Mietrecht
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- Hauptsache blockiert - Zwangsräumung als Politikum

Die Lausitzer Straße in Kreuzberg sah nach der Zwangsräumung einer Wohnung in der vergangenen Woche aus wie nach den besten Tagen der 1. Mai-Krawalle: 815 Polizisten waren im Einsatz. Eine Familie hatte sich jahrelang gegen eine Mieterhöhung gewehrt, sich durch mehrere Instanzen geklagt und verloren. Ihr Fall löste eine neue Qualität des Protests gegen Gentrifizierung aus. So groß das Mitgefühl für die Familie vielerorts war: Sind die Mittel des Protest verhältnismäßig? Oder ging es am Ende lediglich um ein politisches Ausschlachten eines eigentlich ungeeigneten Einzelfalles?

Schnell steigende Mieten und Verdrängung sozial Schwacher – das ist in Berlin zunehmend ein Problem. Jetzt gewinnt das Thema aber richtig an Schärfe. Heute prallten wegen einer geplanten Zwangsräumung in Reinickendorf wieder Demonstranten und Polizei aufeinander. Auch Oppositionspolitiker schlachten das Thema aus und machen lauthals Stimmung. Aber ist diese Aufwallung berechtigt? Wir empfehlen: erstmal Fakten checken! Iris Marx.

Die Solidarität war riesig. Das Schicksal einer türkischen Familie aus Kreuzberg, deren Wohnung wegen Mietschulden zwangsgeräumt wurde, bewegte viele.

Sämtliche Nachrichten bis hin zur türkischen Zeitung Hürryet berichteten. Eine Familie wird zum Gesicht der seit Jahren herumspukenden Gentrifizierungsangst.

Aber taugt das Beispiel wirklich als Symbol der Verdrängung?

Der Protest war so beeindruckend, dass die Gerichtsvollzieherin sich nur getarnt mit einer Polizeiuniform ins Haus traute. 815 Polizisten waren im Einsatz.

Es kam zu Ausschreitungen, Autos brannten.

Der Chef der Berliner Linken Klaus Lederer schrieb dennoch auf der Internetplattform Twitter:

Tweet
Klaus Lederer, Die Linke
Landesvorsitzender Berlin
„Es ist so krass geworden, dass wir mit allen verfügbaren Kräften jede Zwangsräumung mit zivilem Ungehorsam zum Symbol machen sollten."

Die Botschaft ist klar: Der Protest ist gut – trotz der Ausschreitungen, die Zwangsräumung ungerecht!

Aber: So groß das Drama um eine Familie ist, die nach Jahren ihre Wohnung verlassen muss, es ging hier um eine Mieterhöhung – allerdings unterhalb des Mietspiegels. Dagegen klagte der Mieter durch alle Instanzen, verlor und zahlte trotzdem zunächst nicht.

Dennoch nutzen nicht nur die Linken den Fall für ihre Politik, sondern auch die Grünen und erstatten sogar Strafanzeige.

Katrin Schmidberger, Bü90/Die Grünen
mietenpolitische Sprecherin
„Wir haben eine Strafanzeige jetzt gegen die Gerichtsvollzieherin gestellt, weil es ganz klar Amtsanmaßung ist. Das ist auch, steht in § 132a Strafbuchgesetz.“

Hier wird peinlich genau auf das Recht geachtet. Aber, dass der konkrete Fall rechtlich eigentlich nicht passt, sehen die Grünen nicht so eng.

KLARTEXT
„Ist es tatsächlich so, dass der Mieter hier wirklich absolut im Recht ist?
Katrin Schmidberger, Bü90/Die Grünen
mietenpolitische Sprecherin
„Die Frage kann ich nicht abschließend beantworten, weil ich bin keine Juristin. Aber ich kann das politisch bewerten. Und wie gesagt: Die Familie ist für mich ein Beispiel. Ein Symbol dafür, dass wir in Berlin eine Wohnungskrise haben."

Wirklich ein Symbol für die Wohnungskrise?

Auch der heutige Fall der Zwangsräumung wirft Fragen auf, ob er als Symbol für die Verdrängung taugt. Trotzdem kämpft auch hier wieder das Bündnis „Zwangsräumungen verhindern". Es geht um den Fall Rosemarie F. aus Reinickendorf:

Eine schwer behinderte Frau, die ihre Miete nicht zahlte, obwohl diese vom Amt übernommen wurde.

Sarah Walter
Bündnis Zwangsräumungen verhindern
„Sie ist sicherlich keine Nachbarin, die man sich freiwillig wählt, aber uns ist sie natürlich sofort ans Herz gewachsen. Weil sie kam und sagte, sie weiß nicht weiter. Da ist die Frage nicht, sind wir solidarisch, sondern natürlich sind wir solidarisch."

So sehr das Schicksal der Frau ans Herz geht, es ist genau wie bei der türkischen Familie kein Fall einer Vertreibung nach einer unverhältnismäßigen Mieterhöhung – aber ob der Fall passt, scheint den Aktivisten offenbar egal zu sein.

KLARTEXT
„Taugt dieser Einzelfall?“
Klaus Lederer, Die Linke
Landesvorsitzender Berlin
„Also wenn der Gerichtsvollzieher kommt, ist es immer durch alle Instanzen gegangen. Das ist der Grundsatz. Das heißt, jede Räumung, die stattfindet, hat einen rechtsstaatlichen Hintergrund. Aber trotzdem stellen wir fest, dass natürlich bei manchen Räumungsgeschichten vorher regelrechte Tragiken liegen.“
KLARTEXT
„Dieser Einzelfall, taugt der?“
Klaus Lederer, Die Linke
Landesvorsitzender Berlin
„Also, ich glaube, letztlich taugt jeder Einzelfall.“

Um die eigene Politik zu verkaufen; kommt es also gar nicht auf den Einzelfall an. Befremdlich ist, dass die Linke sehr lange mit an der Regierung war. Und, wenn es doch so leicht ist, warum hat sie nichts getan?

KLARTEXT
„Sie waren zehn Jahre mit an der Regierung – ist das nicht irgendwie schräg?
Klaus Lederer, Die Linke
Landesvorsitzender Berlin
„Ich find's Insofern nicht schräg, als dass wir 2006 in der Koalitionsvereinbarung das Privatisierungsverbot durchgesetzt haben, dass wir seit 2007, 2008, als die Dynamik auf dem Mietenmarkt erkennbar war, immer wieder mit Vorschlägen im Abgeordnetenhaus, in der Koalition gekommen sind, damit auch abgeblitzt sind mit der SPD, weil der Druck, den wir im Rücken hatten, auch nicht gereicht hat, weil wir auch nicht durchsetzungsstark genug waren.“

Im Nachhinein fällt es immer leichter sich zu beklagen.

Fakt ist, dass kein Vorschlag der politischen Parteien die Zwangsräumungen verhindert hätte.

Im Grundsatz haben die Oppositionellen ja recht: Der Wohnraum in Berlin wird knapper, die Mieten steigen. Aber so zu tun, als könne man das Problem einfach lösen, ist wenig hilfreich.


Beitrag von Iris Marx