Akten, Bild: rbb

- Brandenburger Polizei - geschönte Aufklärungsquote?

Anmoderation
Die Polizeireform in Brandenburg stand immer wieder in der Kritik: zu viel Personalabbau, zu wenige Polizisten auf den Straßen. Trotzdem präsentierten Politik und Polizeiführung erst kürzlich große Erfolge bei der Aufklärung von Straftaten. Doch es lohnt, hier mal genauer hinzuschauen. Gabi Probst.

Pressekonferenz Anfang März. Innenminister Ralf Holzschuher, SPD, und der Polizeipräsident Brandenburgs präsentieren der Öffentlichkeit die Kriminalstatistik 2013. Die Freude steht dem Politiker ins Gesicht geschrieben, als er verkündet, dass zwar die Diebstahlquote konstant sei, die Aufklärungsquote aber anstieg.

Ralf Holzschuher (SPD)
Innenminister Brandenburg

"Die positive Tendenz 54,2 Prozent Aufklärungsquote. Sie ist damit erneut angestiegen gegenüber 2012 und ebenfalls deutlich besser als 2009."

Positive Aufklärungsquote klingt gut.

Aber was ist das eigentlich? Wir erfahren: Brandenburger Polizisten müssen wohl anders handeln, als wir denken. Wenn der Brandenburger nämlich glaubt, dass Aufklärungsquote gleich tatsächlich "aufgeklärte Fälle" bedeutet, so ist er im Irrtum.

Die Polizeiführung rechnet offenbar in die Aufklärungsquote auch Fälle ein, bei denen sich ein Anfangsverdacht auf einen Täter bezieht, der sich später durchaus aber als falsch erweisen kann. Und dabei würden mehr solcher "Luftnummern" gezählt, als wirklich Fälle gelöst.

In der Staatsanwaltschaft Cottbus jedenfalls kommen gerade mal 17 Prozent der so genannten aufgeklärten Polizeifälle tatsächlich zur Anklage. Die Zahlen – so sagen uns Staatsanwälte hier – stünden im Widerspruch zur angeblichen Aufklärungsquote der Polizei.

Wir haben mehrere Kriminalbeamte gesprochen, die das Schönen der Statistik bestätigen. Doch sie wollen aus Furcht vor Repressalien anonym bleiben.

KLARTEXT
"Für wen wird die Statistik geschönt?"
Kriminalbeamter (Stimme nachgesprochen)
"Na, für unseren obersten Dienstherrn, für die Bevölkerung. Wenn jetzt die Statistik bei 54 Prozent liegt in der Aufklärung, würde sie, wenn wir sie nicht beschönigen würden, wohl kaum die 40 Prozent erreichen."

Ein harter Vorwurf, den wir kaum glauben können. Wir fragen nach, wie die Statistik angeblich geschönt würde und erfahren, dass auch angeblich auf Anweisung des Vorgesetzten ungeklärte Fälle runter und so genannte aufgeklärte Fälle hochgerechnet würden. Das klingt kompliziert. Ein Erklärungsversuch.

Kriminalbeamter (Stimme nachgesprochen)
"Eine Kleinstadt am Bahnhof, ein junger Mann wird erwischt auf frischer Tat, als er ein Fahrrad entwenden will. Seine Personalien werden aufgenommen, er wird zur verantwortlichen Vernehmung geladen, in der er natürlich nur diese eine Straftat zugibt. Jedenfalls kann ihm keine andere Straftat mehr nachgewiesen werden. Aber letztendlich wird man ihm aus den letzten drei Monaten, die Fahrräder, die dort in dem Bereich entwendet wurden, die wird man ihm statistisch gesehen, zuordnen. Das heißt, der bekommt dann auf seinen Namen 80-100 dieser Delikte zugeordnet."
KLARTEXT
"Und in der Statistik erscheint dann was? Ein Fall oder 80?"
Kriminalbeamter (Stimme nachgesprochen)
"Nachdem wir diese Straftaten diesem jungen Mann zugeordnet haben, sind es 80 geklärte Fälle, also top, 100 Prozent."

Wir konfrontieren wenige Tage nach der Pressekonferenz den Polizeipräsidenten damit.

Arne Feuring
Polizeipräsident Brandenburg

"Die Aussage, als wahr unterstellt, ist natürlich eine Katastrophe. Das Verhalten ist völlig inakzeptabel und widerspricht allen unseren Regularien. Wir legen es nicht darauf an, in irgendeiner Form zu manipulieren. Und wenn das erfolgt, dann werden wir uns dagegen wenden."

Aber: Bei der Cottbusser Staatsanwaltschaft wird uns genau das gleiche Fahrradbeispiel geschildert, auch hier hat man Zweifel.

Eigentlich gelten deutschlandweit die vom Bundeskriminalamt herausgegeben Richtlinien zur Polizeilichen Kriminalstatistik. Doch diese werden offenbar in Brandenburg anders interpretiert.

Das zeigt diese geheime Dienstanweisung vom August 2013 aus der Direktion West-Brandenburg, die uns zugespielt wurde. Demnach soll man hier die allgemein gültige Richtlinie anders anwenden, offenbar zum Vorteil einer guten Statistik.

Ein Beispiel: Sagt die bundesweite Richtlinie, dass bei zehn Einbruchdiebstählen aus Kraftfahrzeugen in einer Garage zehn Fälle zu erfassen sind, heißt es in Brandenburg, Zitat:

"Ich weise hiermit an, dass nur eine Anzeige aufzunehmen ist, wenn alles während einer Nacht oder eines Tages, in Sichtweite und in einer Straße oder Parkplatz passiert."

Ganz praktisch: Wurde vor verschiedenen Hausnummern in der Sonnenallee in Brandenburg an der Havel zu verschiedenen Zeiten am Tag  in Autos eingebrochen und verschiedene Gegenstände gestohlen, so soll der Polizist bei zehn Geschädigten nicht zehn Fälle in die Statistik schreiben, sondern nur einen Fall.

Eine Praxis, die die Berliner Kollegen, denen wir diese Dienstanweisung vorlegen, und die nach der bundesweiten Richtlinie arbeiten, nicht kennen.

Bodo Pfalzgraf
Deutsche Polizeigewerkschaft Berlin
"Diese vorliegende Dienstanweisung scheint im ganz krassen Widerspruch zu den bundesweit geltenden Richtlinien zur Polizeiliche Kriminalstatistik zu stehen."

Thomas Spaniel
Bund Deutscher Kriminalbeamter Berlin

"Ich bewerte diese Dienstanweisung, die Sie mir vorgelegt haben, dahingehend, dass die polizeiliche Kriminalstatistik geschönt werden soll und nicht den Tatsachen entspricht, wie das eigentliche Kriminalitätsgeschehen ist."

Für einen weiteren Bereich der Polizei heißt das Papier übrigens, "interne Handlungsanweisung zur harmonisierten Umsetzung der bundesweiten PKS", also Polizeilichen Kriminalstatistik. Harmonisiert klingt harmlos.  Einen Widerspruch in der Auslegung Brandenburgs sieht der Präsident nicht.

Arne Feuring
Polizeipräsident Brandenburg

"Es mag sein, dass der eine oder andere sich daran stößt. Fakt ist aber eins: Wir sind gezwungen in Fällen der Tateinheit nur einen Fall anzunehmen in unserer Statistik. Das ist eine klare Vorgabe auch unserer internen Dienstanweisung."

Aha: "Tateinheit" ist also das Zauberwort und die Rechtfertigung. Damit meint der Polizeipräsident, dass der Polizist schon gleich vor Ort davon ausgehen kann, dass diese zehn Taten nur von einem Täter erfolgten.

Diese Auslegung teilt Prof. Wolfgang Heinz nicht. Er berät sogar die Bundesregierung in Sachen Kriminalstatistik. Sein Fazit zur Dienstanweisung, Zitat:

"...die Anweisung zur Behandlung der Fälle in Tateinheit bzw. in natürlicher Handlungseinheit weicht ab von den bundeseinheitlichen Richtlinien und von dort gegebenen Beispielen." Und weiter, Zitat:

"Die Anweisung führt zu einer Reduzierung der Zahl der erfassten Fälle."

Der Polizeipräsident verteidigt Brandenburgs eigene Interpretation der bundesweiten Richtlinien mit einem BGH-Urteil von 1996. Doch hiervon ließen sich – so der Experte- zwar die Beurteilung in Rahmen eines Gerichtsprozesse ablesen, jedoch keine Handlungsanweisung für die Polizeiarbeit vor Ort. Zitat:

"Es handelt sich also um die Verwendung ein- und desselben Begriffs für unterschiedliche Zwecke."

Ein Polizist vor Ort kann eben kein Richter sein.

Kurz vor Sendung schreibt uns auch der Bund Deutscher Kriminalbeamter Brandenburgs und erklärt dazu, Zitat:

"Die Polizei macht sich mit derartigen Regelungen, leichtfertig angreifbar und unglaubwürdig. Von solch einer Verfahrensweise distanzieren wir uns ganz klar."

Beitrag von Gabi Probst