NPD-Aufmarsch
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- Missbrauchte Geschichte - NPD-Aufmarsch in Cottbus

Am 15. Februar will die NPD wieder einmal durch Cottbus marschieren. Als Anlass muss ein alliierter Luftangriff aus dem Zweiten Weltkrieg herhalten. Auch diesmal werden wohl wieder angebliche alliierte "Kriegsverbrechen" beschworen. Seit Jahren versuchen engagierte Bürger, den Aufmarsch zu verhindern. In Cottbus gehört Mut dazu, denn die rechte Szene tritt hier dominanter in Erscheinung als anderswo.

Auch in diesem Jahr wird der Großaufmarsch von Neonazis in Dresden wieder für Schlagzeilen sorgen: Einige hundert Rechtsextreme aus dem ganzen Bundesgebiet marschierten am Abend durch die Innenstadt. Seit vielen Jahren missbrauchen Neonazis den Jahrestag der Bombardierung Dresdens 1945 zur Geschichtsverdrehung. Doch dabei stoßen inzwischen schon traditionell auf enormen Widerstand der Bürger. So auch heute. Begleitet von einem Großaufgebot der Polizei setzten mehrere Tausend Dresdener ein deutliches Signal gegen Rechts. Sie wollen ihre Stadt nicht den Neonazis überlassen. In Cottbus wollen übermorgen ebenfalls zahlreiche Rechtsextreme demonstrieren: gegen die Bombardierung der Stadt vor 68 Jahren. André Kartschall und Anne Holzschuh zeigen, wie die Cottbusser Bürger darauf reagieren.


Es ist kalt, es schneit und es ist nicht viel los in der Fußgängerzone von Cottbus: Der Student Malte Plewa versucht dennoch, möglichst viele Menschen für die Anti-Nazi-Demonstration am kommenden Freitag zu mobilisieren. Ablehnung ist eher die Ausnahme. Die Sympathien scheinen klar verteilt:

Mann
„Ich hab' heftig was gegen Nazis!"
Mann
„An dem Tag hier, da werde ich dabei sein, weil ich hab die Faxen langsam dicke mit denen."
KLARTEXT
„Würden Sie am Freitag auch zur NPD gehen?"
Paar
„Um Gottes willen, nee!"
„Nee! Nee!"
Frau
„Nee, garantiert nicht!"
Mann
„Da müsste mir ein Ei fehlen."
Frau
„Wer tut so was, mit Idioten durch die Gegend laufen, oder?!"

Etwa 200 Leute tun so etwas jedes Jahr in Cottbus. Nicht viele also, aber in der Stadt versuchen die Rechten schon länger, den öffentlichen Raum zu dominieren.

Im Stadtparlament etwa sitzen zwei NPD-Abgeordnete. Der eine soll bei Abstimmungen auch schon mal den Hitler-Gruß zeigen. Der andere ist Ronny Zasowk: Er hatte 2010 die Idee, den Neonazi-Gedenkmarsch von Dresden einfach zu kopieren.

Seitdem demonstrieren die Rechten auch in Cottbus – es sind eben nur viel, viel weniger. Die Parolen aber sind dieselben wie in Dresden: „Mord am deutschen Volk", angeblich verschuldet von „alliierten Kriegstreibern".

Wir sind mit dem NPD-Mann zum Interview verabredet. Am vergangenen Wochenende ist er zu Gast in der Berliner Parteizentrale. Das Haus dürfen wir nicht betreten – geschlossene Veranstaltung. In einem nahen Park können wir ihn dann fragen, warum er von „Mord am deutschen Volk" redet.

Ronny Zasowk
NPD

„Es war definitiv Mord, also wenn 1.000 Menschen umkommen, durch die Hand von Kriegstreibern, ist das Mord, sogar Massenmord."
KLARTEXT
„Wer war denn der Kriegstreiber im Zweiten Weltkrieg?"
Ronny Zasowk
NPD
„Der Kriegstreiber in dem Zusammenhang, dass Cottbus und Dresden im Februar 45 bombardiert worden sind, war unter anderem Churchill ..."
KLARTEXT
„Aber wer hat denn den Krieg angefangen?"
Ronny Zasowk
NPD
„Wir reden jetzt über die Opfer, die an dem Tag zu Tode gekommen sind ..."
KLARTEXT
„Ja, und das war im Zweiten Weltkrieg."
Ronny Zasowk
NPD
„Bitte?"
KLARTEXT
„Das war im Zweiten Weltkrieg."
Ronny Zasowk
NPD
„Natürlich."

Sie hat diesen Krieg als Kind noch miterlebt: Ingeborg Müller aus Cottbus. Die Reduzierung des Gedenkens auf „deutsche Opfer" und „alliierte Täter" empört sie.

Ingeborg Müller
„Das ist eine Verfälschung der Geschichte."
KLARTEXT
„Warum?"
Ingeborg Müller
„Weil man immer den Herd erst suchen muss. Und der Herd war Hitler."

Am Tag des Bombenangriffs war Ingeborg Müller 13 Jahre alt. Ihr Wohnhaus stand nur ein paar hundert Meter entfernt vom Hauptziel – dem Bahnhof.

Ingeborg Müller
„Der Tag war richtig schön, bisschen mehr Sonne als jetzt im Moment. Und Mittag gingen die Sirenen wieder los, und wir sind alle in den Keller gegangen. Und auf einmal wackelten die Wände, dann ging auf einmal das Licht aus. Und wir wussten nicht mehr, ob wir aus dem Keller kommen."

Ingeborg Müller kam aus dem Keller – und erblickte ein zerstörtes Stadtzentrum. Etwa 1.000 Menschen waren im Bombenhagel gestorben.

Ingeborg Müller
„Man kannte diese Gegend gar nicht mehr wieder. Alles war zerbombt. Hier war ein großer Bombentrichter. Hier sind viele Menschen umgekommen vor der Kirche. Die Kirche war zerstört. Es war für uns … es war Weltuntergang."

Nach dem Krieg wurde die Lutherkirche wieder aufgebaut. Hier wird auch am kommenden Freitag der Opfer gedacht werden – wie schon seit Jahrzehnten – in aller Stille. Einen Marsch durch die Stadt braucht hier niemand. Der Pfarrer bezweifelt ohnehin, dass es den Rechten wirklich um die Opfer geht.

Stefan Aegerter
Lutherkirche Cottbus
„Die NPD ist eindeutig aufgesprungen. Wir hatten hier schon immer ein Gedenken und haben eben zu speziellen runderen Gedenktagen dann eben auch größere Aktionen gemacht. Die NPD hat eben im Jahr 2010 beschlossen, diesen Tag für sich zu vereinnahmen. Und wir lassen das nicht zu."

Die Kirche ist nur eine von vielen Gruppierungen in Cottbus, die den Aufmarsch der Rechten verhindern will. Unter dem Motto „Cottbus bekennt Farbe" engagieren sich von der Antifa bis zum SPD-Bürgermeister fast alle Cottbuser Strömungen, die nicht rechts sind.

Malte Plewa verteilt übrigens nicht nur Flugblätter in der Fußgängerzone, er veranstaltet auch ein sogenanntes „Blockadesicherheitstraining". Hier können die Teilnehmer lernen...

Malte Plewa
„… wie man richtig blockiert, wie setzt man sich hin, was darf man mitbringen, was darf man nicht mitbringen, wie verhält man sich in einer Situation, wenn die Polizei die Blockade auflöst und anfängt zu räumen."

Dann wird es nämlich ernst. Dreimal fordert die Polizei dazu auf, die Straße zu räumen – wer dann noch sitzt, wird weggetragen und riskiert eine Anzeige. Trotzdem setzten sich in der Vergangenheit schon so viele Cottbuser den Rechten in den Weg, dass deren Marsch umgeleitet werden musste. Und: der zivile Ungehorsam findet langsam immer mehr Anhänger.

Ingeborg Müller
„Mit Sitzen: ich komme immer so schlecht hoch. Über 80 kommt man so schlecht hoch, wenn man so gesessen hat."
KLARTEXT
„Wenn Sie bei dreimaligem Auffordern sitzenbleiben hilft Ihnen die Polizei hoch."
Ingeborg Müller
„Das ist gut. Na, dann könnte ich es machen. Nee – wenn's schlimm kommt oder wenn daran viel hängt, würde ich das machen."

 

Beitrag von André Kartschall und Anne Holzschuh