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Der Alexanderplatz war seit seiner Entstehung immer schon ein Spiegelbild Berlins. Geschäftig, zentral und irgendwie auch ein ungemütlicher, harter Ort. Nach der Wende sollte er zum Sinnbild werden der neuen, himmelstürmenden Hauptstadt mit bis zu 150 Metern empor ragenden Hochhäusern. Doch wenig ist seither passiert. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher will die hochfliegenden Pläne deshalb nun ad acta legen. Doch was soll aus dem Alex werden?
London hat seinen Trafalgar Square, Rom den Petersplatz, Paris seinen Place de la Concorde und Berlin? – Berlin hat den Alex, die ewige Baustelle, die sich nicht weiterentwickelt. Dabei brauchen Menschen lebendige Plätze. Doch die Umgestaltung des Alexanderplatzes kommt nicht voran, obwohl er eigentlich attraktiv sein könnte, auch zum Wohnen. Deshalb versucht die Politik jetzt, die Diskussion wieder in Schwung zu bringen. Helge Oelert.
Braucht man Visionen für die Zukunft unserer Stadt?
Wie soll das Gesicht Berlins einmal aussehen?
Wollen wir das Zentrum gestalten, oder wollen wir es planlos vor sich hin wachsen lassen?
Darum geht es in der aktuellen Diskussion um den Alexanderplatz. Immerhin, einer der größten und prominentesten Plätze in Berlin. Aber zurzeit nicht gerade ein einladender Ort für die Bewohner der Stadt.
Hier gibt es viel Elend und viel Beton. Schlagzeilen macht vor allem die Kriminalität. Neben den kaum verzeihlichen Bausünden, bei denen eigentlich niemand versteht, wie sie genehmigt werden konnten.
Dabei hat der Alex auch architektonische Höhepunkte zu bieten – wie die Kongresshalle, das Haus des Lehrers oder die Behrensbauten.
Und es gibt sogar einen preisgekrönten Masterplan, der die Gegend zum Gesamtkunstwerk gestalten soll und schon vor 20 Jahren vorgestellt wurde:
Abendschau vom 17.9.1993
„Der Alexanderplatz soll seine zentrale Bedeutung für die Stadt wieder erhalten. Zu diesem Zweck hatte Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer einen städtebaulichen Wettbewerb ausgelobt. Sieger wurde der Berliner Architekt Hans Kollhoff. Er will zwölf Wolkenkratzer hier bauen, jeweils 150 Meter hoch, die sich zur Platzmitte hin verkleinern und dort nur etwa 40 Meter hoch sein sollen.“
Das Ziel war es, ein Platzgefühl zu schaffen, durch Randbebauung. In der damaligen Wiedervereinigungseuphorie rechnete man damit, dass Berlin auf bis zu zehn Millionen Einwohner anwachsen würde. Geboren aus diesem Zeitgeist waren die damaligen Pläne hochfliegend.
Original
„Wer sich dem Alexanderplatz nähert, wird die neue Skyline ständig vor Augen haben, ganz gleich, ob er von Osten über die Karl-Marx-Allee, von Norden über die Prenzlauer Allee oder aus westlicher Richtung über die Straße ‚Unter den Linden' kommt.“
Der Plan sieht vor, einen Teil der DDR-Architektur radikal abzureißen, wie das Haus des Reisens, das Haus der Elektroindustrie und sogar das 128 Meter hohe Park-Inn- Hotel.
Die öden Leerflächen würden – orientiert am historischen Grundriss – in lebendige Quartiere verwandelt. Von Anfang an war die Gigantomie umstritten, wurde aber mit dem riesigem Wohn- und Bürobedarf begründet.
Doch 20 Jahre später ist kaum etwas von all dem umgesetzt. Als einziges Unternehmen plant die Firma „Hines" aktuell, ein Hochhaus zu bauen.
Die Senatsbaudirektorin hält die Kollhoff-Pläne deshalb für unrealistisch. Nach 20 Jahren will sie den alten Entwurf pragmatisch reformieren.
Regula Lüscher (parteilos)
Senatsbaudirektorin
„Mir geht es darum, dass man über diese Planungen nachdenkt, vielleicht auch gewisse Türme etwas verschiebt. So dass man Rücksicht nimmt auf den Bestand. Denn der Bestand verhindert die Umsetzung der Planung. Kein Mensch will das Park-Inn-Hotel abreißen, um einen anderen Turm zu bauen. Sondern die Idee ist ja, dass da weitere Hochhäuser entstehen. Und die können im Moment nicht entstehen, weil sie Bestände überplanen.“
Doch damit wäre die Büchse der Pandora geöffnet – die Debatte ginge von vorne los. Schon fordert eine Initiative, ganz auf Hochhäuser in der Innenstadt zu verzichten und Bauwerke aus der Zeit von Friedrich dem Großen hier wieder aufzustellen.
Annette Ahme
Initiative „Schöne Mitte – Schöne Stadt"
„Warum soll man nicht als Erinnerungsmarke, jetzt wo der Platz ja wieder da ist, die Königskolonnaden wieder an ihren alten Platz stellen?"
Tatsächlich hat der Alexanderplatz eine bewegte Geschichte: einst Viehmarkt vor den Toren Berlins, wurde er mit Beginn des 20. Jahrhunderts zum Verkehrsknoten für die damals sich ausbreitende Metropole. Und ein Brennpunkt für deren Probleme, die Alfred Döblin unter dessen Namen beschrieb. In den 30ern umgebaut, im Krieg zerstört. Die DDR-Führung wollte an ihm ein Exempel statuieren …
„Hier im Zentrum, durch die einfache Erhabenheit seiner Gebäude, der Mittelpunkt des demokratischen, antiimperialistischen Deutschlands."
So viele Pläne, Umbaupläne und Umbau-Umbau-Pläne, dass manche Experten schon aufgeben möchten, und ganz auf den Versuch großer Konzepte verzichten.
Heinrich Wefing
Architekturkritiker
„Wenn man sich das anguckt, wie in den letzten 150 Jahren lauter große Entwürfe für die Stadt gemacht worden sind, und die sind alle nicht realisiert worden, dann kann man einen Schluss daraus ziehen: Man muss nicht immer den großen Wurf haben, man muss nicht immer die große Vision für einen Ort haben. Sondern man kann die Dinge auch liegen lassen, wachsen lassen, sich entwickeln lassen. Kleine Eingriffe. Man braucht keinen Masterplan für den Alexanderplatz.“
Tatsächlich sind viele mit dem Alex ganz zufrieden.
Mann
„Ich bin gerne am hier, ich häng hier gerne rum."
Frau
„Man spürt hier die Kultur, die Musik im Hintergrund und unterschiedliche Leute, die hier vorbeilaufen.“
Mann
„Viele junge Leute, die fröhlich sind, und im Grunde mal von einigen wenigen Gewaltsachen die hier des Nachts geschehen sind abgesehen, ist es doch ne relativ friedliche Sache.“
Und doch zeigt das, was in der Innenstadt an baulichem Wildwuchs in den letzten Jahren so entstanden ist, wie wichtig ein anspruchsvolles Gesamtkonzept für Berlins Mitte gewesen wäre. Manche Kritiker werfen der Senatsbaudirektorin Rückgratlosigkeit vor.
Michael Mönninger
Architekturexperte
„In Berlin hat sie keine starke Machtbasis und deswegen wird sie sich immer weiterhin in Kompromisse verstricken, wird immer weiterhin keine Position beziehen, weil sie es nicht durchsetzen kann."
Wahrscheinlich lohnt es sich, am Gesamtkunstwerk von Kollhoff festzuhalten. Immerhin ein politisch beschlossenes Konzept, das man nicht zerstören sollte, bloß weil bislang die Investoren zögern.
Michael Mönninger
Architekturexperte
„Das Problem ist: Städtebau ist ja kein Bauklötzchenverschieben, wo man einzelne kleine Elemente wie beim Mosaik verändern kann. Da hängt ja immer sehr viel dran – politische Abstimmung, Bürgerbeteiligung, Rechtslage, mögliche Klagewege – also, wenn man jetzt anfängt, an dem Plan rumzubasteln, dann hat man so viel Diskussionsbedarf, das wird fünf, zehn oder 15 Jahre dauern.“
Doch gerade jetzt erlebt Berlin einen Bauboom. Eigentlich eine ideale Zeit für die Politik, um das Gesicht unserer Stadt zu gestalten – doch diese Chance wird wahrscheinlich ungenutzt verstreichen.
Übrigens: Die Berliner sind gespalten in der Frage, ob es richtig ist, in Berlin mehr Hochhäuser zu bauen: Im aktuellen Berlintrend des rbb sagen 45 Prozent: Ja, wir brauchen mehr Hochhäuser – 46 Prozent lehnen das ab.
Beitrag von Helge Oelert