- Programmierter Protest - Der Streit um die Flugrouten

Täglich formiert sich neuer Protest gegen die geplanten Flugrouten für den neuen Großflughafen BBI. Klartext fragt: Warum plante man jahrelang - in einem aufwändigen Verfahren - einen Großflughafen, investierte, leistete Entschädigungen für Betroffene, ohne dass die für das Leben der Anwohner so wichtigen Flugrouten mit geplant wurden? Die Geschichte eines programmierten Protests.

Stellen Sie sich mal vor: Sie sparen jahrelang auf ein Eigenheim, bauen es schließlich, ziehen ein und erfahren dann: Über ihrem Wohngebiet wird künftig die Hauptflugroute für den neuen Großflughafen Schönefeld verlaufen. Alle 2 Minuten ein Flugzeug überm Haus, 365 Tage im Jahr. Mit diesem Schreckens-Szenario müssen sich jetzt tausende Berliner und Brandenburger auseinandersetzen, nachdem - völlig überraschend - neue Flugrouten für Schönefeld bekannt wurden. Iris Marx und Elias Schneider zeigen, wohin mangelnde Transparenz der Behörden führen kann!

Großer Protest unter den Anwohnern, seitdem die neuen Flugrouten für den BBI bekannt sind - er wird jeden Tag größer, vor allem in Berlin.

Wir haben getestet, wie stark die Lärmbelastung schon heute durch startende und landende Flugzeuge in Berlin-Tegel ist.

Leise sind sie nicht, das ist keine Frage. Wir messen die Lautstärke eines startenden Flugzeugs direkt am Flughafen Tegel - schlimmer als hier geht es nicht.

Das Gerät steigt an bis über 95 Dezibel, das ist vergleichbar mit der Lautstärke eines Presslufthammers.

Ein paar Kilometer weiter in Richtung Osten, am Weißensee. Das Flugzeug ist kaum noch zu sehen, es hat inzwischen eine Höhe von 1.500 Metern erreicht.

Allerdings kann man es noch gut hören. Das Messgerät schwankt hier um die 75 Dezibel. So laut kann es auch mal in einem Großraumbüro werden.

In 2400 Metern Höhe wird zurzeit im Osten der Stadt Ahrensfelde überflogen. Hier wird der Fluglärm vom Straßenlärm völlig überlagert. Auf einer freien Wiese, ein paar Meter weiter, erreicht der Pegelstand beim Überflug um die 55 Dezibel - starker Regen ist ähnlich laut.

Und so sieht die Flugroute aus, die wir gemessen haben. Die Flugzeuge starteten an diesem Tag von Tegel in Richtung Osten und überfliegen in teilweise niedriger Höhe die Stadt - so wie schon seit Jahrzehnten.

Die Bewohner etwa im östlichen Ahrensfelde haben sich mit dem Lärm abgefunden.

Mann
„Hier merk‘ ich nix vom Fluglärm."
Frau
„Na, ich wohn hier auf der anderen Seite drüben vom Bahnhof und da ist das schon zu hören."
Mann
„Abends hört man es ab und zu, sonst aber nicht."

In etwa dieser Höhe - wie in Ahrensfelde - soll nach den neuen Plänen beispielsweise auch der Südwesten von Berlin und auch Potsdam überflogen werden.

Nun befürchten einige sogar den Untergang des Abendlandes: wie den bedeutender Kulturstätten, Kerosinregen über der Pfaueninsel, die Gefahr vor Kerosinkrebs und: der Gau durch einen möglichen Absturz auf den Versuchsreaktor am Wannsee. Panikmache und Schwarzer-Peter-Spiel?

Auch heute schon werden die Gebiete überflogen - wie die Grafik zeigt. Wenn die Flieger von Tegel in Richtung Westen abheben erreichen sie eine Höhe von rund 2.300 bis 3.000 Metern.

Bei den neuen Routen sind es ebenfalls rund 2.300 Meter.

Eigentlich ist alles nicht so schlimm. Aber wurde der BBI nicht gerade deshalb geplant, um den Flugverkehr aus der Stadt raus zu bekommen?

Ralf Kunkel, Sprecher Flughafen Schönefeld
„Ja richtig, die Schließung der innerstädtischen Flughäfen ist ja die zwingende Voraussetzung für den Ausbau des Flughafen Schönefeld."

Und nun dies! Die Routen verlaufen nicht wie geplant parallel gerade aus, sondern knicken um 15 Grad ab und überfliegen die Stadt - so wie heute auch.

Bei der Planung des BBI haben die zuständigen Landesbehörden das angeblich nicht geahnt. Davon habe man erst erfahren, als die Deutsche Flugsicherung die Routen vorgestellt hat:

Ingeborg Junge-Reyer (SPD), Senatorin für Stadtentwicklung Berlin
„Ich kenne diese 15 Grad-Regelung seit dem 06. September, um 17 Uhr nachmittags, seit dem meine Mitarbeitern mir sagten, dass in der Lärmschutzkommission darüber gesprochen wurde."

Nichts gewusst oder das Problem ausgeblendet? Bereits vor gut zwölf Jahren hätten die Landesregierungen wissen müssen, dass aus Sicherheitsgründen zwei parallele Bahnen nicht zulässig sind. Unverständlich für den Luftrechtsexperten Prof. Giemulla aus Zehlendorf, der nun ebenfalls betroffen ist.

Prof. Elmar Giemulla, Luftrechtsexperte
„Diese Einzelheiten um die es hier geht, nämlich die Abknickung der Flugrouten um 15°, bei parallelen Abflügen, das ist seit Mitte der 90er Jahre ist das im Gespräch, bei der internationalen Zivilluftfahrtorganisation."

Und dies wusste man zumindest auch in Brandenburg. Das ergibt sich aus einem Schreiben der Flugsicherung an das Potsdamer Ministerium vom 28. Oktober 98, in dem auf das Erfordernis der 15 Grad-Abknickung hingewiesen wurde.

Und darüber will sich bei der ganzen Mega-Planung um den BBI keiner weiter Gedanken gemacht haben? Man sei ja dafür nicht zuständig, so der für die Planung in Brandenburg zuständige Minister.

Jörg Vogelsänger (SPD), Minister für Infrastruktur Brandenburg
„Die Deutsche Flugsicherung ist dafür verantwortlich und so steht es auch im Planfeststellungsbeschluss: Die endgültige Festlegung erfolgt kurz vor Inbetriebnahme des Flughafens. Das ist jetzt erfolgt. Ich hätte mir ein transparenteres Verfahren gewünscht, auch von Seiten des Ministeriums und da ist die Deutsche Flugsicherung natürlich in der Pflicht."

Aber entlässt das die Länder komplett aus der Verantwortung, ein solches Milliarden-Projekt zu planen, ohne die wichtigste Frage überhaupt, die der Flugrouten, für die Bürger transparent zu machen, damit jeder weiß, ob und was auf ihn zu kommt?

Prof. Elmar Giemulla, Luftrechtsexperte
„Also wir haben die makabre Situation , dass Leute angehört, beteiligt worden sind, die jetzt nicht betroffen sind, und umgekehrt sind Leute jetzt betroffen die gar nicht sich beteiligen durften, also das ist nicht der sinn eines rechtsstaatlichen Planungsverfahrens."

Kein Wunder, dass sich die Bürger an der Nase herumgeführt fühlen. Die positiven Effekte der neuen Routenplanung gehen dabei völlig unter. Denn auch diese Seite gibt es.

Bernd Habermann, Anwohner Blankenfelde
„Und wenn wir jetzt Flugrouten festlegen, die die optimale Entlastung für Blankenfelde ergeben, Blankenfelde-Mahlow, Schulzendorf, Eichwalde. Dann ist es durchaus vertretbar, wenn sich in Steglitz-Zehlendorf die Lärmbelastungen um 42 db(A) auf 45 db(A) erhöhen."

Die Flugsicherung wird die Routen noch überarbeiten. Ganz werden sie aber nicht ausschließen, über Berlin zu fliegen: Schönefeld liegt einfach zu dicht an der Stadt.

Beitrag von Iris Marx und Elias Schneider