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Tempelhofer Park | Bild: rbb

- Der Tempelhofer Park – Fluch oder Segen für Neukölln?

Auf dem stillgelegten Flughafengelände Tempelhof entsteht ein neuer Park im Herzen Berlins. Für die angrenzenden Stadtgebiete steigt damit die Wohn – und Lebensqualität ihres Bezirks. Dies gilt insbesondere für Nord Neukölln – wegen der hohen Zahl der Arbeitslosen, Hartz IV Empfänger und Migranten seit Jahren eher eine „schlechte Adresse“. Während Quartiersmanagements und Streetworker versuchen, den sozialen Brennpunkt zu befrieden, regt sich jetzt Widerstand gegen den neuen Park. Mietsteigerungen, Immobilienspekulation und Verdrängung der sozial Schwachen werden befürchtet. Der neue Park – Fluch oder Segen für Neukölln?

Seit dem vergangenen Wochenende ist Berlin um eine Attraktion reicher: Wo einst Flugzeuge starteten und landeten, können sich die Berliner jetzt erholen. Der stillgelegte Tempelhofer Flughafen wird bis 2017 zum größten Park der Stadt, vielleicht waren Sie auch schon da. Die Bewohner der angrenzenden Bezirke haben nun große Hoffnungen. Sie rechnen mit einer Aufwertung ihrer Bezirke durch den attraktiven Park. Aber, es gibt auch Proteste. Ulrich Kraetzer, Robin Avram und Katrin Röper haben sich umgesehen. Eine Reportage aus dem Schillerkiez aus dem Norden Neuköllns, der als sozialer Brennpunkt gilt.

Nun dürfen die Berliner also rein. Die Flugzeuge sind weg, aus dem Flughafen wird der Tempelhofer Park. Wohnhäuser, Stadtvillen, ein Industriepark oder einfach nur Bäume und viel Grün – wie es hier in zehn Jahren aussehen soll, ist noch unklar, aber soviel steht fest: Erstmal ist die riesige Spielwiese mitten in der Stadt eine Attraktion. Und darauf setzt auch Arnold Mengelkoch, der Integrationsbeauftragte des angrenzenden Neukölln. Er verbindet große Hoffnungen mit dem Park, erst recht für seinen Bezirk.

Arnold Mengelkoch, Integrationsbeauftrager Neukölln
„Dass uns dann Familien treu bleiben. Das Familien in Neukölln-Nord wohnen bleiben, dass sie sagen: ‚Die Aufenthaltsqualität ist hier super, hier bleiben wir, hier wollen wir leben, das ist großartig.‘“

Alles großartig? Für ein Recht auf Stadt kämpfen diese Damen und Herren ein paar paar hundert Meter weiter im sogenannten Schillerkiez. Das Bündnis linker Gruppen behauptet: Von dem schönen neuen Park werden nur die Reichen profitieren.

Oliver Bergmann, Demo-Bündnis „Steigende Mieten stoppen“
„Es gibt ja auch schon verschiedene Meldungen, dass das Gebiet immer mehr für Investoren und andere interessant wird. Und gerade in Nord-Neukölln, das ja hier angrenzt, haben wir auch schon die Erfahrung gemacht, dass die Mieten rasant steigen.“

Rasant steigende Mieten? Statistiken darüber gibt es nicht. Dafür: jede Menge Befürchtungen, Verunsicherung und Stimmungsmache.

Arnold Mengelkoch kennt den Schillerkiez schon lange. Ein schönes Viertel und trotzdem: ein Problemkiez. Der Integrationsbeauftragte weiß: Zwei Drittel der Bewohner leben von Hartz IV oder anderen Sozialleistungen. Die Hälfte der Kinder lebt unter der Armutsgrenze.

In der Okerstraße war es besonders schlimm. Die Anwohner klagten über illegale Prostitution und steigende Kriminalität. Die Gegend verwahrloste zusehends. Die Integration drohte außer Kontrolle zu geraten und deshalb gründeten mehrere Behörden die so genannte Task Force Okerstraße. Seitdem kümmern sich und sein Team um den Kiez – und vor allem aber um die Bewohner. Sozialarbeiter helfen den Kindern aus der Okerstraße zum Beispiel bei den Hausarbeiten.

Tülin Paltan, Nachhilfelehrerin
„Also, es sind fast alles Kinder mit Migrationshintergrund, die halt auch zu Hause nicht die Möglichkeit haben, von ihren Eltern Hilfe zu erwarten, schulisch, und deswegen ist es eigentlich ganz cool, dass sie hier herkommen, und mit uns ihre Hausaufgaben machen können, und einfach ein bisschen quatschen, mit anderen Kindern zusammen sein. Es ist auf jeden Fall schön, die von der Strasse herunter zu holen und denen neue Perspektiven zu geben.“

Die Task Force hat die schlimmsten Probleme im Schillerkiez zwar beseitigt - doch auch Arnold Mengelkoch weiß: Die grundsätzlichen Probleme sind geblieben.

Er arbeitet deshalb eng mit der Quartiersmanagerin zusammen. Kerstin Schmiedeknecht und ihr Team haben zehn Jahre lang Spielplätze geplant, Geschäftsleute beraten und sich um Schulschwänzer gekümmert.

Auch die Quartiersmanager glauben: Der neue Tempelhofer Park wird das Viertel nach vorne bringen.

Kerstin Schmiedeknecht, Quartiersmanagement Schillerkiez
„Bisher haben wir im Schillerkiez immer das Problem gehabt, uns zu überlegen, was kann man mit den Menschen, die hier leben, mit all ihren Problemen, mit all ihren Sorgen, mit all ihren Defiziten tun, damit sich hier irgendetwas tut, damit sich hier irgendetwas entwickelt. Und wir haben im Prinzip eigentlich nur den Symptomen herumgedoktert. Mit dem Neustart und der Öffnung von Tempelhof können wir ganz neu denken.“

Die Hoffnung der Quartiersmanager: Durch den neuen Park wird der Kiez attraktiv auch für Menschen, die bisher vielleicht nie nach Neukölln gezogen wären. Die soziale Mischung auch im Schillerkiez könnte sich dadurch verbessern.

Kerstin Schmiedeknecht, Quartiersmanagement Schillerkiez
„Wenn hier 70 Prozent der Menschen sozusagen von Hartz IV oder ergänzenden Sozialleistungen leben, und in dem Sinne Arbeit als Erwerb gar nicht kennen, dann ist hier irgendwas stark gekippt und diese Vorbildwirkung, die ist dann auch nicht mehr vorhanden. Und das können Mittelschichtsfamilien oder Familien, die eben einer regulären Arbeit und den damit verbundenen Anforderungen nachgehen, durchaus mitbringen.“

Aufwertung – für das Quartiersmanagement und manche Anwohner heißt das: Hoffnung. Für die linken Demonstranten heißt es: Ärmere Menschen werden verdrängt. Und tatsächlich: Die ersten Häuser werden saniert, erste alteingesessene Bewohner müssen wohl gehen. Zum Beispiel Kirsten. Seit neun Jahren wohnt sie im Schillerkiez. Sie und ihre WG haben Hoffeste organisiert und sich bei Kulturfestivals beteiligt, das Viertel lebenswerter gemacht. Jetzt wird das Viertel tatsächlich attraktiver und jetzt soll die WG raus. Denn von der Öffnung des Tempelhofer Parks will auch der neue Eigentümer ihres Wohnhauses profitieren.

Kirsten
„Wir wurden gekauft von einer Immobilienfirma, und die möchte nicht mehr weiter an uns vermieten, sondern verkaufen als Eigentumswohnungen.“

Die Befürchtungen der Demonstranten haben also einen wahren Kern. Doch ihr Protest richtet sich nicht nur gegen Immobilien-Spekulanten und den Senat. Der Hauptfeind der linken Gruppen: ausgerechnet die, die das Viertel stabilisiert und den Bewohnern geholfen haben – das Quartiersmanagement und die Task Force.

Oliver Bergmann, Demo-Bündnis „Steigende Mieten stoppen“
„Das Ziel der Task Force ist ja eher, nicht die Armut zu bekämpfen, sondern die arm sind. Und dass die Leute dann im Straßenbild nicht auftauchen, heißt ja nur, dass sie woanders hin verdrängt wurden, und das kann nicht Sinn der Sache sein.“

Die Task Force und ihre Projekte – eingerichtet, um die Armen zu verdrängen? Tülin Paltan findet das absurd.

Tülin Paltan, Nachhilfelehrerin
„Wir werten damit nicht das Viertel auf, das ist Quatsch. Wir helfen einfach nur Kindern, ein bisschen ihre Zukunft zu verbessern, und denen in der Schule zu helfen. Mehr ist das nicht, das ist wichtig.“

Doch die Autonomen wählen nicht nur zweifelhafte Feindbilder, auch Gewalt scheint für sie legitim zu sein. Graffiti, Farbbeutel-Attacken, eingeschmissene Scheiben - die Fotos von Übergriffen auf das Quartiersmanagement füllen mittlerweile ganze Ordner.

Kerstin Schmiedeknecht, Quartiersmanagemenr Schillerkiez
„Das Schlimmste für meine Kollegen war die letzte Aktion, wo die sogenannten Überflüssigen also hier sozusagen im wahrsten Sinne des Wortes unser Büro überfallen haben. Ein Treck Maskierter stürmt dieses Büro, drängt sie an die Wand. Meine Kollegen standen völlig zitternd in der Ecke und wussten gar nicht was ihnen geschieht.“

Sinnlose Gewalt gegen Sozialarbeiter – für die Organisatoren der „Steigende-Mieten-Stoppen-Demo“ offenbar kein Problem.

KLARTEXT
„Ist es begründet, Fensterscheiben einzuschmeißen und Leute zu bedrohen?
Oliver Bergmann, Demo-Bündnis „Steigende Mieten stoppen“
„Da müssen Sie andere Leute fragen.“
KLARTEXT
„Naja, aber sie stehen doch hier für ein breites Bündnis, oder?“
Oliver Bergmann, Demo-Bündnis „Steigende Mieten stoppen“
„Genau.“
KLARTEXT
„ Aber für die Leute wollen sie nicht sprechen?“
Oliver Bergmann, Demo-Bündnis „Steigende Mieten stoppen“
„Wir sprechen für unser Bündnis, und wir sind heute hier, um dafür zu sorgen, dass die Verdrängung hier im Kiez nicht statt findet.“
KLARTEXT
„Ich verstehe nicht, warum sie sich nicht abgrenzen, von diesen Leuten und ihren Methoden.“

Für sie soll alles bleiben, wie es ist. Doch das wird es nicht. Der Flughafen ist zu, das Tempelhofer Feld ist offen und das wird den Schillerkiez verändern. Jetzt geht es darum, diese Verändeurng zu gestalten.

Kirsten
„Ich glaube nicht, dass es Sinn macht zu sagen: ‚Wir hätten wir das mal so gelassen, dass die noch fliegen und würde der Kiez mal noch weiterhin so dreckig sein und könnten wir dann hier bleiben.‘ Das sind einfach alles Dinge, die also für uns… unser persönlicher Aktivitätsrahmen bezieht diese Dinge nicht mit ein, also wir werden nicht damit anfangen plötzlich Farbbomben auf die Häuser zu schmeißen oder so.“



Autoren: Ulrich Kraetzer, Robin Avram und Katrin Röper