Flüchtlinge, Bild: rbb

- Moralisch verwerflich: Versicherungsvertreter verkaufen Rentenversicherungen an Asylbewerber

"Kleinvieh macht auch Mist!", dachte sich offenbar ein besonders perfider Versicherungsmakler und begann damit, in Berliner Flüchtlingsunterkünften fondsgebundene Rentenversicherungen an Asylbewerber zu verkaufen. Die Betroffenen glaubten, dadurch schneller einen Job zu bekommen und für sich selbst sorgen zu können.

Anmoderation
Kleinvieh macht auch Mist – nach diesem Motto agiert in Berlin derzeit offenbar ein besonders trickreiches Maklerbüro für Versicherungen: Ausgerechnet in Flüchtlingsunterkünften verkauften die Makler fondsgebundene Rentenversicherungen an Asylbewerber! So genannte "schariagerechte Anlagen". Die Asylbewerber glaubten, dadurch später auch einen Job zu bekommen. So werden Menschen in großer Not ausgebeutet. Andrea Everwien.

Mohammad Momand und Awrang Wahidi – zwei Berliner Asylbewerber aus Afghanistan.
Offenbar wurden sie zum Opfer schamloser Versicherungsverkäufer. Die nutzten den Wunsch der jungen Männer aus, in Deutschland nicht von 360 Euro Unterstützung leben zu müssen, sondern durch eigene Arbeit Geld zu verdienen.

Mohammad Momand
"Er hat gesagt, ein Monat Praktikum, danach Arbeit und Ausbildung und 1.600 Euro für dich."
KLARTEXT
"Sie sollten 1.600 Euro verdienen."
Mohammad Momand

"Ja, – durch Arbeit."
KLARTEXT
"Und welche Arbeit sollte das sein?"
Mohammad Momand
"Alles in Berlin. Vielleicht Automechaniker und Taxifahren."
Awrang Wahidi
"Ich mag immer Elektronik – auch Computer Science gefällt mir."
Mohammad Momand
"Automechaniker ich möchte ­bei dieser Firma."

Hier residiert die Firma, um die es geht: in einem schicken Bürohaus in der Nähe des Treptower Parks. Wer mit dem Aufzug in die vierte Etage fährt, steht gleich vor einer Firma, die offenbar mit Jobs zu tun hat. Doch bei Job AD Partner ärgerte man sich seit Monaten, weil immer wieder Gruppen von bis zu 20 Asylbewerbern anklopften, um hier nach Arbeit zu fragen. 

Jana Fischer
Job AD Partner

"Eine Kollegin wurde explizit darauf angesprochen, wir wären doch das Jobcenter und würden doch vermitteln. Was wir definitiv nicht tun, wir arbeiten für andere Firmen und stellen für die Stellenanzeigen her. Online oder auch im Printbereich."

Offenbar war die Firma mit dem JOB im Namen nur ein Köder. Ausgelegt hatte den die Firma auf demselben Flur gegenüber: die Finanzagentur Mslaty Sabouni. Sie lud Momand und Wahidi hierher ein.
 
Die Atmosphäre: gepflegt. Die Einrichtung: beeindruckend für die jungen Männer aus Afghanistan.

Mohammad Momand
"Ein schönes Büro, Computer auch, kein Teppich, aber ein Sofa. Ich habe gesagt: 'Ja.' Ich habe gesagt: 'Das geht, viele Leute haben gesagt ­­­– das geht."

Die jungen Männer vertrauen den Firmenmitarbeitern – besonders einem, der selbst vor zwölf Jahren als Asylbewerber aus dem Irak gekommen sein soll. Begeistert unterschreiben Momand und Wahidi, was sie für ein Arbeitsangebot halten.

Vier Wochen später: das böse Erwachen. Plötzlich fehlt Geld auf ihren Konten. Warum wurde es abgezogen, wofür? Sie verstehen es nicht – und bitten die Lehrer aus ihrem Deutschkurs um Hilfe.

Awrang Wahidi
"Ich habe ein Problem mit diesem Kontrakt. Später ein Monat diese Firma 50 Euro von meiner Karte von meinem Konto abgelösen – ich gucke: warum?"

Die Lehrer stellen schnell fest: das ist gar kein Arbeitsvertrag.

Günter Kühling
Bildungszentrum GFBM Berlin

"Sie haben hier eine Versicherung abgeschlossen, wo sie überhaupt nicht verstanden haben, um was es überhaupt geht."

Tatsächlich wurden den Asylbewerbern fondsgebundene Rentenversicherungen verkauft. Monatsbeitrag: 50 Euro. Laufzeit: hier bis zum 67. Lebensjahr. Die Risikoklasse: hoch, Zitat:

"Es wird in Kauf genommen, dass es zum Verlust des eingesetzten Kapitals kommen kann."

Was hält der Finanzexperte davon, solche Rentenversicherungen an Asylbewerber zu verkaufen? Wir fragen Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur des Verbrauchermagazins "Finanztip".

Hermann-Josef Tenhagen
Chefredakteur "Finanztip"

"Ich finde, das ist ein völlig unmoralisches Angebot. Das geht eigentlich gar nicht. Das Versicherungsprodukt, das da angeboten wird, ist für Leute, die wenig Geld verdienen und sich nicht sehr gut auskennen, auch nicht eines, was man denen empfehlen würde. Weil das Produkt hat das Risiko eines Totalverlustes und das ist für jemand, der das Produkt zur Altersvorsorge abschließt, keine vernünftige Option."

Was ist passiert? Offenbar ist eine Gruppe von Anwerbern – sie sprachen arabisch, englisch und deutsch – durch Berlins Asylbewerberheime gezogen und hat erzählt, sie könnte Jobs vermitteln.

Die gemeinsame Sprache schafft Vertrauen. Und sollte jemand Zweifel an der Seriosität haben, erklärten die Anwerber: das Business sei voll und ganz schariagerecht, entspreche dem islamischen Recht.

Andrea Neumann
Bildungszentrum GFBM Berlin

"Am empörendsten für mich ist, dass die Religion benutzt wurde, also Scharia, dieses im guten Glauben zu handeln: dass andere Flüchtlinge in die Flüchtlingswohnheime gegangen sind und gesagt haben: 'Bruder, komm ich hab was Gutes für dich. Unterschreibe, damit du eine gute Zukunft in Deutschland hast.' Die haben die Religion und die Freundschaft untereinander ausgenutzt, um den Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen."

Der Versicherungsvertrag wurde den Asylbewerbern offenbar als Voraussetzung für eine Arbeitsvermittlung vorgelegt. Das lässt dieses Schreiben vermuten, das KLARTEXT exklusiv vorliegt. Es nennt zunächst eine Reihe von nachvollziehbaren Voraussetzungen für einen Arbeitsvertrag.

Fast beiläufig heißt es dann zuletzt, Zitat:
"Aufgrund der Rentensituation ist es wichtig, privat eine Altersvorsorge zu haben. Aus diesem Grund möchten wir sie bitten, diese auch bei uns abzuschließen."

Awrang Wahidi
"Wenn Sie an meiner Stelle gewesen wären, ich glaube, Sie wären die Erste gewesen, die unterschrieben hätte."

Doch wer verdient eigentlich an diesen Verträgen? Die Versicherung ist von der Firma Prisma aus Liechtenstein. Die Vermittlungsagentur wird von einem Deutschen geführt: von Wolfgang Krätke. In den Unterlagen der Asylbewerber taucht Wolfgang Krätke als Vertriebspartner der AFA-AG auf. Seine Aufgabe: der Vertrieb von Versicherungen. Dafür erhalten Vermittler in der Regel Provision.

KLARTEXT
"In welcher Höhe bewegen wir uns bei diesen Provisionen?"
Hermann-Josef Tenhagen
Chefredakteur "Finanztip"

"Im klassischen Bereich vier Prozent dessen, was man einzahlt. Wenn man also über 40 Jahre 50 Euro einzahlt, dann kommen etwas mehr als 1.000 Euro raus."
KLARTEXT
"Pro Vertrag ?"
Hermann-Josef Tenhagen
Chefredakteur "Finanztip"

"Pro Vertrag."

Awrang Wahidi
"Diese Firma Spiele machen mit uns Leben. Weil wenn ich jeden Monat 50 Euro raus – und wir haben kein Geld, ist zu schwer für uns zu leben."

Anfang der Woche suchen wir die Agentur auf, wollen mit Wolfgang Krätke sprechen. Doch der Vogel scheint ausgeflogen: die Büros – weitgehend leer.

Vielleicht, weil die Deutschlehrer erreicht haben, dass die Verträge ihrer Schüler storniert wurden – und Momand und Wahidi  andere Flüchtlinge gewarnt haben.
Wir treffen nur die Sekretärin an. Sie verspricht, für uns einen Termin mit Herrn Krätke zu organisieren. Der meldet sich aber nicht.

Heute gehen wir noch einmal hin, um eine Stellungnahme zu erhalten.  

Wolfgang Krätke
"Ich darf sie bitten, die Räume zu verlassen. Ich habe schon gehört, was Sie da heute machen wollen, ich darf Sie bitten, die Räumlichkeiten zu verlassen."
KLARTEXT
"Wir haben bloß eine einzige Frage, könnten Sie uns eventuell eine Frage beantworten?"
Wolfgang Krätke
"Nein, bin ich nicht befugt. Wir haben einen Pressesprecher bei der AFA und der wird antworten."
KLARTEXT
"Aber Sie sind doch eine selbständige Finanzagentur."
Wolfgang Krätke
"Ja."
KLARTEXT
"Das steht doch hier drauf auf dem Schreiben."
Wolfgang Krätke
"Das ist korrekt."
KLARTEXT
"Das heißt, Sie sind doch selbständig tätig."
Wolfgang Krätke
"Ich darf sie bitten, dass mit dem Pressesprecher…"
KLARTEXT
"Ich gehe. Aber finden Sie das nicht unanständig?"
Wolfgang Krätke
"Das würde ich unanständig finden, ja."
KLARTEXT
"Finden Sie es nicht unanständig – Sie würden es unanständig finden, Asylbewerbern eine Versicherung zu verkaufen?"

Abmoderation
Wir haben die AFA AG natürlich auch um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten. Kurz vor der Sendung erreichte uns jetzt folgende Antwort:

"Die AFA AG ist bestürzt, wenn Flüchtlinge hier offensichtlich Opfer eines Täuschungsversuches geworden sind. Die AFA AG ist hier selber Opfer einer möglichen Täuschung geworden.

Alle in diesem Zusammenhang angelaufenen Versicherungsverträge wurden rückabgewickelt bzw. befinden sich in der Rückabwicklung und etwaig entrichtete Beiträge wurden rückerstattet. Provisionen wurden für diese Verträge nicht gezahlt bzw. geleistet.

Die Zusammenarbeit mit sämtlichen an diesen Vertragsanträgen beteiligten Personen wurde fristlos beendet und diese dürfen nicht mehr für die AFA AG Versicherungsverträge vermitteln."

Also eine gute Nachricht - nicht nur für die Flüchtlinge.

Beitrag von Andrea Everwien