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Im Sommer 1937 werden im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, seinerzeit der bedeutendsten Sammlung zur Grafik der Moderne in Deutschland, von den Nationalsozialisten über 800 Arbeiten als "entartet" konfisziert. Dennoch werden einige Hundert der verfemten Werke gerettet, weil der zuständige Kustos Willy Kurth (1881–1963) mit bewundernswerter Zivilcourage und wagemutigen Tricks den Zugriff der NS-Beschlagnahmekommission unterläuft. Die Berliner Kunsthistorikerin Anita Beloubek-Hammer hat dieses unbekannte Kapitel der Berliner Kulturgeschichte nun erstmals erforscht.
Der Führer und sein Kunstgeschmack: arische Supermänner wie aus Kruppstahl. Sein größter Feind: die moderne Avantgarde.
Anita Beloubek-Hammer, Kunsthistorikerin
"Die Verfemung der modernen Kunst setzte sofort auch mit den Nazis ein. Es gab dann schon sogenannte Schreckenskammerausstellungen."
Als die Nazis 1937 in ganz Deutschland Kunstwerke moderner Maler beschlagnahmen, stellt sich ein Berliner Museumsmann gegen sie.
Anita Beloubek-Hammer, Kunsthistorikerin
"Von seiner geistigen Position stand er links. Er hatte ein Gerechtigkeitsempfinden und war von Anfang in Opposition zum Nationalsozialismus."
Sein Name: Willy Kurth. Erst heute erfahren wir, mit welchem Wagemut er etwa sechshundert Bilder vor den Nazis rettete. Ohne diesen Schatz wäre die Berliner Museumslandschaft unendlich ärmer.
Anita Beloubek-Hammer, Kunsthistorikerin
"Das Allerwichtigste war, diese Rettungstat publik zu machen, weil es ungeheuer viel Mut gekostet hat. Hätte man das damals gewusst, wäre er warhscheinlich ins KZ gewandert."
Anita Beloubek-Hammer hat diese unglaubliche Geschichte erstmals erforscht. Hier, am Berliner Kupferstichkabinett, leitete sie 20 Jahre lange dieselbe Abteilung für moderne Kunst wie einst Willy Kurth. Nach ihrer Pensionierung schrieb sie sechs Jahre an einem Buch über dessen Lebensleistung.
Anita Beloubek-Hammer, Kunsthistorikerin
"Die Ferdinand-Möller-Stiftung hat mir den Auftrag gegeben, zu recherchieren und ich habe dann geforscht und geforscht und war immer der Meinung, diese Aufgabe kann nur jemand machen, der das Museum auch von innen kennt."
Willy Kurth studiert anfangs selbst Malerei – dies ist eine eigenhändige Zeichnung von ihm. Die explodierende Großstadt, mit ihrem Aufbruch in die Moderne, entspricht ganz dem Charakter des gebürtigen Berliners.
Anita Beloubek-Hammer, Kunsthistorikerin
"Er wurde charakterisiert als ein sehr amüsanter Mann, etwas Berliner Schandmaul, aber auch als solcher absolut prima. Ich glaube, der Schlüssel für Kurths Interesse lag darin, dass er Angerhöriger der Expressionisten-Generation war."
Statt seine eigene Malerkarriere zu verfolgen, beginnt er die Künstler von Expressionismus bis Dada mit Begeisterung zu fördern. Als er Mitte der Zwanziger auf der Museumsinsel die moderne Sammlung im Kupferstichkabinett übernimmt, trägt er alles zusammen, was heute Rang und Namen hat: Kirchner, Kollwitz, Kandinsky. Es sind die Künstler, die die Nazis am meisten hassen. Sie jagen ihre Werke geradezu, veranstalten 1937 die berüchtigte Ausstellungsreihe mit dem Titel "Entartete Kunst". Dazu werden in alle deutschen Museen nationalsozialistische Kunstkommissare entsandt, auch ins Berliner Kupferstichkabinett.
Anita Beloubek-Hammer, Kunsthistorikerin
"Da sollte quasi alles, was unter sogenannter Verfallskunst lief, entfernt werden. Und bei dieser Aktion startete dann Willy Kurth zusammen mit einem Volontär, nämlich Wolfgang Schöne, diesen Coup, dass Werke gerettet wurden."
Diese Kästen müssen Kurth und Schöne am 12. August 1937 Hitlers Kunstjägern vorlegen. Und dann tricksen sie sie über Nacht raffiniert aus.
Anita Beloubek-Hammer, Kunsthistorikerin
"Die Kommission hat in Windeseile Blätter herausgewählt und gesagt, am nächsten Tag sollen die abgeholt werden, sie hat aber keine Notizen gemacht, nur die Zahl festgehalten, die so etwa sechshundert betraf. Dann hat sie das Haus verlassen, und Kurth hat Schöne gebeten, dazubleiben. Und beide haben dann in den Nachtstunden die besten Werke, vor allem figürliche ausgewählt und durch weniger wichtige, also Landschaften oder Dubletten, ausgetauscht."
So werden dem Berliner Kupferstichkabinett unschätzbare Meisterwerke, wie dieses von Max Beckmann, gerettet. Kurths Husarenstück wird zum Glück nicht entdeckt. In der Nazizeit wäre er mit Sicherheit verhaftet worden. Allerdings – auch nach dem Krieg bekommt er keine Anerkennung für seinen Einsatz.
Anita Beloubek-Hammer, Kunsthistorikerin
"Kurth starb in Potsdam in der DDR 1963, ohne dass je von seiner Rettungstat die Rede gewesen wäre."
Er ist zwar ein geachteter Kunst-Professor in Ost-Berlin. Doch die geretteten Avantgarde-Bilder passen auch nicht ins Weltbild der SED. Damit muss er sich abfinden.
Anita Beloubek-Hammer, Kunsthistorikerin
"Auf mein Grab schreibt einmal nicht, was ich getan, sondern was ich verhindert habe."
Nun wird Willy Kurth endlich gewürdigt. Ab Februar auch in einer Ausstellung im Kupferstichkabinett.
Autor: Norbert Kron