bundesverfassungsgericht urteilt über die Frage, ob das arme Berlin Anspruch hat auf weitere Finanzhilfen von Bund und Ländern. Das Ergebnis ist niederschmetternd für die Stadt: Geld gibt’s nicht.

Winfried Hassemer, Vorsitzender Richter Bundesverfassungsgericht
„Wenn Sie genau zuhören oder lesen, was wir an Gründen haben, so könnte man gut auf die Idee kommen, dass Berlin deshalb so sexy ist, weil es so arm gar nicht ist.“

Genau: In Berlin gibt es städtisches Vermögen - reichlich sogar. 277.000 Wohnungen gehören der Stadt – in sechs Wohnungsbaugesellschaften. Ihr Wert beträgt etwa 5 Milliarden Euro.

Wirtschaftsexperten halten es für selbstverständlich, dass das Land diese Wohnungen erst einmal verkauft, bevor es bei anderen betteln geht:

Dorothea Schäfer, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin
„Das ist deswegen notwendig, um sich auf der Einnahmenseite etwas mehr Freiraum zu verschaffen, und dann eben die Möglichkeit zu haben, wenigstens einen Teil, oder wenigstens einen geringen Teil ihrer Schulden zu reduzieren, weil die Zinslasten enorm sind.“

61 Milliarden Schulden lasten auf dem Land Berlin. Allein für Zinsen muss es jährlich 2,5 Mrd. Euro aufbringen – zum großen Teil über immer neue Kredite. Verkaufte man die Wohnungsbaugesellschaften, bekäme man wenigstens für zwei Jahre Luft. So sieht es zumindest die Opposition.

Christoph Meyer (FDP), Haushaltspolitischer Sprecher
„Dann können Sie das Defizit, das Berlin jetzt hat, für 2 Jahre aussetzen. Das heißt, es werden keine neuen Schulden aufgenommen und das bedeutet dann die Zinsentlastung.“

Doch die rot-rote Koalition will keine Wohnungen verkaufen – das ist ihr Credo schon seit dem Wahlkampf.

Klaus Wowereit (SPD), Regierender Bürgermeister Berlin
„Berlin muss nicht verkaufen und Berlin hat auch nicht die Absicht, es zu verkaufen.“

Berlin ist eine Stadt der Mieter: nur elf Prozent aller Einwohner wohnen im eigenen Haus. Wohnungsverkäufe machen Angst – vor allem alt gedienten Mietern.

Mieter
„Na, es könnte jemand auf unsere Wohnung hier reflektieren und sagen, die will ich kaufen, und dann stehen wir natürlich unter gewissem Druck.“

Mieter
„Dass dann irgendwelche ausländischen Investoren das kaufen, damit sie Rendite machen können und dann weiter verkaufen. Und das ist gar nicht im Sinne der Mieter hier.“

Mit dieser Angst machen SPD und PDS Politik, halten öffentlich an drei Legenden fest.

Legende Nummer 1: heißt
„Nur in städtischen Wohnungen bleiben die Mieten niedrig.“

4 Euro 50 zahlt der Berliner Mieter im Durchschnitt pro Quadratmeter. Wer bei Gewobag, WBM und Co. wohnt, muss im Schnitt 4,43 berappen – also fast genau so viel. Seit ein paar Jahren heben alle Wohnungsbaugesellschaften die Preise an, wo sie nur können – denn sie sitzen selbst auf 8 Milliarden Euro Schulden.

Christoph Meyer (FDP), Haushaltspolitischer Sprecher
„Vom Prinzip ist es natürlich so, dass der Senat schon jetzt versucht, hier Geld einzunehmen und das kann er nur dann, wenn die Mieten auf Durchschnittsniveau sind. Das heißt also, diese Geschichte, dass die städtischen Wohnungsbaugesellschaften hier günstigen Wohnraum anbieten, ist in der Realität nicht nachvollziehbar. Es ist nicht belegt durch die Zahlen.“

Doch was ist, wenn der neue Eigentümer gegen den Willen der Mieter modernisiert und dann die Mieten raufsetzt - wie im Fall der GSW? Dann hat die Stadt Berlin beim Verkauf schlecht verhandelt.

In Dresden hat man es besser gemacht: Die Stadt hat im Frühjahr fast alle kommunalen Wohnungen veräußert, wurde auf einen Schlag schuldenfrei. Doch auch die Interessen der Mieter wurden geschützt: Durch langfristige Verträge mit den Käufern.

Hartmut Vorjohann (CDU), Finanzdezernent Dresden
„Da haben wir eine Sozialcharta entworfen im Stadtrat, wo über das normale Mietrecht hinaus noch mal klare Schutzrechte für die Mieter definiert worden sind. Mieterhöhungsobergrenzen, lebenslanges Wohnrecht für über 60jährige und Behinderte beispielsweise.“

Und bisher gibt es kaum Klagen von den Dresdner Mietern. Verkauf an Privateigentümer heißt also nicht automatisch: Mieter ohne Rechte.

Doch da ist ja noch Legende Nr. 2, von der rot-roten Koalition gepflegt:
„Nur bei städtischen Wohnungen gibt es ein gutes soziales Umfeld.“

„Quartiersmanagement“ heißt das Berliner Zauberwort. Mieter werden finanziell unterstützt, wenn es um Grünflächen oder Spielplätze geht. Denn wo das Umfeld stimmt, dort stimmt auch die soziale Mischung. Doch wird sich auch ein privater Eigentümer so sehr um ein gutes Wohnumfeld bemühen?

Christoph Meyer (FDP), Haushaltspolitischer Sprecher
„Natürlich hat auch hier ein Vermieter ein Interesse daran, dass ein intaktes Wohnumfeld da ist.“
KLARTEXT
„Aber der hat doch erstmal ein Interesse daran, Rendite raus zu ziehen.“
Christoph Meyer (FDP), Haushaltspolitischer Sprecher
„Aber das ist doch wechselseitig bedingt. Wenn das Wohnumfeld marode ist, dann kriege ich auch keine Mieter in die Wohnung rein. Wir haben einen Leerstand von Wohnungen in Berlin, über 100.000 Wohnungen stehen leer in Berlin, das heißt, ich muss auch als Vermieter mich dem Wettbewerb stellen und dazu gehört, dass ich ein attraktives Wohnumfeld mitgestalte.“

Dann ist da noch Legende Nr. 3:
„Nur in städtischen Wohnungen finden Benachteiligte Wohnraum.“

Kinderreiche Familien finden nur schwer eine Unterkunft; Migranten müssen oft lange suchen. Für diese und andere Gruppen muss die öffentliche Hand sorgen. Freilich: Schon heute tut sie das, indem sie den Wohnungssuchenden das Geld direkt gibt – aber nicht dadurch, dass sie alle Sozialwohnungen selbst vorhält.

Christoph Meyer (FDP), Haushaltspolitischer Sprecher
„Wenn Sie sich die Zahlen in Berlin anschauen, dann wird glaube ich nur ein Drittel des Wohnraumes im Sozialbereich wirklich durch Wohnungsgesellschaften der Stadt zur Verfügung gestellt. Der Großteil ist hier auch mittlerweile auf dem freien Markt.“

All das weiß man natürlich im Roten Rathaus. Vor gut einer Woche kam aus dem Haus des SPD-Finanzsenators Sarrazin ein Papier „Fakten und Legenden“. Hier sind alle Argumente für den Verkauf der Wohnungsbaugesellschaften aufgeführt. Doch der SPD-Bürgermeister Wowereit weiß noch mehr: Über 70 % der Berliner wollen keinen Verkauf.

KLARTEXT
„Also ist es im Grunde eine rein populistische Entscheidung?“
Dorothea Schäfer, DIW Berlin
„So würde ich es einschätzen, ja. Ich glaube auch nicht, dass Herr Sarrazin besondere Sympathie für diese Linie empfindet, aber das ist halt Koalitionsraison.“