Dönerverkäufer (Quelle: rbb)

- Anschlagsziel Dönerimbiß – in Nauen geht die Angst um – vor dem Terror von Rechts

Zum ersten Mal stehen jetzt in Brandenburg Rechtsextremisten wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung vor Gericht. Ziel der Gruppe, die sich "Freikorps" nennt war es, durch gezielte Anschläge die wirtschaftliche Existenz von Ausländern zu vernichten und diese letztlich aus dem Havelland zu vertreiben. KLARTEXT begleitet einen türkischen Imbißbudenbetreiber in Nauen – der lebt seit 15 Jahren dort, denkt jetzt übers Wegziehen nach. Zugleich sprechen wir mit der Familie eines Täters.

Am Oberlandesgericht in Potsdam wird morgen ein spektakuläres Verfahren fortgesetzt: Brandenburgs erster Terroristenprozess. Mit dem, was wir uns unter Terrorismus vorstellen, hat er auf den ersten Blick wenig zu tun. Die, die vor Gericht stehen, sind fast noch Kinder: zwischen 12 und 16 Jahre alt. Sie hatten Anschläge auf Döner- Imbisse in Nauen verübt, geschätzter Schaden: rund 600tausend Euro. Ihr Anführer, 20 Jahre alt, ein braver, Chemie begeisterter Abiturient, ein Einzelgänger. Gabi Probst und Hanno Christ wollten wissen, was ihn zu diesen grausamen Taten trieb. Sie stießen auf Eltern, die ähnlich denken und erlebten hautnah die Angst der potentiellen Opfer.

Kurz vor sieben Uhr morgens, in wenigen Minuten wird Mehmet Eren aus Nauen im Havelland seine Tochter Salina zur Schule fahren.
Es vergeht kaum ein Morgen, an dem er die Achtjährige nicht zur Vorsicht mahnt.

Mehmet Eren
"Und wie wir uns immer unterhalten: Nicht mit Fremden reden, nicht sprechen…"

Nicht reden, nicht mit Fremden sprechen - das gibt er Salina täglich mit auf den
Weg. Wie ein Pausenbrot. Solange seine Freundin im Krankenhaus liegt, kümmert sich
Mehmet Eren alleine um die gemeinsame Tochter – und lässt sie nur ungern aus den
Augen. Immer wieder hört der Vater von Übergriffen rechtsextremer Jugendlicher in Nauen, wird selbst angepöbelt und bedroht.

Mehmet Eren
"Ich hab wirklich Angst von meine Kind. Ich habe ja nichts zu verlieren. Ich
bin jetzt 40 Jahre alt, ob ich lebe oder sterbe ist egal.“


Mehmet Eren arbeitet in einer Imbissbude in Nauen. Dort zu arbeiten, scheint gefährlich zu sein. Wir machen uns auf den Weg, um herausfinden, ob Mehmet Erens Angst berechtigt ist. Nur wenige Kilometer von Nauen entfernt, in dem Dorf Pausin wohnen Jugendliche, die sich vor Gericht verantworten müssen, weil sie Ausländern die Imbissbude anzündeten. Sieben Brände gab es in Nauen und Umgebung. Christopher, 20 Jahre alt, soll der Anführer gewesen sein, einer mit Abitur. Er trug gern Hemd und Schlips und hätte vor wenigen Monaten die Offizierslaufbahn bei der Bundeswehr eingeschlagen. Er sei der Anführer einer "terroristischen Vereinigung" namens Freikorps, sagt der Generalstaatsanwalt. Unter dem Namen "Freikorps " wollte Christopher mit elf Freunden offenbar die Existenz von Ausländern vernichten und sie damit systematisch aus Deutschland vertreiben. Für den Kampf gegen Ausländer hatten sich Christopher und seine Truppe gut gerüstet, wie die Polizei bei der Hausdurchsuchung feststellte - mit Waffen und Chemikalien zur Herstellung von Sprengstoff. Wir suchen Christophers Familie auf, die sich erstmals vor der Kamera
äußert. Schießübungen seien Kinderspiele und ganz normal, meint die 18jährige Schwester.

Schwester und Bruder von Christopher H., 0-Ton:" Zum Beispiel Luftgewehre, Uniformen, die haben ja alles hier abgeladen größtenteils und dann war gut gewesen, weil hier konnten sie alles machen. Und na ja woanders hätten sie ja gleich Anzeigen oder sonst was gemacht, wenn sie irgendwas gemacht hätten und bei uns war es halt nicht so gewesen. Da haben sie halt mal eben in die Dachrinne geschossen, mein Gott, dann war halt gut gewesen. Auch nicht weiter schlimm."

Mehmet Eren findet es schlimm, dass Jugendliche Waffen besitzen. Er wurde von anderen schon bedroht. Rechtsextremisten kamen sogar schon zu ihm nach Hause.

Mehmet Eren
"Ich habe auch mitgelebt, hat er mit der Gaspistole bei mir geschossen.“
KLARTEXT
“Wer?“
Mehmet Eren
“Rechtsradikaler.“
KLARTEXT
„Der wusste dass Sie dort wohnen, ist vorbeigekommen und hat mit der Gaspistole geschossen?“
Mehmet Eren
“Ja, mit der Gaspistole einfach geschossen.“

Ein bisschen Angst muss man immer haben, wenn man in einem fremden Land lebt, sagt er. In dieser fremden Stadt, in Nauen lebt Mehmet Eren seit 15 Jahren.
Für rund 1000 Euro im Monat arbeitet er abwechselnd auf dem Bau und in dieser Dönerbude eines Freundes. Kurz nach der Wende kam er aus der Türkei hierher, verliebte sich in eine Nauenerin und blieb – ihr zuliebe.

Solche, ganz menschlichen Motive scheinen für Christophers Familie keine Rolle zu spielen. Christophers Mutter, die ihr Gesicht nicht zeigen will, erklärt, wovon sie und ihr Sohn überzeugt sind.

Mutter des Angeklagten Christopher H., 0-Ton:" Die können ja doch nicht alle auswandern, bloß weil sie so arm sind und denn in ein anderes Land. Das Land steht leer und das wird dann von irgendjemand übernommen und dann machen die da einen Staat für reiche Leute oder was. Aber so geht das doch nicht. Und nicht nur, ach wir bleiben jetzt hier, hier ist es so schön, das Sozialnetz ist ja wunderbar, das passt mir alles…. "

KLARTEXT
"Würden Sie noch mal nach Nauen ziehen?“
Mehmet Eren
“Wenn ich ehrlich bin, außer meine Familie, wenn ich bin alleine, wenn ich ehrlich bin. Nein.“
KLARTEXT
“Warum nicht?“
Mehmet Eren
“Nauen ist nicht schlecht. Nauen ist gute Stadt, kleine Stadt, hast Du Deine Ruhe, aber Du über die paar Leute und die Behörden will ich nicht nach Nauen ziehen, muss
ich ehrlich sagen.“


Von Brand-Anschlägen, wie denen der Gruppe Freikorps, blieb der kleine Imbiss verschont. Das erst kürzlich an die Imbisswand geschmierte Hakenkreuz ist inzwischen überstrichen. Alltäglicher Rassismus, den nur wenige wahrnehmen.

Jugendlicher
"Ich glaube nicht, dass die so freundlich empfangen werden, und dass die es ganz schön schwer haben hier. Und ich findŽ das eigentlich total unverständlich, solange, wie dieser Döner hier, die machen hier ihre Arbeit und die machen für uns det Essen, det kann ick nicht verstehen. Aber ich denke, dass das hier in Nauen ganz besonders großes Problem ist mit dem Rechtsradikalismus, dass es da, wo ich vorher gewohnt habe, nicht mehr so das Problem war und jetzt bin ich hierher gekommen, und jetzt ist es wie so ein Rückfall in die Steinzeit hier."

Mehmet Eren
"Beispiel hier in Nauen, viele Gaststätten gehe ich nicht rein, weil ich nicht kriegen Kaffee.“
KLARTEXT
“Sie kriegen keinen Kaffee?“
Mehmet Eren
“Nein.“

Anfeindungen gegen Ausländer, Anschläge einer sogar als terroristisch eingestuften rechten Gruppe aus der Region - in Nauen scheint das nicht jeden zu interessieren, Hauptsache der Döner schmeckt.

KLARTEXT
"Sind Dir die Anschläge auf Imbisse, die es in Nauen gegeben haben soll, sind die Dir ein Begriff?
Jugendlicher
“Nö.“
KLARTEXT
”Nein? War aber schon ziemlich groß hier in der Presse eigentlich.“
Jugendlicher
„Hab ich nichts von gehört.“
Jugendlicher
Nichts von gehört. Nee.“
KLARTEXT
“Aber der Begriff Freikorps sagt Dir schon was?“
Jugendlicher
“Was?“
KLARTEXT
„Der Begriff Freikorps sagt Dir schon was?“
Jugendlicher
“Jo.“
KLARTEXT
“Kennst Du die Leute, die damit zu hatten?“
Jugendlicher
“Nein.“
KLARTEXT
“Ja?“
Jugendlicher
“Nein."

Christophers Familie findet es nicht in Ordnung, was er gemacht hat. Doch so richtig empört íst sie über etwas anderes.

Mutter von Christopher
" Ja, es ist alles so hochgespielt. Das sagt ihnen jeder.“
KLARTEXT
Aber es waren sieben Brände!“
Mutter von Christopher
“Ja ich weiß, ich kann es nicht ändern und trotzdem wird es hochgespielt, weil es rechts ist. Wenn es keine Ausländer wären, wenn es, was weiß ich, irgendwelche Punker gemacht hätten, dann wär es anders. Das würde nicht so hochgebauscht werden.“
KLARTEXT
“Aber das Strafrecht sagt: Keiner darf Brände zünden.“
Mutter von Christopher
“Ja, das kann alles sein, trotzdem ist es anders."

Mehmet Eren bleibt in Nauen, weil er sich für seine Familie verantwortlich fühlt und sie beschützen will. Hilfe hat er dabei nicht.

Mehmet Eren
"Wenn ich durch Fernsehen Beispiel wenn ich höre heute hatte Hitler Geburtstag oder gibt es noch andere Erinnerungstage, muss ich ehrlich sagen, denn habŽ ich Angst.“