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Viele Berliner fanden kürzlich Flugblätter der sogenannten "Identitären Bewegung" in ihren Briefkästen. In den sozialen Medien im Internet sind die Identitären ebenfalls heftig aktiv und stellen sich selbst als neue politische Alternative dar.
Die "Identitäre Bewegung" bezeichnet sich als „weder links noch rechts, sondern identitär" und verspricht, was Jugendliche sich wünschen: gesellschaftlichen Wandel, Demokratie, Identität. Doch was steckt wirklich dahinter?Wir haben die Inhalte dieser scheinbar so progressiven Jugendbewegung mal genauer analysiert und kamen zu einem erschreckenden Fazit: Islamfeindlichkeit, in schicker Verpackung. Andrea Everwien.
Seltsame Zeichen auf Deutschlands Straßen: ein schwarzer Kreis auf Gelb, da drin eine Spitze, dazu Worte, die einem spanisch vorkommen – und ab und zu ein Name: Identitäre Bewegung. Was soll das sein?
Wer auf Facebook geht, kann mehr erfahren. Seit Oktober 2012 ist die „Identitäre Bewegung" hier präsent. Über 4.000 Facebooker haben seitdem „Gefällt mir" geklickt. Angeblich gibt es rund 50 regionale Gruppen – in Köln genauso wie in Cottbus, in Emden und natürlich – in Berlin.
Verwirrend: manchmal sehen die Bilder aus wie moderne Nazi-Projektionen, dann aber heißt es, man sei nicht rechts und vor allem kein bisschen rassistisch. Offenbar Versuche, sich von Rechten zu distanzieren.
Die Kommunikationswissenschaftlerin Bettina Fackelmann hat für KLARTEXT das Design der „Identitären Bewegung“ analysiert.
Als erstes fällt ihr auf: die Bewegung gibt sich jugendlich. Bart Simpson steht für frechen Witz – und heftig bewegte Comics machen Jugendlichen Spaß. Das Logo selbst zeigt zwar keine Inhalte – dafür aber Dynamik:
Dr. Bettina Fackelmann
Kommunikationswissenschaftlerin
„Und es hat ja auch – es ist ja im Prinzip so eine Form, in der Mitte, umschlossen von diesem Kreis – es hat so was Vorwärtsdrängendes."
Ein identitäres Flashmob-Video aus Wien: Die Botschaft: Identitär sein ist jung, identitär sein ist hip.
Dr. Bettina Fackelmann
Kommunikationswissenschaftlerin
„Was passiert, ist, dass relativ zeitgeistige Formate wie Flashmobs, wie diese Guy-Fawkes-Masken und eben auch diese Ästhetik mit diesen Videopfeilen usw. benutzt werden, die werden entliehen aus einer durchaus rebellierenden, aber eher linken Ecke, und dann sozusagen übertragen auf oder genutzt von dieser „Identitären Bewegung", die aber inhaltlich ganz, ganz andere Ziele verfolgt."
Diese Spaßguerilla hat Ziele, aber sie propagiert sie eher beiläufig. Im Vordergrund steht die Lust an der Provokation. Und der Name der Bewegung verspricht, was Jugendliche suchen: Identität.
Dr. Bettina Fackelmann
Kommunikationswissenschaftlerin
„Identität zu haben, finden wir glaube ich, erstmal alle klasse. Und wenn ich sozusagen irgendwo einloggen könnte und da kriege ich Identität wie auch immer, am Stück oder 100-Gramm-Weise oder indem ich da mitmache – naja, super."
Doch welche Identität ist gemeint? Offenbar Identität durch Abgrenzung. Das heißt wohl: Was nicht ist wie die Mehrheit, muss weg. Wer ist das? Moslems. Die gehören nach Meinung der Identitären offenbar nicht nach Europa.
Diese Bewegung ist nichts anderes als eine Anti-Islam-Kampagne, getarnt als Jugendbewegung. Fremdenhass mit zynischem Augenzwinkern.
Dr. Bettina Fackelmann
Kommunikationswissenschaftlerin
„Das einzige inhaltliche Moment ist meines Erachtens: wir grenzen uns ab gegen alle anderen ethnischen Identitäten, wir in unserem Raum hier möchten für uns bleiben, weil wir das aus – die Gründe werden meines Erachtens nicht wirklich ausgeführt – für besser halten.“
Dieser „rebellische" Auftritt störte Gespräche zwischen den Kulturen in Frankfurt. Das Ziel: „Multikulti" soll weg.
Der Flashmob in Wien: eine bedrohliche Demonstration gegen Flüchtlinge, die in einer Kirche kampierten. Linke Formen – rechte Inhalte.
Das Reizwort der Identitären heißt: Masseneinwanderung. Die Suggestion: Flüchtlingsheere bedrohen Europa. Wer so von „ethnokultureller Identität" redet, meint: Ausgrenzung von islamisch gläubigen Menschen. Identität wird zur Waffe. Null Prozent Rassismus? Wohl kaum.
Dr. Bettina Fackelmann
Kommunikationswissenschaftlerin
„Ich glaube, während früher sozusagen der ‚gemeine' Neonazi eher gegen den Türken, mit dem er eben auch im Alltag konfrontiert war, propagiert hat, haben wir es ja hier mit einer ganz allgemeinen Aussage gegen den Islam zu tun. Und das ist ja nun auch keine Ethnie, keine geschlossene, sondern die weltweite dominante in Zahlen Glaubensrichtung – ich glaub, das könnte aus deren Sicht durchaus schon mal ein Argument sein. Also, das sind ganz viele und die werden uns in deren Logik platt machen."
Der Islam wird allein als Bedrohung dargestellt, als Ursache von Armut und Gewalt.
Video
„Wir sind die Bewegung, deren Generation doppelt bestraft ist, verurteilt, in ein Sozialsystem einzuzahlen, das durch Zuwanderung so instabil wird, dass für uns und unsere Kinder nichts mehr überbleibt. Wir sind die Generation, die für einen falschen Blick, weil sie jemand eine Zigarette verweigert oder einfach nur, weil sie deutsch ist, getötet wird. Eure multikulturelle Gesellschaft bedeutet für uns nur Hass und Gewalt. Das ist kein einfaches Manifest – das ist eine Kriegserklärung…“
Eine Kriegserklärung gegen alles, was fremd genannt wird: In Berlin wurde sie vor wenigen Tagen aus dem Netz in die reale Welt getragen. Während der Versammlung der Reinickendorfer Bezirksverordneten entfalten plötzlich drei Unbekannte ein großes Plakat der Identitären. Die Parole: „Für unsere Alten Spott und Kälte – für Asylanten Lob und Knete."
Es geht um das Marie-Schlei-Haus, bis vor kurzem ein Seniorenwohnheim. Weil das Heim sich nicht trug, mussten die letzten Bewohner ausziehen. Ein neuer Betreiber will hier demnächst Flüchtlinge betreuen.
Doch die Anwohner argwöhnen: ihre alten Angehörigen seien von der Politik vertrieben worden, um Flüchtlingen Platz zu machen.
Die Identitären hängen ihre Flugblätter dazu, stellten das Ganze ins Netz und schüren so Angst und Wut der Anwohner. Ein Kommentar auf Facebook, Zitat:
„Da werden garantiert paar hundert Zigeuner reingepresst …"
Anwohnerin
Marie-Schlei-Haus, Berlin-Reinickendorf
„Ende der 70er Jahre hatten wir schon die Asylanten bei uns. Da hatten wir Ratten und Mäuse da gehabt, überall Dreck und Unrat nur gelegen…“
Anwohner
Marie-Schlei-Haus, Berlin-Reinickendorf
„Dass unsere Kinder sich mit denen auseinandersetzen müssen auf der Straße, und dann ist kein Herr Balzer und kein Herr Wowereit und keine Frau Merkel, dann sind unsere Kinder nämlich allein und müssen sich mit denen auseinandersetzen."
Die Anwohner gehören nicht zur „Identitären Bewegung“ – doch die Identitären versuchen, ihre Ängste zu schüren – und bestmöglich für sich zu nutzen.
Felix Hagen
Identitäre Bewegung
„Wer wir sind? Was ganz Neues, wir sind nicht links, nicht rechts, wir sind identitär."
Nils Grunemann
Identitäre Bewegung
„Ein aufrechter Bürger, der sich sorgt, was hier abläuft in den Bezirken Berlins."
Am nächsten Tag steht die Aktion schon auf Facebook: man klopft sich auf die Schulter, hat es „denen da oben“ mal wieder gezeigt.
Für die „Machtübernahme“ hat die Identitäre Bewegung wohl auch schon ein Konzept: Den Galgen für alle nicht Identitären. Da wünscht man sich wohl doch nur noch eines: den Button „Gefällt mir nicht" auf Facebook zurück.
Vom Rechtsextremismus grenzt sich diese Bewegung zwar verbal ab. Doch Verfassungsschützer haben durchaus personelle und inhaltliche Überschneidungen mit rechtsextremistischen Gruppen festgestellt. Bei der „Identitären Bewegung“ in Bremen etwa entdeckte der Verfassungschutz bereits bekannte Köpfe der rechten Szene.
Beitrag von Andrea Everwien