Neonazis
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- Mit dem Ordnungsrecht gegen Neonazis?

Finowfurt im Landkreis Barnim ist ein idyllisches Plätzchen. Doch am Stadtrand wohnt der Landesvorsitzende der Partei "Die Rechte". Auf seinem Hof finden regelmäßig Neonazi-Konzerte statt. Politik, Polizei und Zivilgesellschaft tun alles, um das zu verhindern.

Sie stoßen dabei immer wieder an die Grenzen des Rechtsstaates.

Kampf den Neonazis! Das haben sich – zum Glück – viele Menschen auf die Fahnen geschrieben. Und viele kriegen die Wut, wenn sie sehen, wie Neonazis bei Demonstrationen oder Rockkonzerten von einem Großaufgebot Polizisten geschützt werden. Denn Meinungs- und Versammlungsfreiheit gilt in unserem Rechtsstaat für jedermann. Doch muss der Staat wirklich ohnmächtig zuschauen, wenn sich Neonazis versammeln? Oder darf er zu juristischen Tricks greifen, um rechtsextreme Veranstaltungen zu behindern? So wie jüngst in der brandenburgischen Schorfheide geschehen. André Kartschall hat das beobachtet und kam zu einer Auffassung, die in unserer Redaktion durchaus zu Kontroversen geführt hat.

Ein Waldgrundstück in der Nähe von Finowfurt. 650 Rechtsradikale treffen sich hier auf einem Privatgelände. Sie kommen zum größten Neonazi-Konzert in Brandenburg seit Jahren: 12 Bands haben sich angekündigt. Regenschirme sollen die Dreharbeiten behindern. „Deutsches Reichsgebiet", heißt es hier – als würde der Rechtsstaat am Gartenzaun enden. Das Grundstück hat sich in den vergangenen Jahren zu einem der Anlaufpunkte der Neonaziszene entwickelt – weitgehend ungestört.

Doch an diesem Samstag ist alles anders: Von allen Seiten geraten die Rechtsextremen unter Druck: die Polizei sperrt die Autobahnabfahrt – wegen Staugefahr, so heißt es. Der Verkehr in Finowfurt selbst wird durch eine Gegendemonstration lahmgelegt. Der Bürgermeister hätte das Konzert am liebsten gleich ganz verboten. Doch das gibt die Rechtslage nicht her: Versammlungsfreiheit ist ein Grundrecht und gilt für jedermann – auch für Neonazis. Ein Dilemma für den Bürgermeister, der die Rechtsextremen hier nicht haben will.

Er versucht, ihnen das Leben wenigstens so schwer wie möglich zu machen: Mit dem Ordnungsrecht lässt er die Lautstärke des Konzerts begrenzen.

Uwe Schoknecht (Bündnis Schorfheide)
Bürgermeister
„Wir müssen – so leid es uns tut – diese Veranstaltung genehmigen, das geht nach dem Emissionsschutzgesetz, haben dort also keine Möglichkeit, generell zu untersagen, können aber Auflagen erteilen. Das taten wir heute auch: 22 Uhr wird wirklich der Stecker gezogen und 55 Dezibel, denke ich mal, ist auch für ein Rockkonzert eine Lautstärke, die nicht unbedingt Freude macht."

Mehr Freude haben da die Gegendemonstranten an ihrem Lautsprecherwagen. Mit deutlich mehr als 55 Dezibel geht es mitten durch Finowfurt. Für den Anmelder der Gegendemonstration kein Problem – schließlich sei man zwar laut, aber ja eben nicht rechtsradikal.

Sebastian Walter (Die Linke)
Kreisvorsitzender Barnim
„Wir haben keine Auflagen bekommen für unsere Demonstration. Das kann ich jetzt einfach so sagen."
KLARTEXT
„Wie erklären Sie sich das, dass die Auflagen bekommen und Sie nicht?"
Sebastian Walter (Die Linke)
Kreisvorsitzender Barnim
„Na, ich hatte es ja schon mal gesagt, also bei uns wird ja keine rechte Ideologie oder menschenverachtende Ideologie verteilt."

Ist linker Lärm also besser als rechter? Die Frage stellt sich umso mehr, als das Konzertgelände der Rechten außerhalb von Finowfurt in einem Waldstück hinter der Autobahn liegt. Wird hier also mit zweierlei Maß gemessen?

Uwe Schoknecht (Bündnis Schorfheide)
Bürgermeister

„Nein, also wir halten uns an Recht und Gesetz, und was im Rahmen der Gesetze möglich ist, dass können wir ausschöpfen – und das haben wir getan."

Die Sitzblockade durch die Linken direkt vor der Autobahnabfahrt ist genehmigt, keiner kann hier durch. Die Polizei zeigt sich ganz unbürokratisch: als die Genehmigung der Blockade um 12 Uhr abläuft, lässt sie mit sich reden – die Frist wird kurzerhand um drei Stunden verlängert. Die Autobahn bleibt gesperrt. Die Folge: Verkehrschaos, die Rechten irren stundenlang umher, der Beginn des Konzerts verschiebt sich.

Ein Gegendemonstrant ist Brandenburgs Finanzminister Markov. Er hat noch eine Idee: man könne doch mithilfe des Steuerrechts gegen den unliebsamen Konzertveranstalter vorgehen.

Helmuth Markov (Die Linke)
Finanzminister Brandenburg
„Also eigentlich kann er kein Geld einnehmen, darf er nicht: ist eine private Veranstaltung. Und auf einer privaten Veranstaltung nimmt man kein Geld ein. Und wenn er Geld einnimmt, muss er's versteuern. Und dann ist es sozusagen eine gewerbliche Tätigkeit. Da muss man gucken, ob die überhaupt angemeldet ist, ob es da ne Firma für gibt. Man muss sich mit den Mitteln, die das Recht einem bietet, eben auch zur Wehr setzen."
KLARTEXT
„Das heißt, Sie haben das im Auge?"
Helmuth Markov (Die Linke)
Finanzminister Brandenburg
„Es gibt Steuergeheimnisse, da rede ich nicht drüber."

Doch Steuerrecht und Lärmschutzgesetz sind nicht zur Extremismusbekämpfung erfunden worden. Soll und darf der Staat bei der Auseinandersetzung mit Rechtsradikalen dennoch auf diese Mittel zurückgreifen?

Thomas Dyhr von den Grünen hat seinen Stand etwas abseits aufgebaut. An der Blockade der Autobahnabfahrt will er sich nicht beteiligen. Er warnt davor, mit juristischen Tricks gegen die „braunen Würstchen" vorzugehen.

Thomas Dyhr (Bü90/Grüne)
Kreisverband Barnim
„Was heißt: Wie geht man dagegen vor? Mit Sicherheit nicht am Rechtsstaat vorbei. Ich halte nichts davon, wenn sich Demokratie selber widerlegt. Das heißt, wenn man dahin kommt, Grundrechtsträger 1. und 2. Klasse zu schaffen. Nach meiner Auffassung ist es so: wenn ich jetzt anfange, Leuten ihre Grundrechte zu beschneiden, widerlege ich doch letztlich mich selber als Demokrat."

Die Auflage der Gemeinde, das Konzert um 22 Uhr zu beenden, braucht es am Ende übrigens nicht, denn bereits eine Stunde zuvor löst die Polizei die Veranstaltung auf. Besucher sollen mehrfach den Hitlergruß gezeigt und sich damit strafbar gemacht haben. Kein Verstoß gegen Lärmschutz oder ähnliches – sondern Volksverhetzung. Die Polizei zeigt sich zufrieden – und übt noch einmal den Schulterschluss mit den Demonstranten.

Peter Salender
Polizeidirektion Brandenburg-Ost
„In dem Sinne möchte ich noch mal auf den Protest, der sich heute Vormittag durch Finowfurt formiert, verweisen. Ich glaube, das hat Wirkung gezeigt. Ich glaube, die Veranstalterin hat zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich das zukünftigerweise nicht mehr ganz so einfach organisieren lässt, wie ja auch nun der Abbruch der Veranstaltung zeigt: Wir machen's ihnen nicht leicht."

Sie machen's ihnen nicht leicht: Polizei, Bürgermeister, Minister und Gegendemonstranten gemeinsam vereint. Und sie nehmen in Kauf, dass die Grenzen des Rechtsstaats nicht mehr klar zu erkennen sind. 
 

Beitrag von André Kartschall