Bürgersteig, Quelle: rbb

- Bürgersteige günstig zu "vermieten" - Straßencafés in Berlin

Eigentlich toll - ein Straßen-Café neben dem anderen. Die Kehrseite: Kaum mehr ein Geschäft ist in der Nachbarschaft. In manchen Berliner Kiezen entstehen regelrechte Monokulturen, eine Folge ständig steigender Gewerbemieten. Mithalten können oft nur noch Restaurant-Betreiber. Denn die können ihre Geschäftsflächen auf dem Bürgersteig günstig verdoppeln.

Anmoderation
Morgen, am 1. Mai, wird es sicher wieder viele ins Grüne ziehen oder – in die Berliner Straßencafés! Doch so toll es auch sein mag, seinen Latte Macchiato in der Sonne vor einem Café zu trinken: Die Kehrseite ist, dass die wachsende Zahl der Gastronomen in Berlin kleine Einzelhändler immer mehr verdrängt! Denn die teuren Gewerbemieten können sich Kneipenbesitzer viel eher leisten als Geschäftsinhaber. Warum das so ist, erzählt Andrea Everwien.

Sommer, Sonne, Straßencafé: endlich wieder draußen Aperol Spritz und Latte Macchiato genießen.

Umfrage
"Gefällt mir gut, hab auch Glück mit dem Wetter."
"Erst mal den schweren Einkauf und dann ein Kölsch."
"Uns geht es sehr gut hier, nur wenn die Sonne rauskommt, wird es heiß – aber uns geht es sehr gut hier."

In der Schöneberger Maaßenstraße zwischen Winterfeldmarkt und Nollendorfplatz zeigt Berlin sich als Stadt des Savoir Vivre. Dennoch: was der Flaneure Freud, ist das Leid der Anwohner:

Alles viel zu eng hier auf dem Bürgersteig. Da kann es schon mal gefährlich werden, besonders für die ganz Jungen und die Älteren. Der Grund: Zwei Drittel vom Gehsteig sind quasi Restaurant.

So geht das nicht weiter, fordern jetzt Bewohner, die zum Teil schon seit 30,40 Jahren in ihrer geliebten Maaßenstraße leben.

Karla Domke
Anwohnerin

"Man muss sich quasi entschuldigen, wenn man auf dem Bürgersteig läuft. Die Radfahrer sind auch so rücksichtslos, die fahren einem – auf Deutsch gesagt - den Hintern ab."
Doris Hillig
Anwohnerin

"Wir haben keine Nacht mehr Ruhe, da gehen die Bässe bis oben in das 5. OG."
Hubert Pelz
Anwohner

"Ich messe mit einem Dezibel-Messgerät bis zu 120 Dezibel – man fühlt sich eigentlich, als ob man auf dem Nürburgring ist."

Alles Spießer hier? Keineswegs. Denn es gibt objektiv Veränderungen in der Straße: Überall verdrängt Gastronomie die kleinen Läden – neben Lärm und Enge ist das das dritte Problem der Anwohner.

Karla Domke
Anwohnerin

"Davor war ein Tapetenladen, rechts um die Ecke war ein Bastelladen, links um die Ecke war ein großer Fleischer, ein sehr guter Fleischer: alles weg. Ein Blumenladen war hier in der Straße, gibt es auch nicht mehr, alles ersetzt durch Gastronomie."

Was hier passiert ist, hat der Stadtplaner Ares Kalandides im Auftrag des Bezirksamts untersucht. Sein Fazit: immer mehr Häuser gingen von privaten Besitzern an internationale Fondsgesellschaften – und die schrauben seit Jahren die Gewerbemieten in die Höhe.

Ares Kalandides
Stadtplaner "Inpolis"

"Wir sprechen von Mieterhöhungen, wo die Miete auf einmal fast verdoppelt wurde über Nacht. Vergessen Sie nicht, im Bereich der Gewerbeimmobilien gibt es keine Kontrollinstrumente, wir können die Miete nicht kontrollieren."

Und das Geschäftesterben geht immer weiter: diesen Papier- und Geschenkeladen wird es wohl als nächsten treffen. Inhaberin Helen Rahikainen verhandelt seit Wochen mit ihrem Vermieter. Mit dem Verkauf von Geschenkartikeln und Postkarten kann sie dessen neue Mietvorstellungen nicht bedienen.

Helen Rahikainen
"Hot & Cold"

"Wir haben die Information bekommen, dass die Miete eventuell mit 30 Prozent erhöht wird – und das bedeutet dann für uns, dass – ja, wir müssen den Laden einfach schließen."

Dagegen kann der Wirt vom Café Eckstein ein paar Meter die geforderten Traummieten offenbar zahlen.

KLARTEXT
"Wie viel zahlen sie denn hier an Mieten eigentlich?"
Jost Müller
Inhaber "Eckstein"

"Circa 16.000."
KLARTEXT
"Pro Quadratmeter heißt das?"
Jost Müller
Inhaber "Eckstein"

"Etwa 100."
KLARTEXT
"Etwa 100 Euro pro Quadratmeter?"
Jost Müller
Inhaber "Eckstein"

"Ja".

16.000 Euro, im Monat wohlgemerkt. Dafür muss der Eckstein-Wirt draußen auf dem Gehweg soviel Geschäft machen, wie eben möglich – auch mit etwa zehn Tischen direkt vor dem Eingang, die das Ordnungsamt verboten hatte.

KLARTEXT
"Hier draußen stehen Tische, die sollten hier eigentlich nicht stehen – warum machen Sie das?"
Jost Müller
Inhaber "Eckstein"

"Ja, wir versuchen schon seit Jahren, die Flächen hier vor dem Eingangsbereich genehmigt zu bekommen, die Polizei hat auch in ihrer Stellungnahme das abgesegnet, nur das Ordnungsamt stellt sich da quer, weil – ja, aus irgendwelchen fadenscheinigen Begründungen."

Dass die Fußgänger an den Tischen kaum noch vorbei kommen, interessiert den Wirt offenbar nicht so sehr.

Jost Müller
Inhaber "Eckstein"

"Wir haben natürlich auch hier am Standort relativ hohe Kosten und die müssen sich ja auch irgendwie decken lassen. Ohne das Samstagsgeschäft, durch den Wochenmarkt bedingt, und natürlich auch die Außengastronomie wäre das einfach unrentabel."

Das gilt offenbar für alle Kneipen hier – ob Amrit oder xara-lounge, ob Eckstein oder Maibach: nur durch die Außengastronomie können sich die Wirte die hohen Mieten wohl leisten.

Denn dafür, dass hier wesentlich mehr Gäste zahlen, als drinnen im Restaurant Platz hätten, schafft Vater Staat sehr vorteilhafte Bedingungen:

Den Quadratmeter Bürgersteig darf der Wirt in der Maaßenstraße nämlich für 12,50 Euro nutzen – im Jahr. Das hat der Senat so festgelegt – in der sogenannten "Sondernutzungsgebührenverordnung".

Wer also etwa 100 Euro Miete für den Quadratmeter drinnen zahlt, legt gut einen Euro für den Quadratmeter draußen hin – das halbiert die Miete für die gesamte Restaurantfläche mindestens von März bis Oktober.

Andreas Behrens nennt das eine versteckte Subvention der Gastronomie: Behrens selbst verkauft kostbare Öle und Seifen, ein paar hundert Meter vom Hotspot Maaßenstraße entfernt. Er kann seine Miete nicht dadurch halbieren, dass er etwa seine Waren in die Sonne auf die Straße stellen würde.

Andreas Behrens
"Ölmühle Berlin"

"Ich finde es ausgesprochen ungerecht, da wird öffentliches Straßenland entzogen, und – wie gesagt – über eine Mischkalkulation ist es dann durchaus möglich, wenn Sie eine Gewerbemiete von ein paar Tausend Euro haben, und nehmen eine Außenfläche in der gleichen Größe dazu, können Sie im Grunde Ihre normale Gewerbemiete mit dieser Maßnahme halbieren."
KLARTEXT
"Und das kann der Einzelhändler nicht."
Andreas Behrens
"Ölmühle Berlin"

"Und das können sie als Einzelhändler nicht wirklich."

Kein Wunder, dass die Gastronomen immer wieder gegen seine Auflagen verstoßen: mit blauen Punkten versucht Oliver Schworck, Stadtrat für Ordnungsangelegenheiten, Grenzen zu setzen, damit nicht der gesamte Gehweg vom Restaurant vereinnahmt wird.

Letzten Montag, Stichprobe im Maibach: die Bänke stehen außerhalb der genehmigten Fläche. Der Wirt redet sich raus: er hätte keinen Platz dafür. Die Bänke stünden aber nur bis Freitag da, Freitag kämen Lastwagen zum Abholen.

Oliver Schworck (SPD)
Bezirksstadtrat für Jugend, Ordnung, Bürgerdienste, Tempelhof/Schöneberg

"Am Freitag wird es abgeräumt?"
Gastwirt
"Ja, richtig."
Oliver Schworck (SPD)
Bezirksstadtrat für Jugend, Ordnung, Bürgerdienste, Tempelhof/Schöneberg

"Aber warum muss es denn jetzt noch bis Freitag hier stehen? Ich verstehe es nicht. Es tut mir wirklich leid. Das ist ein Umstand. Wir haben extra die blauen Punkte raufgebracht, regelmäßig reden wir mit Ihnen, das wissen Sie doch."
Gastwirt
"Ich mache das so schnell wie möglich weg."
Oliver Schworck (SPD)
Bezirksstadtrat für Jugend, Ordnung, Bürgerdienste, Tempelhof/Schöneberg

"Bitte."

Das war am Montag. Heute Morgen, am Mittwoch, standen die Bänke noch immer dort.

Was aber würde den Anwohnern wieder zu mehr Platz verhelfen und dem Einzelhandel gleiche Chancen wie der Gastronomie eröffnen? Die Schöneberger Abgeordnete der CDU hat da eine Idee.

Monika Thamm (CDU)
Mitglied des Abgeordnetenhauses

"Ich bin Mitglied im Hauptausschuss. Das Geld ist immer die Stellschraube, was nutzt, das versichere ich Ihnen. Und ich habe kein Problem damit, dass wir die Sondernutzungsgebührenordnung verändern dergestalt, dass wir bis zu 20 Euro pro Quadratmeter und Monat hier von den Gastronomen verlangen. Denn ganz offensichtlich lohnt es sich und dann sollen sie auch entsprechend dafür zahlen."

Beitrag von Andrea Everwien