Mauerstreifen in der Bernauer Straße (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- 20 Jahre Mauerfall – Streit um Gedenkstätte Bernauer Straße

Von der Mauer, die einst die Stadt zerriss, sind kaum noch Spuren im Stadtgebiet zu erkennen. Für Touristen wie für die nachgeborene Generation wird es immer schwerer, sich den Alltag in der geteilten Stadt vorzustellen, das Leid der Opfer nachzuempfinden. Deshalb wurde die Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße geschaffen. Doch jetzt streiten Politiker, Denkmalschützer und die Sophien-Gemeinde, deren Friedhof im ehemaligen Grenzstreifen liegt, ob die zum Teil abgerissene Mauer wiedererrichtet werden soll oder abstrakte Stahlstreben an ihren Verlauf erinnern sollen.

Wenn in diesem Jahr überall in Berlin an den Fall der Mauer vor 20 Jahren erinnert wird, da gibt es nur ein Problem: Von der Mauer ist in der Hauptstadt kaum noch etwas da. Darüber beklagen sich regelmäßig Touristen, aber auch Neu-Berliner, die durch die Stadt irren - auf der Suche nach Überresten der Teilung.Lediglich im Bezirk Mitte, in der Bernauer Straße, steht noch ein ganzes Stück der Original Berliner Mauer. Rund 200 Meter lang – mit dem Todesstreifen dahinter. Hier befindet sich die Mauer-Gedenkstätte. Ein Ort, um den Schrecken der Teilung nachzuvollziehen und an die Toten zu erinnern. Denn allein in Berlin kamen mindestens 136 Menschen an der Mauer ums Leben. Doch wie soll daran erinnert werden? Darüber ist jetzt ein heftiger Streit entbrannt. Katrin Aue und Robin Avram.

Diese Lücke in der Berliner Mauer ist 19 Meter breit, zwölf Jahre alt – und mehr als eine Lücke.

Die einen wollen, dass die Lücke offen bleibt, andere setzen sich dafür ein, dass sie geschlossen wird. Das klingt nach einer kleinlichen Debatte, aber im Kern geht es darum: Wer bestimmt darüber, wie der deutsch-deutschen Teilung gedacht wird?

Berlin, 1961. Auch entlang der Bernauer Straße trifft der Mauerbau die Menschen hart. Familien werden getrennt. Beim Versuch, die Mauer zu überwinden, sterben hier die ersten Menschen. Durch selbst gegrabene Tunnel gelingt in den folgenden Jahren Menschen die Flucht in den Westen. Die Bernauer Straße – über Jahrzehnte ein Brennpunkt der deutsch-deutschen Teilung.

Und heute Zentrum des Streits darüber, wie an die Geschichte der Mauer erinnert werden soll.

Carl-Wolfgang Holzapfel war 17, als er aus Westdeutschland nach West-Berlin kam, um gegen das Unrecht in der DDR zu kämpfen. „Diese Schande muss weg“, schrieb er 1964 auf die Mauer an der Bernauer Straße. Heute findet er: Von der Mauer muss hier so viel wie möglich erhalten bleiben.

Carl-Wolfgang Holzapfel
„Sie stehen davor, sie können sich auch plastisch auch nach 50 Jahren, nach 100 Jahren vorstellen, hier war die Welt zu Ende, hier kam ich nicht durch, hier ging es einfach nicht weiter.“

Heute stehen an der Bernauer Straße noch 212 Meter Mauer. Weil das eines der längsten erhaltenen Mauerstücke ist, und weil die Straße so symbolhaft ist, steht seit einigen Jahren fest: Das Mahnmal Bernauer Straße soll erweitert werden.

Der Entwurf sieht unter anderem vor, die vorhandene Mauer entlang der Bernauer Straße bis zur Brunnenstraße mit Stäben aus Stahl symbolisch zu verlängern.
Soweit sind sich alle einig. Umstritten bleibt die 19 Meter breite Lücke in der Mauer. Die Stäbe sollen auch sie füllen. Und genau dagegen regt sich jetzt Widerstand.

„Krach um diese Mauerlücke“. „Stiftung will Berliner Mauer wieder haben“. „Mut zur Lücke in der Mauergedenkstätte“.

Die Lücke ist ein Politikum – und das schon seit Jahren.

Sie wurde geschlagen von der auf der Ostseite ansässigen evangelischen Sophien-Gemeinde. Auf deren Friedhof war die Mauer damals gebaut worden. Sogar Tote wurden dafür umgebettet – der Schmerz darüber sitzt noch heute tief.

Jahrelang stellte sich deshalb die Gemeinde quer, als es nach dem Ende der DDR hieß: Hier soll die Mauer erhalten bleiben, als Mahnmal für nachfolgende Generationen.

1997 schuf die Gemeinde Fakten: Sie räumte Mauerteile ab, an einer Stelle, wo Gräber von Kriegstoten vermutet werden. Beim Gedenken wollte die Gemeinde ihre eigenen Interessen berücksichtigt sehen.

Die Mauerteile stehen noch heute wenige Meter von der Lücke entfernt. Und das soll auch so bleiben. Das ist die Bedingung für die Gemeindevertreter, überhaupt die Erweiterung der Gedenkstätte zu akzeptieren. Ihr gehören Teile des Geländes, und diesen Trumpf spielt sie auch aus.

Holger Kulick, Evangelische Kirchengemeinde Sophien
„Dass es denen, die diesen Friedhof genutzt haben, die ihn besucht haben, satt hatten, hier nur Mauer vor Augen zu haben, das ist sehr nachvollziehbar. Und das kann man auch späteren Generationen sehr gut erzählen, was für Emotion damit verbunden waren, auch nach dem Mauerfall Mauer noch aushalten zu müssen.“

Deshalb sollen die Mauerteile dort bleiben wo sie jetzt sind, so der Entwurf zum Mahnmal. Und genau darüber wird jetzt gestritten.

Carl-Wolfgang Holzapfel teilt den Schmerz der Gemeinde beim Anblick der Mauer. Trotzdem ist er inzwischen dafür, die Lücke wieder zu schließen. Denn gerade der Schmerz ist für ihn wichtig, um die Vergangenheit zu verarbeiten.

Carl-Wolfgang Holzapfel
„Im Grunde genommen arbeitet man damit nicht auf, sondern man verdrängt etwas. Man versucht, sich sozusagen um eine Geschichte herumzumogeln. Aus Schmerzgründen, aus anderen Gründen. Und ich glaube, es ist wichtig, da die Mauer hier authentisch keine Lücke hatte, sondern durchgängig war. Damit muss man leben.“

Ein Lückenschluss mit solchen Stahlstäben – so steht es schon seit rund einem Jahr im Entwurf. Doch jetzt – kurz vor der endgültigen Entscheidung - regt sich Widerstand. Auch Joachim Gauck, Mitglied im beratenden Beirat der Stiftung „Berliner Mauer“ fordert die originalen Mauerteile zurück. Obwohl er die Gefühle der Gemeindemitglieder und deren Geschichte nicht ignorieren will.

Joachim Gauck, Stiftungsbeirat „Berliner Mauer“
„Aber diese Geschichte ist sehr viel weniger bedeutungsvoll und damit sehr viel weniger wichtig als diese Geschichte der Brutalität der Mauer. Das heißt, die große politische Geschichte, die Macht- und Ohnmachtsgeschichte, die soll in diesem nationalen Denkmal erzählt werden. Aber nicht die Gefühle einer Gruppe, die dort speziell partikulare Interessen hat, weil sie dort ihren Friedhof hat.“

Das Problem ist nur: Das Einzelinteresse der Sophien-Gemeinde hatte bei der Entwicklung des Mahnmals großes Gewicht. Schließlich gehören ihr Teile des Geländes. Deswegen war auch der Lückenschluss nicht vorgesehen. Ohne Lücke – kein Grundstück: Mit dieser Bedingung hat die Gemeinde die Stiftung in der Hand. Das gibt auch der Stiftungsratsvorsitzende André Schmitz zu.

André Schmitz, Kulturstaatssekretär Berlin
„Wenn die Sophien-Gemeinde hier nicht zu einem Kompromiss bereit ist, und so sieht es im Moment aus, werden wir hier kein anderes Ergebnis erzielen können.“
KLARTEXT
„Das heißt, das nationale Gedenken würde in dem Punkt ein wenig von der Sophien-Gemeinde diktiert.“
André Schmitz, Kulturstaatssekretär Berlin
„Nein, so kann man das nicht sehen, es gibt ja auch gute Gründe der Sophien-Gemeinde, warum sie der Meinung ist, hier, historisch ist ja nach 89 auch was passiert, die Freude über Mauerfall hat zu einem Durchbruch auch an dieser Stelle geführt. Dass man das dokumentiert und offen hält, das kann man gut vertreten.“

Joachim Gauck, Stiftungsbeirat „Berliner Mauer“
„Wenn wir diese Steine nicht hätten und wenn sie nicht in unmittelbarer Nähe stehen würden, wäre die vorgeschlagene Lösung für mich die Bessere. So ist es die Zweitbeste. Und wenn wir so eine großen historischen Schritt wagen, für Generationen hier ein Denkmal zu errichten, dann soll man doch nach dem Besten und nicht nach dem Zweitbesten schauen.“

Den Verantwortlichen für das Gedenken kommt diese Debatte alles andere als gelegen.

Zermürbt durch die jahrelangen Auseinandersetzungen mit der Sophien-Gemeinde scheint vor allem eines zu gelten: Hauptsache, zum 20. Jahrestag kann ein erster Teil des Mahnmals eröffnet werden.

Die Gemeindevertreter haben jetzt alle Beteiligten auf das Gelände eingeladen. Zum Gedankenaustausch.

KLARTEXT
„Können Sie sich vorstellen, dass Sie auf die Kritiker zugehen und sagen, na gut, wir können uns den Lückenschluss doch vorstellen?“
Holger Kulick, Evangelische Kirchengemeinde Sophien
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich dafür ’ne Mehrheit in unserem Gemeindekirchenrat findet.“
KLARTEXT
„Das heißt, eigentlich müssen sich die Kritiker auf Sie zubewegen?“
Holger Kulick, Evangelische Kirchengemeinde Sophien
„Ich denke, die Kritiker können ausgesprochen viel von uns lernen, wenn sie hier mit uns unterwegs sind.“

Kompromissbereitschaft hört sich anders an. Dabei sollte es in diesem Streit nicht um Einzelinteressen gehen, sondern um den historischen Auftrag: eine nationale Gedenkstätte für die Opfer der Berliner Mauer.

Am 3. März will dann der Stiftungsrat der Gedenkstätte seine endgültige Entscheidung bekannt geben. Wir werden Sie hier im rbb auf dem Laufenden halten.