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Kinder in der Schule | Bild: rbb

- Klassenkampf in Kreuzberg - Eltern gegen Multikulti

Der Ausländeranteil an Schulen variiert stark – teilweise auch innerhalb eines Bezirks. Mit der Folge, dass manche Eltern ihr Kind unbedingt dort einschulen wollen, wo der Prozentsatz etwas niedriger ist. Legitimer Fürsorgeanspruch oder hysterische Überreaktion? Ein Beispiel aus Berlin-Kreuzberg.

Nehmen wir an, Sie haben die Wahl: Sie können Ihr Kind auf eine Schule schicken, die vor allem von Kindern nicht-deutscher Herkunft besucht wird oder auf eine Schule mit Kindern überwiegend deutscher Herkunft? Hätten Sie Bedenken, Ihr Kind auf die Schule mit hohem Ausländeranteil zu geben? Oder meinen Sie: Nein, wer für Integration ist, muss auch seine eigenen Kinder daran beteiligen? Darüber haben wir in unserer Redaktion kontrovers diskutiert. Iris Marx hat in zwei Berliner Schulen recherchiert und sich eine Meinung gebildet.

Wir sind an der Lenau-Grundschule in Kreuzberg. Bei unserem Besuch treffen wir auf engagierte Lehrer und fröhliche Kinder. Dennoch hat die Schule ein Problem – die Kreuzberger möchten ihre Kinder nicht hierher schicken. Die offizielle Begründung lautet oft: der Schulweg. Aber inoffiziell werden andere Gründe genannt, sagt die Schulstadträtin des Bezirks.

Monika Herrmann, Schulstadträtin Friedrichshain-Kreuzberg
„Es werden immer zwei Zahlen genannt, wenn es darum geht: Das ist einmal die Kinder nicht deutscher Herkunft und die Hartz-IV-Empfänger, also wer lehrmittelbefreit ist. Das höre ich immer wieder.“

An der Lenau-Grundschule in Kreuzberg gibt es viele Kinder, die nicht deutscher Herkunft sind. Die Quote dieser Kinder beträgt 76 Prozent. Jedes Jahr, wenn der Bezirk die Schulzuweisungen verschickt, ist das Geschrei daher groß. Ob die Schule wirklich schlecht ist, wird selten geprüft.

Monika Herrmann, Schulstadträtin Friedrichshain-Kreuzberg
„Zum Teil gucken sich die Eltern die Alternativschulen noch nicht einmal an. Das ist auch in der Tat ein großes Problem.“

Auch in diesem Jahr haben rund 40 Eltern die Zuweisung zur Lenau-Schule bekommen, obwohl sie viel lieber zur benachbarten Charlotte-Salomon-Schule wollten.

Die Charlotte-Salomon-Schule hat einen tadellosen Schulbericht. Das Konzept: Behinderte Kinder lernen hier gemeinsam mit nichtbehinderten Kindern. Aber vor allen Dingen: Die Ausländerquote liegt hier lediglich bei rund 30 Prozent, Kinder aus Hartz-IV-Familien gibt es auch nicht so viele. Einen Grund, warum die Eltern die Schule jedes Jahr stark nachfragen, nennt die Direktorin Rosemarie Stetten.

Rosemarie Stetten, Schulleiterin Charlotte-Salomon-Grundschule
„Die Mischung muss stimmen, und das ist hier noch so. Das ist ein Grund, warum die Eltern diese Schule bevorzugen.“

Doch zur Kreuzberger Mischung gehört nun mal ein hoher Ausländeranteil. Kann es also tatsächlich sein, dass gerade in diesem offenen und toleranten Kiez die sogenannte Ausländerquote ein so wichtiger Grund ist?

Wir haben keine Eltern gefunden, die mit uns offen über ihre Vorbehalte reden wollten. Aber dass der Schulweg oft ein vorgeschobener Grund ist, weiß auch die Schulstadträtin.

Monika Herrmann, Schulstadträtin Friedrichshain-Kreuzberg
„Wenn es dann um die Anmeldungszeiträume geht, haben wir in manchen Regionen um Schulen herum einen sprunghaften Anstieg von zugezogenen Kindern.“
KLARTEXT
„Haben Sie da eine Zahl?“
Monika Herrmann, Schulstadträtin Friedrichshain-Kreuzberg
„Bei der Einschulung im letzten Jahr waren es auf einmal 35 Kinder, die plötzlich dazu kamen. Das ist ein ja altes Thema, die so genannte Scheinanmeldungen.“

Die Eltern gehen also sogar so weit, dass sie einen Umzug nur vortäuschen und längere Wege in Kauf nehmen, um der Lenau-Grundschule zu entgehen. Ein Problem für die Schule, die immer mehr in den Ruf kommt, eine Restschule zu sein. Das ist unschön für die Kinder, die hier zur Schule gehen. Vera Vordenbäumen, Mutter einer Viertklässlerin, ärgern die Vorurteile vieler Eltern.

Vera Vordenbäumen, Mutter
„Bei der Schulwahl der Kinder ist es merkwürdigerweise plötzlich dann was ganz anderes in einem so internationalen Viertel zu sein. Ich kann das nicht nachvollziehen. Integration ist keine Einbahnstraße. Die funktioniert nicht nur bei der Wahl des Restaurants oder, dass man es genießt seinen aus der Provinz angereisten Verwandten zu zeigen, wie bunt und toll das alles hier ist. Es muss eben auch gelebt werden.“

Gelebt werden könnte es hier, wenn die Schule von den Eltern eine Chance bekommen würde, so die Direktorin Karola Klawuhn.

Karola Klawuhn, Schulleiterin Lenau-Grundschule
„Für unsere Schule wäre das ein Riesen- Gewinn, wenn die Eltern mit ihren Kindern hier bei uns ankommen würden, weil wir hätten dann eine andere Mischung, die wir uns seit langem wünschen.“

Es geht – wie gesagt – um etwa 40 Kinder, die auf die Lenau-Schule umgelenkt werden sollten. Kein Elternteil muss also hier die Integration auf dem Rücken seines einzelnen Kindes allein austragen. Hier könnten die Eltern der 40 Kinder gemeinsam einen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit leisten.

Für die ehemalige Schülerin der Lenau-Grundschule, der 14-jährigen Gymnasiastin Merve, war die Mischung in der Schule nämlich ein großer Vorteil.

Merve, ehem. Schülerin
„Das Besondere an meiner Grundschule war, dass wir einfach verschiedene Schüler waren. Ausländische Schüler, türkische, arabische, von verschiedenen Orten, Arztsöhne, reiche Leute, auch Hartz-IV-Empfänger. Das war gar kein Problem. Ich konnte als Türkin konnte von den Deutschen, also ich konnte mich dadurch steigern. Die anderen konnten von uns was lernen. Es war sehr wirklich sehr gut.“

Merve war im letzten Jahr Mitglied der Kinderjury bei der Berlinale. Die Initiative dazu ging auf ihre Grundschule zurück, von der sie sehr profitiert hat.

Merve, ehem. Schülerin
„Es ist natürlich sehr schade, dass deutsche Eltern oder Leute einfach nicht mehr auf eine ausländische Schule oder wie soll ich sagen, nicht ihre Kinder schicken wollen. Das ist natürlich sehr schade. Weil dadurch gibt es dann gar keine gemischten Klassen mehr. Es ist dann irgendwie nur ausländisch. Ist auch natürlich nicht so gut. Das ist halt so einfach nur gleich.“

Alles nur noch gleich und jede Gruppe für sich. Kann das für die Kinder der Lenau-Grundschule und der Charlotte-Salomon-Schule wirklich gewollt sein?

Separation statt Integration? Spalten statt integrieren?



Autorin: Iris Marx