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Berliner Verhältnisse - Großmannssucht, Bauwahn und Amigo-Beziehungen zwischen Politik, Kultur und Finanzwelt - auch im rotgrünen Milieu? Die CDU unterstellt dies, der Bericht des Landesrechnungshofs lässt es vermuten und die Staatsanwaltschaft ermittelt.
In Berlin vor wenigen Tagen.
Polizei auf dem Weg zu einer Hausdurchsuchung, die im Zusammenhang mit einem der markantesten Gebäude der Stadt steht. Dem Tempodrom am Anhalter Bahnhof.
Infolge von Ungereimtheiten beim Bau des Kulturtempels vor drei Jahren droht dem Land Berlin und seinen Steuerzahlern ein Schaden von mehr als 50 Millionen D-Mark, fürchtet Berlins
Staatsanwaltschaft.
Eine Hauptrolle in dem Stück ums große Geld spielt der ehemalige Bezirks-Bürgermeister Kreuzbergs und amtierende SPD-Chef und Berliner Stadtentwicklungssenator, Peter Strieder.
Am 21. Mai 2000 beteiligte er sich stolz an der Grundsteinlegung des Tempodroms in seinen Heimatbezirk Kreuzberg.
Peter Strieder (SPD), Stadtentwicklungssenator
"Einmal ist das Willy Brandt-Haus gekommen und zum zweiten das Tempodrom. So muss es sein in Berlin!"
Wer da neben Strieder so lacht, ist die zweite Hauptrolle in diesem Schmierenstück, Tempodrom-Gründerin Irene Mössinger.
1980 hatte die ehemalige Krankenschwester eine halbe Millionen geerbt und bescherte aus diesem Vermögen Berlin einen ständigen Kulturzirkus: das Tempodrom, allseits geachtet und bestens besucht. Zunächst stand es am Potsdamer Platz, später im Tiergarten.
Aber dort musste es Ende der 90 Jahre den Neubauplänen für das Bundeskanzleramt weichen, angeblich auf Wunsch Helmut Kohls. Ersatz musste her. Selbstbewusst, Irene Mössinger:
Irene Mössinger 1999
“So schnell sind wir nicht wegzudenken aus der Kulturlandschaft Berliehiehns!!"
Ihre Vertreibung zahlte sich aus. Sechs Millionen Mark zahlte der Bund als Entschädigung, ein hübsches Sümmchen.
Irene Mössinger am Anhalter Bahnhof
"Wir wollen hierher, genau hierher, hier sind so viele Leute an- und abgereist und Tränen geflossen!"
Besonders hilfreich: Kreuzbergs damaliger SPD-Bezirksbügermeister Peter Strieder, aber auch CDU-Senatoren.
Wolfgang Branoner
"Ich habe einen kleinen Wunsch: mein größter Wunsch fürs Tempodrom, es überlebe jeden Sturm, viele Gäste, stets ein volles Haus, Irene, mach das Beste draus."
Irene Mössinger
"Vielen Dank, Sie sind ja ein Dichter, Herr Branoner."
Die Schmeicheleien hatten einen Grund. Für den Neuanfang gab es nicht nur 9,7 Millionen Mark EU-Gelder, 6 Millionen aus Lottomitteln und die 6 Millionen Entschädigung vom Bund. Zusätzlich floss ein Kredit der Landesbank Berlin über 21,7 Millionen, für den das Land Berlin zu 80 Prozent bürgte.
Wolfgang Wieland (Bündnis 90, Grüne)
"Das ist ein bisschen so, als ob Sie mit ihrer Familie zuerst gratis in einem Zelt gelebt haben und dann bekommen sie das Angebot eine Eigentumswohnung zu kaufen, man sagt ihnen auch, ich stelle ihnen das Eigenkapital zur Verfügung, den Rest über Bankkredit zu finanzieren. Da müssen Sie sich auch fragen, ob das Familienbudget die Raten überhaupt hergibt um einen Bankkredit zu finanzieren.“
Doch die Tempodrom-Haushaltskasse war absehbar zu klein. So wurde frühzeitig Rat gesucht, zum Beispiel in Kreuzberg bei einem szenebekannten Steuerberater. Gert Behrens empfahl schon 1993 Irene Mössinger ein Stiftungsmodell.
Gert Behrens
"Es war ja klar, dass hier finanziell ein großes Rad gedreht wird, ich sage mal, es ist ein großer Schritt vom schlichten Zelt zum Zelt in Beton. Man war sich darüber klar, dass man auch in der Öffentlichkeitswahrnehmung eine seriösere Rechtsform haben musste."
Mit dem seriösen Etikett Stiftung soll es öffentlicher Hand und Sponsoren leicht fallen, Grundstück und Baukapital einzubringen. Ein honoriger Stiftungsrat verpachtet den Bau dann der eigentlichen Tempodrom-GmbH zu Förderkonditionen. Eine trickreiche Konstruktion.
Gert Behrens
"Die Idee zu sagen, wir gründen eine Stiftung war sicher Marketing-Überlegung, aber sicher auch, um ein kleines Denkmal zu setzen."
Doch das Denkmal hatte einen Konstruktionsfehler. Denn der Stiftung mangelte es an von vornherein an genug Eigenkapital.
Gert Behrens
"Da die Stiftung gar nicht viel Kapital hat, hätte sie gar nicht richtig zugelassen werden dürfen, das heißt die Beteiligten - und darunter sehe ich auch die Senatsverwaltung für Justiz, die hätte ja im Stiftungsverfahren prüfen müssen, ob alles rund ist."
Doch eine solche Prüfung? Fehlanzeige. So wird gebaut , mit immer neuen Wünschen und immer höheren Kosten. Sie steigen von geplanten 32 auf über 57 Millionen Mark.
Die Reaktion im Tempodrom: Kopf in den Sand. So heißt es im Protokoll einer Teamsitzung: über Finanzierungsprobleme soll nicht(s) an die Öffentlichkeit gelangen.
Erst im Juli 2001 schlägt Irene Mössinger Alarm und schickt einen Bettelbrief an Stadtentwicklungssenator Strieder, mit dem sie sich so gut verstand.
"Monsignore" redet sie den Senator an, bedankt sich für ein Gedicht und schickt eine schockierende Kostensteigerungsübersicht, die sich nach Aufzählung aller Einzelposten am Ende auf zusätzlich mehr als acht Millionen Mark addiert.
Eine wirklich schnelle Nachfinanzierung sei herbeizuführen, sonst drohe ein "Supergau".
Das kommt der SPD höchst ungelegen. Denn es herrscht gerade Wahlkampf in Berlin. Also wird zugeschossen.
Peter Strieder (SPD), Stadtentwicklungssenator
"Der Senat hatte die Pflicht abzuwägen, ob es besser ist, das Tempodrom zu retten, keine Bauruine entstehen zu lassen und nicht 20 Millionen Bürgschaft zu zahlen."
Als ein Retter dient die Investitionsbank des Landes Berlin: Sie schließt einen Sponsoring-Vertrag mit dem Tempodrom und schießt zunächst 3,5 Millionen Mark zu. Die magere Gegenleistung: unter anderem Freikarten und öffentliche Dankesworte an die IBB.
Doch das Geld reicht noch immer nicht - Insolvenz droht. So wendet sich im Jahr darauf Senator Strieder erneut an die IBB, diesmal eigenmächtig und am Parlament vorbei. Er beauftragt die Banker zur Lösungssuche - dergestalt, "dass die IBB - auch unter Anrechnung auf den Bankbeitrag - bis zu 1,5 Mio. Euro aus Eigenmitteln ….der IBB der Stiftung zur Verfügung stellt".
Ärgerlich: der Bankbeitrag, das ist der Reingewinn der Bank, ist eigentlich zweckgebunden und soll der Renovierung von Sportanlagen und Schulen dienen - aber nicht dem Sponsoring privater Kultur.
Gert Behrens
"Das ist eine unheilvolle Mischung zwischen Nichtzuendedenken, Nichtrichtigkalkulieren, sich ein Denkmal setzen wollen und im Grunde dann wenn's schiefgeht, lange Zeit versuchen wollen, Dinge zu verschleiern."
Berliner Finanzsalti und Dilettantismus in Reinkultur - aber beim Tempodrom alles unter einem hochmodernen Dach…
Polizei auf dem Weg zu einer Hausdurchsuchung, die im Zusammenhang mit einem der markantesten Gebäude der Stadt steht. Dem Tempodrom am Anhalter Bahnhof.
Infolge von Ungereimtheiten beim Bau des Kulturtempels vor drei Jahren droht dem Land Berlin und seinen Steuerzahlern ein Schaden von mehr als 50 Millionen D-Mark, fürchtet Berlins
Staatsanwaltschaft.
Eine Hauptrolle in dem Stück ums große Geld spielt der ehemalige Bezirks-Bürgermeister Kreuzbergs und amtierende SPD-Chef und Berliner Stadtentwicklungssenator, Peter Strieder.
Am 21. Mai 2000 beteiligte er sich stolz an der Grundsteinlegung des Tempodroms in seinen Heimatbezirk Kreuzberg.
Peter Strieder (SPD), Stadtentwicklungssenator
"Einmal ist das Willy Brandt-Haus gekommen und zum zweiten das Tempodrom. So muss es sein in Berlin!"
Wer da neben Strieder so lacht, ist die zweite Hauptrolle in diesem Schmierenstück, Tempodrom-Gründerin Irene Mössinger.
1980 hatte die ehemalige Krankenschwester eine halbe Millionen geerbt und bescherte aus diesem Vermögen Berlin einen ständigen Kulturzirkus: das Tempodrom, allseits geachtet und bestens besucht. Zunächst stand es am Potsdamer Platz, später im Tiergarten.
Aber dort musste es Ende der 90 Jahre den Neubauplänen für das Bundeskanzleramt weichen, angeblich auf Wunsch Helmut Kohls. Ersatz musste her. Selbstbewusst, Irene Mössinger:
Irene Mössinger 1999
“So schnell sind wir nicht wegzudenken aus der Kulturlandschaft Berliehiehns!!"
Ihre Vertreibung zahlte sich aus. Sechs Millionen Mark zahlte der Bund als Entschädigung, ein hübsches Sümmchen.
Irene Mössinger am Anhalter Bahnhof
"Wir wollen hierher, genau hierher, hier sind so viele Leute an- und abgereist und Tränen geflossen!"
Besonders hilfreich: Kreuzbergs damaliger SPD-Bezirksbügermeister Peter Strieder, aber auch CDU-Senatoren.
Wolfgang Branoner
"Ich habe einen kleinen Wunsch: mein größter Wunsch fürs Tempodrom, es überlebe jeden Sturm, viele Gäste, stets ein volles Haus, Irene, mach das Beste draus."
Irene Mössinger
"Vielen Dank, Sie sind ja ein Dichter, Herr Branoner."
Die Schmeicheleien hatten einen Grund. Für den Neuanfang gab es nicht nur 9,7 Millionen Mark EU-Gelder, 6 Millionen aus Lottomitteln und die 6 Millionen Entschädigung vom Bund. Zusätzlich floss ein Kredit der Landesbank Berlin über 21,7 Millionen, für den das Land Berlin zu 80 Prozent bürgte.
Wolfgang Wieland (Bündnis 90, Grüne)
"Das ist ein bisschen so, als ob Sie mit ihrer Familie zuerst gratis in einem Zelt gelebt haben und dann bekommen sie das Angebot eine Eigentumswohnung zu kaufen, man sagt ihnen auch, ich stelle ihnen das Eigenkapital zur Verfügung, den Rest über Bankkredit zu finanzieren. Da müssen Sie sich auch fragen, ob das Familienbudget die Raten überhaupt hergibt um einen Bankkredit zu finanzieren.“
Doch die Tempodrom-Haushaltskasse war absehbar zu klein. So wurde frühzeitig Rat gesucht, zum Beispiel in Kreuzberg bei einem szenebekannten Steuerberater. Gert Behrens empfahl schon 1993 Irene Mössinger ein Stiftungsmodell.
Gert Behrens
"Es war ja klar, dass hier finanziell ein großes Rad gedreht wird, ich sage mal, es ist ein großer Schritt vom schlichten Zelt zum Zelt in Beton. Man war sich darüber klar, dass man auch in der Öffentlichkeitswahrnehmung eine seriösere Rechtsform haben musste."
Mit dem seriösen Etikett Stiftung soll es öffentlicher Hand und Sponsoren leicht fallen, Grundstück und Baukapital einzubringen. Ein honoriger Stiftungsrat verpachtet den Bau dann der eigentlichen Tempodrom-GmbH zu Förderkonditionen. Eine trickreiche Konstruktion.
Gert Behrens
"Die Idee zu sagen, wir gründen eine Stiftung war sicher Marketing-Überlegung, aber sicher auch, um ein kleines Denkmal zu setzen."
Doch das Denkmal hatte einen Konstruktionsfehler. Denn der Stiftung mangelte es an von vornherein an genug Eigenkapital.
Gert Behrens
"Da die Stiftung gar nicht viel Kapital hat, hätte sie gar nicht richtig zugelassen werden dürfen, das heißt die Beteiligten - und darunter sehe ich auch die Senatsverwaltung für Justiz, die hätte ja im Stiftungsverfahren prüfen müssen, ob alles rund ist."
Doch eine solche Prüfung? Fehlanzeige. So wird gebaut , mit immer neuen Wünschen und immer höheren Kosten. Sie steigen von geplanten 32 auf über 57 Millionen Mark.
Die Reaktion im Tempodrom: Kopf in den Sand. So heißt es im Protokoll einer Teamsitzung: über Finanzierungsprobleme soll nicht(s) an die Öffentlichkeit gelangen.
Erst im Juli 2001 schlägt Irene Mössinger Alarm und schickt einen Bettelbrief an Stadtentwicklungssenator Strieder, mit dem sie sich so gut verstand.
"Monsignore" redet sie den Senator an, bedankt sich für ein Gedicht und schickt eine schockierende Kostensteigerungsübersicht, die sich nach Aufzählung aller Einzelposten am Ende auf zusätzlich mehr als acht Millionen Mark addiert.
Eine wirklich schnelle Nachfinanzierung sei herbeizuführen, sonst drohe ein "Supergau".
Das kommt der SPD höchst ungelegen. Denn es herrscht gerade Wahlkampf in Berlin. Also wird zugeschossen.
Peter Strieder (SPD), Stadtentwicklungssenator
"Der Senat hatte die Pflicht abzuwägen, ob es besser ist, das Tempodrom zu retten, keine Bauruine entstehen zu lassen und nicht 20 Millionen Bürgschaft zu zahlen."
Als ein Retter dient die Investitionsbank des Landes Berlin: Sie schließt einen Sponsoring-Vertrag mit dem Tempodrom und schießt zunächst 3,5 Millionen Mark zu. Die magere Gegenleistung: unter anderem Freikarten und öffentliche Dankesworte an die IBB.
Doch das Geld reicht noch immer nicht - Insolvenz droht. So wendet sich im Jahr darauf Senator Strieder erneut an die IBB, diesmal eigenmächtig und am Parlament vorbei. Er beauftragt die Banker zur Lösungssuche - dergestalt, "dass die IBB - auch unter Anrechnung auf den Bankbeitrag - bis zu 1,5 Mio. Euro aus Eigenmitteln ….der IBB der Stiftung zur Verfügung stellt".
Ärgerlich: der Bankbeitrag, das ist der Reingewinn der Bank, ist eigentlich zweckgebunden und soll der Renovierung von Sportanlagen und Schulen dienen - aber nicht dem Sponsoring privater Kultur.
Gert Behrens
"Das ist eine unheilvolle Mischung zwischen Nichtzuendedenken, Nichtrichtigkalkulieren, sich ein Denkmal setzen wollen und im Grunde dann wenn's schiefgeht, lange Zeit versuchen wollen, Dinge zu verschleiern."
Berliner Finanzsalti und Dilettantismus in Reinkultur - aber beim Tempodrom alles unter einem hochmodernen Dach…