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400.000 Masthähnchen - in 35 Tagen auf knapp zwei Kilo gemästet: Das ist für die einen moderne Landwirtschaft, für die anderen Tierquälerei und Umweltbelastung. In Gumtow in der Prignitz soll eine solche Hähnchenmastanlage entstehen. Sie wird von einem holländischen Geflügelmäster betrieben, der seinen Betrieb in den Niederlanden nicht mehr ausweiten darf. Brandenburg legt ihm den roten Teppich aus, doch Bürger wehren sich.
Hühner über Hühner, dicht an dicht: Bis zu 50.000 Tiere in einem Stall, so sehen die modernen Mastanlagen der Geflügelproduzenten heute aus. Und einer dieser Riesenställe soll demnächst in der Prignitz errichtet werden. Ein Mäster aus Holland will seine Anlage hier bauen. Die Gemeinde will das Projekt offenbar durchwinken. Doch Kritiker warnen vor den Risiken, vor allem vor der Ausbreitung gefährlicher multiresistenter Keime. Andrea Everwien.
Die Gemeinde Gumtow in der Prignitz: ganz viel Land, ein bisschen Kultur und sehr wenig Menschen: eigentlich Idylle pur.
Doch am Wochenende wurde es laut in Gumtow: Etwa 100 Anwohner protestierten gegen den Bau einer Hähnchenmastanlage im Ortsteil Dannenwalde.
Anwohnerin
„Ich wohne direkt hier in Gumtow, ich bin also direkt betroffen. Von den Lkws, vom Gestank, von der Tierquälerei, von dem Unmöglichen, was da passieren wird.“
Anwohnerin
„Da werden die Hähnchen eingestallt, dann wird ausgestallt, dann wird der Mist weggekarrt….".
Anwohner
„Wenn die Windrichtung von Westen kommt, was sehr oft ist, dann werden wir den Hähnchenduft auch in der Nase haben…."
Ist das nur Bürgerprotest nach dem Prinzip: Baut eure Anlagen irgendwo, nur nicht vor meiner Nase? Wir wollen es genauer wissen. Worum geht es hier eigentlich?
Auf diese Weide will ein niederländischer Investor acht große Ställe wie diese hier bauen. 400.0000 Hähnchen werden dort gleichzeitig gemästet. Nach 35 Tagen sind sie schlachtreif. Im Jahr gehen also rund 4 Millionen Hähnchen durch die Anlage – und hinterlassen ihren Mist.
Der Gumtower Landwirt Bernd Teickner will davon profitieren: Er will den Hähnchenmist in seiner neu gebauten Biogasanlage verwerten. Einerseits produziert er damit Energie – andererseits will er den Gärrest als Dünger auf den Acker bringen.
Bernd Teickner
Landwirt Gumtow
„Das ist ja Sinn und Zweck der Sache. Für mich ist im Prinzip die Hähnchenmastanlage eine Produktionsstätte für Düngemittel."
Genau diesen Dünger aber wollen andere Gumtower nicht auf dem Boden haben. Zum Beispiel Torsten Voigt, Landwirt im Nebenerwerb. Seine Flächen grenzen an Teickners an. Er will seinen Betrieb auf Bio umstellen, fürchtet aber, dass das nicht gelingen wird, wenn nebenan eine Tiermastanlage industriellen Zuschnitts entsteht. Seine Angst gilt dem Hähnchenmist.
Torsten Voigt
Bürgerinitiative „Gumtow gegen Tierfabrik“
„Der Hähnchenmist wird quer durch die Gemeinde gekarrt, die Keime werden eventuell dadurch verbreitet – und das stört uns."
Es geht um Keime wie diese: MRSA, den Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus. In Krankenhäusern ist der Keim gefürchtet, denn Menschen, die davon befallen sind, entwickeln zum Beispiel nach Operationen Entzündungen, gegen die kaum ein Antibiotikum hilft.
Der Keim wurde im Fleisch von fast jedem dritten Masthähnchen aus konventioneller Produktion gefunden. Doch warum entstehen solche gefährlichen resistenten Keime in Tiermastanlagen?
Ein Blick in die Betriebsbeschreibung für die in Gumtow geplante Anlage lässt eine Ursache ahnen: Dort heißt es, Zitat:
„Nach jedem Mastzyklus wird der Stall ausgemistet…“
Eine Tabelle stellt klar: Die Streu wird tatsächlich immer nur nach rund einem Monat ausgetauscht. Etwa 35 Tage bleiben die Tiere auf ihrem Mist stehen. Für Katrin Voigt von der Bürgerinitiative Gumtow der Grund für häufige Antibiotika-Gaben.
Katrin Voigt
Bürgerinitiative „Gumtow gegen Tierfabrik“
„Wenn die dort in diesen Exkrementen stehen, können die Fußballenentzündungen bekommen. Es kann nicht jedes Huhn einzeln begutachtet werden bei 200.000 Tieren, also bekommen die pauschal alle Antibiotika-Gaben.“
Wegen der Vielzahl der Tiere können die Antibiotika nicht zielgerichtet gegeben werden, man mischt sie einfach ins Trinkwasser. Manche Hähnchen bekommen nicht genügend Antibiotika, so dass die Bakterien in ihnen nicht abgetötet werden. Stattdessen bilden sie die gefährlichen Resistenzen aus. Im Tierkot überleben diese Keime – einige von ihnen überleben auch in der Biogasanlage.
Prof. Dr. Franz Josef Conraths
Epidemiologe, FU Berlin
„Es gibt Keime, die dagegen sozusagen resistent sind, die Sporen bilden, spezieller Name dafür sind die Clostridien, die dann eben auch zum Beispiel die Prozesse in einer Biogasanlage überleben können. Und die sich dann anschließend auf dem Acker wieder einfinden oder eben von dort aus auch wieder zu uns getragen werden können."
KLARTEXT
„Unbeschädigt?"
Prof. Dr. Franz Josef Conraths
Epidemiologe, FU Berlin
„Jedenfalls vermehrungsfähig.“
Doch der Betreiber der Biogasanlage sieht kein Problem mit resistenten Keimen.
KLARTEXT
„Vermehren sich die Keime nicht in der Biogasanlage?"
Bernd Teickner
Landwirt Gumtow
„Nein."
KLARTEXT
„Warum nicht? Ist doch warm."
Bernd Teickner
Landwirt Gumtow
„Wir können ja noch ein bisschen Bio- und Chemieunterricht machen, aber dann stehen wir ja morgen noch da.“
KLARTEXT
„Vielleicht geht es ja mit einer Kurzfassung? Die werden doch ab einer bestimmten Hitze, glaube ich, erst zerstört. Ab 70 Grad oder so. Erreicht diese Biogasanlage solche Temperaturen?“
Bernd Teickner
Landwirt Gumtow
„Nee, die erreicht sie nicht. Wir arbeiten ja im Prinzip – die Biogasanlage ist ja wie eine große Kuh. Wir arbeiten hier mit Körpertemperatur.“
KLARTEXT
„Aber Sie sehen das Problem nicht so dramatisch?“
Bernd Teickner
Landwirt Gumtow
„Nein, sehe ich nicht, nee.“
Ortswechsel. In Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen gibt es seit Jahrzehnten Erfahrung mit dem Bau von großen Hähnchenmästereien. Dort ist es jetzt sehr schwierig geworden, Betriebserweiterungen oder neue Betriebe genehmigt zu bekommen.
Wegen der extremen Belastung durch solche Anlagen für Mensch und Umwelt haben die Landwirtschaftsminister dort Anfang des Jahres sogenannte Filtererlasse in Kraft gesetzt. Danach können Nachbarn im Einzelfall sogenannte Keimgutachten einfordern.
Doch Brandenburgs Landwirtschaftsminister Jörg Vogelsänger hält das nicht für nötig. Schriftlich lässt er KLARTEXT mitteilen, Zitat:
„Die Tierbesatzdichte …im Land Brandenburg liegt … weit unter dem Bundesdurchschnitt und …sehr weit entfernt von den Regionen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen…“
Soll wohl heißen: In Brandenburg gebe es viel Land und wenig Tiere, da könne man noch ein paar Großmastanlagen vertragen.
Übrigens: Genau deswegen kommt der Betreiber der Hähnchenmastanlage aus den Niederlanden nach Gumtow. Ein Interview will der Investor KLARTEXT nicht geben, aber wir erfahren: in Holland betreibt er eine Hähnchenmast mit 100.000 Tieren. Dort darf er sie nicht mehr erweitern, weil Böden und Wasser zu sehr belastet sind.
Deswegen weicht er nach Gumtow aus. Und er kommt er nicht allein, sondern wird unterstützt von einer ursprünglich niederländischen Firma namens Agrifirm. Die sorgt zurzeit auch in Steinhöfel für die Ansiedlung einer weiteren Mastanlage – ebenfalls mit 400.000 Hähnchen.
In Losten bei Bad Kleinen hat Agrifirm soeben eine Hähnchenfutterfabrik erstellt.
Und in Neustrelitz plant Agrifirm eine Brüterei mit dem schönen Namen „Big MAMA". Wöchentlich sollen 500.000 Küken die künstliche Brüterei verlassen. Von dort könnte also später der Nachschub für Gumtow und Steinhöfel kommen.
Und die Verwertung der Tiere übernähme dann in Storkow die Hähnchenschlachterei der Firma Friki, die durch Beteiligungen mit Agrifirm verbunden ist.
Brandenburg – Land der industriellen Hähnchenfleischproduktion – die Politik macht's möglich. Wären da nicht ein paar störrische Brandenburger, die das nicht mitmachen wollen:
Torsten Voigt
Bürgerinitiative „Gumtow gegen Tierfabrik“
„Unsere Befürchtung ist: wenn hier eine Anlage steht, werden hier irgendwann viele Anlagen stehen, dann haben wir eben Zustände wie in Niedersachsen oder wie in Holland. Und das wollen wir nicht.“
Um die Fehler nicht zu wiederzuholen, die anderswo mit Hähnchenmastanlagen gemacht wurden, hilft dann wohl nur eins: Das „System Massentierhaltung“ muss grundsätzlich auf den Prüfstand!
Beitrag von Andrea Everwien