Zivilcourage
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- Zivilcourage kostet Geld

Landauf, landab - fordern Politiker Zivilcourage in diesen Tagen. Doch was ist Zivilcourage uns wert? Bis jetzt unterstützte das Familienministerium zahlreiche Projekte gegen rechts  aber nur für wenige Jahre. Nach und nach aber läuft diese Förderung aus. Und dann?

Mutige Einzelpersonen und Initiativen spiele eine ganz wichtige Rolle im Kampf gegen Rechts. Gerade in ländlichen Regionen brauchen solche Initiativen zuverlässige, stete Unterstützung der Politik – ganz konkret durch Finanzhilfen. Bund und Land begnügen sich dabei aber allzu gerne nur mit so genannten „Anschubfinanzierungen". Doch was, wenn diese auslaufen? Andrea Everwien.

KLARTEXT

„Haben Sie eigentlich Neonazis an der Schule?“
Uta Jolk
Schulleiterin Oberstufenzentrum Neuruppin
„Ja, natürlich haben wir Neonazis an der Schule.“
KLARTEXT
„Was machen die denn hier, zeigen die sich offen?“
Uta Jolk
Schulleiterin Oberstufenzentrum Neuruppin
„Also, es ist für sie sehr, sehr unbequem, weil sie ja erkannt sind und die anderen Jugendlichen wissen das und sie setzen sich mit ihnen auseinander. Und das ist ihnen unangenehm, das finden sie unbequem.“

Am Oberstufenzentrum Neuruppin versuchen die Lehrer, ihre rund 1.700 Schüler für demokratische Werte zu begeistern – mit besonderen Kunstprojekten.

Otto Wynen
Berater Oberstufenzentrum Neuruppin
„Wir müssen in die Herzen der Schüler, ja. Also, Informationen können die sich eigentlich überall jederzeit besorgen, wenn sie das wollten, aber sie müssen sich ja erst mal öffnen dafür."

Zum Beispiel mit einem Kunstprojekt im Rechtskunde-Kurs der Klasse 13. Wochenlang haben sich die Schüler mit dem Thema „Menschenrechte" auseinandergesetzt. Sie gestalteten einen Kalender. Ausgangspunkt waren Artikel des Grundgesetzes. Die Schüler machen sich ihre eigenen Gedanken dazu.

Zum Beispiel: Tanja – über Artikel 16: das „Recht zu heiraten":

Tanja, 19 Jahre
„Der eine kommt aus Afrika, der andere aus Deutschland und die dürfen nicht heiraten, weil der eine aus dem Land kommt – dann ist ja gut, wenn es ein Menschenrecht gibt."

Oder Franziska über Artikel 26, das „Recht auf Bildung“:

Franziska, 19 Jahre
„Dieser Artikel besagt, dass jeder das Recht auf Bildung hat. Ich habe mich damit beschäftigt, da ich nach meinem Abitur gerne studieren möchte, und dabei bin ich aber auf das Problem gestoßen, dass man zwar das Recht auf Bildung hat, jedoch gar nicht die Möglichkeit hat, diese zu finanzieren.“

Die eigenen Rechte kennenlernen und lernen, sie auch anderen einzuräumen – das ist auch wichtig für die Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten. Der Kalender: ein Ergebnis, auf das die Schüler stolz sind. 1.000 Euro hat die Schulleiterin dafür ausgegeben.

Uta Jolk
Schulleiterin Oberstufenzentrum Neuruppin
„Na, das ist eine Form von Wertschätzung, eine Anerkennung ihrer Arbeit, ihrer gedanklichen Auseinandersetzung mit diesem Unterrichtsgegenstand.“
KLARTEXT
„Und das ist Motivation?“
Uta Jolk
Schulleiterin Oberstufenzentrum Neuruppin
„Absolut."

Jetzt befürchtet Schulleiterin Jolk, im nächsten Jahr kein Geld mehr für solche Projekte zu haben. Bisher kamen die Mittel aus dem Fond „Toleranz fördern – Kompetenz stärken" von Bundesfamilienministerin Schröder.

Hehre Ziele – doch offenbar nur für ein paar Jahre Geld: Zunächst gab es jährlich 100.000 Euro vom Bund für den Kreis Ostprignitz-Ruppin, zuletzt immerhin noch 40.000. Doch damit soll jetzt Schluss sein. Kristina Schröder zieht sich aus der Verantwortung, will Land und Kommune verpflichten zu zahlen.

Doch auch Brandenburgs Bildungsministerin winkt ab: Landesmittel werden dafür nicht erhöht. Bleibt der Landkreis, nur: der ist arm, kann gerade mal seine Pflichtleistungen wie die Zahlung von Arbeitslosengeld 2 erbringen.

Dabei gibt es gerade im Landkreis Ostprignitz-Ruppin Bedarf für Programme gegen Rechtsextremismus. Der Landrat ist pessimistisch.

Ralf Reinhardt
parteilos, Landrat Ostprignitz-Ruppin
„Wir haben in vielerlei Hinsicht einen zunehmenden Frustgrad in Familien, bei Älteren, fast auch Teilen einer ganzen Generation, die es nicht geschafft hat, sich in diese Zivilgesellschaft nach der Wende eins zu eins zu integrieren und quasi die vielen Chancen, die es gegeben hat, auch für sich persönlich zum Erfolg zu bringen.“

Mindestens einmal im Jahr marschieren Rechtsextremisten in Neuruppin auf.
Doch seitdem es das Programm „Toleranz fördern…" gibt, stoßen sie immer mehr auf Widerstand – Plakate und Flyer der Gegendemonstranten werden zum Teil aus dem Bundesfonds finanziert. Es hat sich was verändert in der Region, weiß die Koordinatorin der Projekte in Ostprignitz-Ruppin.

Juliane Lang
Landesaktionsplan „Toleranz Fördern – Kompetenz stärken"
„Es gab am Anfang noch Diskussionen, ach, lassen wir sie einfach laufen und schauen weg und daraus hat sich eine ganz andere Protestkultur entwickelt, die für die Stadt oder die Region sehr wichtig ist, auch Brandenburg weit hat das ja eine Ausstrahlung gehabt."

Ein Höhepunkt der Proteste: 2011 hielt die NPD ihren Bundesparteitag in Neuruppin ab.
Die Neonazi-Gegner lachten sie öffentlich aus: am Ort der Pressekonferenz installierten sie über Nacht eine Ausstellung mit Plakaten, auf denen sie der NPD deutlich ihre Meinung zeigten.

„Toleranz fördern, Kompetenz stärken" – in Neuruppin ist mit dem Geld aus dem Fonds schon viel Veränderung angestoßen worden. Doch das Projekt muss weiter gehen.

Ralf Reinhardt
parteilos, Landrat Ostprignitz-Ruppin
„Ostprignitz-Ruppin ist zu schwach, um das alleine zu machen, finanziell zu schwach, aber hat Gefahrenpotential für die rechte Gesinnung, für Intoleranz. Und die Schere, die dort auseinander klafft, die kann dann zuschneiden, im Sinne von: dass einige abgeschnitten sein werden von Mitteln, die eigentlich Gutes angeschoben haben. Und das wären wir: Wir wären abgeschnitten, wenn es nicht eine zusätzliche Finanzierungsquelle dafür gibt."

Also ganz klar: Bund und Land stehen gemeinsam in der Verantwortung, um dem Rechtextremismus nicht das Feld zu überlassen!

 

Beitrag von Andrea Everwien