Kranzniederlegung (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Im Stich gelassen – Jugendsozialarbeiterin kämpft allein in Potzlow

Das Dorf Potzlow in der Uckermark: 2003 fanden Polizeibeamte in einer Jauchegrube in der Nähe eines Schweinestalls die Leiche des 16jährigen Schülers Marinus Schöberl. Marinus Schöberl wurde bestialisch ermordet – Vorbild war eine Gewaltszene aus einem amerikanischen Film. Die Mörder waren Jugendliche mit rechtsextremer Gesinnung. Entsetzen und Empörung gab es in ganz Deutschland. Damals sprachen Politiker von Beistand und Hilfe für das Dorf, allen voran der Ministerpräsident des Landes Brandenburg. Zwei Jahre danach schaut KLARTEXT nach. Ergebnis: In Potzlow existieren nach wie vor die gleichen sozialen Probleme, die mutige Sozialarbeiterin Petra Freiberg steht vor einem Scherbenhaufen. Jetzt ist auf einmal kein Geld da für die Arbeit mit den gefährdeten Jugendlichen. Wo bleibt die versprochene Unterstützung durch die Politiker?

Erinnern Sie sich noch an Potzlow? Vor zwei Jahren wurde in dem idyllischen Dorf in der Uckermark der 16 jährige Schüler Marinus gefoltert und brutal ermordet - von rechtsextremistischen Jugendlichen. Der Fall ging durch die Presse, die Bestürzung war groß. Frust und Perspektivlosigkeit der Jugendlichen führen offenbar zur seelischen Verrohung, die im Einzelfall so brutal eskalieren kann. In Potzlow wollte man den Vorfall klein halten. Als der Pfarrer einen Gedenkstein aufstellen wollte und zur Dorfversammlung lud, kamen von über 400 Einwohnern gerade mal:16! Ignoranz bei den Dorfbewohnern – und: in der Politik. Denn ausgerechnet bei den Jugendlichen, die unsere Hilfe und Unterstützung bräuchten, wird landesweit der Rotstift angesetzt. Katrin Aue berichtet.

Petra Freiberg, Jugendsozialarbeiterin
"Kinder und Jugendliche sind unsere Investition. Und die werden uns eines Tages den dicken Finger zeigen und sagen: Hey, was habt ihr für uns getan? Gar nichts habt ihr für uns getan."

Der Jugendclub in Strehlow-Potzlow. Hierher kommen Jugendliche aus der ganzen Region. Petra Freiberg ist verbittert. Denn betreuen muss sie sie ganz allein. Und dazu noch fünf weitere Jugendclubs. Die Stellen ihrer vier pädagogischen Mitarbeiter sind in den letzen Monaten ausgelaufen. Mit der Betreuung, den Reisen, die sie organisiert und mit dem Papierkram steht sie jetzt alleine da.

Und dann sind da noch Jugendliche wie Erwin. Der 15-jährige leistet hier im Jugendclub Strafstunden ab, die das Gericht ihm für zwei Diebstähle aufgebrummt hat. Eigentlich eine Strafe. Für Erwin ist die Zeit hier nicht verloren.

Erwin, 15 Jahre
"Ist fast wie soŽne Lehre, wo man auf Tischler lernt. Naja, und dann bin ich heute zum letzten Mal hier.“
KLARTEXT
“Und jetzt freust du dich?“
Erwin, 15 Jahre
“Nicht ganz.“
KLARTEXT
“Warum?“
Erwin, 15 Jahre
“Weil ich gerne öfters herkommen würde."

Jugendliche wie Erwin gibt es hier einige. Rund ein Drittel aller Straftaten in der Uckermark werden von Jugendlichen begangen. Doch wirksame Vorsorge wird kaum noch gemacht, meint Petra Freiberg.

Petra Freiberg, Jugendsozialarbeiterin
"Und tut sehr weh, weil man ein Stück vergessen ist hier. Die Kinder müssen sich sehr vergessen fühlen hier.“
KLARTEXT
“Wieso vergessen?“
Petra Freiberg, Jugendsozialarbeiterin
“Vergessen, weil sich nichts tut. Es ist wirklich gar nichts mehr da, dass man dem gerecht werden kann."

Dabei hat Potzlow eine ganz besondere Geschichte: 2002 haben hier drei Jugendliche den 16-jährigen Marinus Schöberl brutal ermordet. Eine Tat mit rechtsextremistischem Hintergrund. Im Ort will niemand etwas gemerkt haben.
Erst Monate später fand man Marinus` Leiche in einer Jauchegrube: Einer der Täter hatte Jugendliche hingebracht, um mit dem Mord anzugeben. Ministerpräsident Platzeck führte medienwirksam den Trauerzug an. Die Botschaft: Wir lassen euch nicht allein. Danach kamen für eine Zeitlang psychologische Berater in den Ort. Und das warŽs dann mit der Hilfe für das uckermärkische Potzlow. Im Dorf selbst wurde die Tat verharmlost. Von Rechtsextremismus wollte kaum jemand etwas wissen. Die Jugendlichen waren auf sich allein gestellt. Immer mehr häuften sich Probleme mit Drogenmissbrauch. Petra Freiberg machte schon damals darauf aufmerksam. Sie versuchte, die Jugendlichen in den Club zu holen. Von der zugesagten Hilfe von außen blieb nicht viel. Dabei liegen Jugendliche Ministerpräsident Platzeck doch so am Herzen, sagt er öffentlich.

Matthias Platzeck, Ministerpräsident Brandenburg
"Wir dürfen kein einziges Kind mehr zurücklassen. Jede und jeder wird gebraucht, meine Damen und Herren. Kein Kind in Brandenburg darf unter seinen Möglichkeiten bleiben. Wir können es uns nicht leisten, die Schwächsten nicht besonders zu fördern.“

Das klingt gut. Doch in Sachen Potzlow ist Platzeck mittlerweile zu keiner Stellungnahme mehr bereit. Wir versuchen es bei seinem Jugendminister. Der hält die Jugendarbeit in Brandenburg für gesichert.

Holger Rupprecht, Jugendminister
"Ich werde alles dafür tun, dass wir im Bereich Jugendarbeit keine Einschnitte machen müssen, die Strukturen gefährden.“
KLARTEXT
“Ich weiß es konkret aus Potzlow, dass es hier nicht mehr möglich ist, Jugendliche zu betreuen, die Strafstunden ableisten müssen. Das ist doch nicht im Sinne?“
Holger Rupprecht, Jugendminister
“Das ist natürlich nicht im Sinn."

Trotzdem sollen die Mittel für Jugendsozialarbeit wie in Potzlow in Brandenburg noch mal um Millionenbeträge gekürzt werden. So sieht es jedenfalls die Landesregierung vor. Dann könnte sogar die Stelle von Petra Freiberg gefährdet sein.

Und die Kommunen? – Die sind zwar für die Jugendarbeit letztlich zuständig, aber auch ihr Budget soll im kommenden Haushalt noch mal um 50 Millionen Euro gekürzt werden. Trotzdem wollen sie über Potzlow nicht mit uns reden. Potzlow – seit dem Mord ein rotes Tuch.

Petra Freiberg, Jugendsozialarbeiterin
„Damals nach dem Mord, wurde uns sehr viel versprochen. Wir wurden überflutet mit Dingen, wo wir wirklich dachten, dass sich auch in der Jugendarbeit etwas ändern würde. Aber davon ist nicht sehr viel übrig geblieben. Es ist wirklich so, dass nicht Gravierendes, Grundlegendes passiert ist.“
KLARTEXT
“Sie fühlen sich vergessen.“
Petra Freiberg, Jugendsozialarbeiterin
“Ich fühle mich schon auf verlorenem Posten."

Dass Jugendarbeit in Potzlow funktionieren kann, zeigt das Beispiel Erwin. Doch mit der Streichung könnte es damit vorbei sein. Aber wie mahnte Ministerpräsident Platzeck noch mal?

Matthias Platzeck, Ministerpräsident Brandenburg
"Wir dürfen kein einziges Kind mehr zurücklassen. Jede und jeder wird gebraucht, meine Damen und Herren.“

1,1 Millionen Euro sollen in diesem Jahre gestrichen werden, im nächsten 2,8 Millionen. Damit fallen 200 Stellen weg. 200 Jugendarbeiterstellen wie die von Petra Freiberg. Die Quittung dafür werden wir bekommen. Denn Potzlow ist überall…