Heilerde mkt Wasser vermengt in einer Schüssel (Quelle: imago images / Imagebroker)
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Fr 14.07.2023 | Interview | Lesedauer etwa 5 Minuten - Werbeversprechen: Heilung für alles und jeden?

Immer wieder werden Produkte mit Versprechen beworben, für es keine guten Belege gibt. Das kann gefährlich werden, wie das Verbraucherschutzportal MedWatch aufgedeckt hat. Ein Interview.

Das Internet ist voll mit Heilversprechen. Webseiten, Instagram-Kanäle, Werbebanderolen allerorts. Dabei wird laut Verbraucherschützenden oft übers Ziel hinausgeschossen: Übertreibungen, Auslassungen und suggestive Aussagen sollen potentielle Käufer:innen überzeugen.
 
Ein Beispiel: Die Firma Luvos, die angebliche Vorzüge ihrer Heilerden bewirbt. Das Wissenschaftsportal MedWatch.de berichtet von dem Fall einer Frau, die Luvos Heilerde auf einer kleinen offenen Wunde nach Packungsanweisung verwendet: "Zur unterstützenden Behandlung bei […] kleinflächigen, nässenden Geschwüren und eiternden Wunden", heißt es dort. Die Patientin entwickelt aber eine schwere Infektion, von der sie sich nur langsam erholt, wie die Recherchen der Autorinnen Sigrid März und Julia Sausmikat zeigen.
 
Klinische Studien, die Nutzen oder Sicherheit von Heilerden in der Wundversorgung bei Menschen belegen, fehlen laut März und Sausmikat. In Ihrem Dossier "Heilerde: Viel Staub um nichts" schreiben sie: "Das Wundzentrum Hamburg listet Heilerde sogar in einer Negativliste, und zwar als 'Bedarfsgegenstand ohne zugelassene therapeutische Indikation'." Derartige Produkte hätten in einer Wunde überhaupt nichts zu suchen, so ein Vorstandsmitglied des Wundzentrums gegenüber MedWatch. Die Aussage des Herstellers "Keine Angst vor Erde in der Wunde: Die feine Heilerde bietet Erregern keinen Nährboden" bezeichnet er im Gespräch mit den Journalistinnen als unverantwortlich.

Wenig Antworten von Luvos

Auf MedWatch-Anfrage bei Luvos schreibt die Geschäftsführerin des Unternehmens, dass Luvos-Heilerde als Wundauflage eingesetzt werden könne. Auf die Frage, warum ein frei verkäufliches Produkt wie "Heilerde 2 hautfein" keine Warnhinweise zu Grenzen und Risiken einer Selbstbehandlung von Wunden enthalte, antwortete das Unternehmen nicht. Ebenso nicht auf die Frage, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage Luvos Heilerde auf Wunden empfiehlt.
 
"Die Firma Luvos bewirbt ihre Heilerden mit Versprechen, die sie zum Teil nicht halten können", so das Fazit der Autorinnen auf MedWatch.de, und weiter: "Das wird jedoch dann gefährlich, wenn Verbraucher:innen auf eine Wirkung vertrauen".
 
Wir wollen von März und Sausmikat unter anderem wissen, wie wir solche Werbeaussagen hinterfragen können.

SUPER.MARKT: Bei welchen Werbeaussagen für vermeintliche Heilmittel sollte ich als Käufer:in stutzig werden?

Sigrid März: Stutzig werden sollte man immer dann, wenn ein Hersteller oder Anbieter ein Produkt als Allheilmittel anpreist. Sprich, ein Pulver oder ein Nahrungsergänzungsmittel soll angeblich nicht nur bei Erkrankungen des Darmes, sondern ebenso bei Depressionen und Verkalkung der Herzkranzgefäße helfen. Denn solche Substanzen gibt es schlichtweg nicht.
 
Oft manipuliert Werbung Verbraucher:innen zudem durch überspitzte Polarisierung: Auf der einen Seite die "sanften" und "natürlichen" Mittel, auf der anderen die "chemische klassische Medizin". Unglaubwürdig sind Substanzen, die eine Wirkung ohne Nebenwirkungen versprechen. Fazit: Wenn es zu schön klingt, um wahr zu sein, ist es das meistens auch nicht.

Steht Luvos beispielhaft für diverse Marken aus der Naturheilkunde - oder ist das Vorgehen des hessischen Unternehmens ein Einzelfall?

Julia Sausmikat: Es gibt durchaus Hersteller und Anbieter, die ein fragwürdiges Verhältnis zu medizinischer Evidenz pflegen. Bei MedWatch.de finden sich zahlreiche Beispiele von Werbung, die Verbraucher:innen zumindest hinters Licht führt. Besonders die Online-Vermarktung von Medizinprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln wird nur unzureichend überwacht, ein Umstand, der es Anbietern erleichtert, mit ihren Werbeversprechen – absichtlich oder nicht – übers Ziel hinauszuschießen. Das unübersichtliche Angebot trifft hier auf knapp zwanzig Millionen potenzielle Kund:innen in Deutschland, die laut Statista großen Wert auf "Naturheilmittel" legen. Es lohnt sich also.

Wo kann ich eine Beschwerde gegen Unternehmen einreichen, die mutmaßlich irreführende Werbung machen?

Julia Sausmikat: Erste Ansprechstellen für die Verbraucher:innen können die Verbraucherzentralen des Bundeslandes sein, in dem das Unternehmen sitzt. Im Fall von Nahrungsergänzungsmitteln nimmt die lokale amtliche Lebensmittelüberwachung Hinweise entgegen.

Sie schreiben in Ihrem Artikel, dass es von Behördenseite schwierig ist, bei Luvos wirksam einzugreifen. Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, damit die Behörden besser eingreifen können?

Sigrid März: Der Gesetzgeber definiert schon recht klar, was geht und was nicht. Wo es hingegen hakt, ist die Durchsetzung geltenden Rechts. Den Überwachungsbehörden fehlt Personal, um die stets wachsende Flut an Werbung vor allem in den sozialen Medien zu sichten, einzuordnen und zu ahnden. Helfen könnte – außer mehr Mitarbeiter:innen in den Behörden – eine zentrale Stelle zur gezielten Überwachung des Online-Handels mit Gesundheitsprodukten.

Noch einmal zurück zur Verbraucherin und zum Verbraucher: Manchmal wollen wir uns den Gang zum Arzt sparen, manchmal ist die Hoffnung da, dass ein alternatives Produkt doch helfen könnte. Aber: Auf welche Aussagen kann ich mich wirklich verlassen?

Sigrid März: Natürlich benötigt nicht jeder Mensch wegen eines Schnupfens ärztliche Hilfe. Aber wenn ich mich so schlecht fühle, dass ich glaube, ohne dieses Produkt wird es mir nicht besser gehen, oder ich einfach experimentierfreudig bin und gerne Trends aus dem Netz ausprobiere, sollte ich unbedingt das Gespräch mit meiner Hausärzt:in suchen.
 
Verlässliche Gesundheitsinformationen finden Verbraucher:innen zum Beispiel bei den Verbraucherzentralen, genauer bei "Faktencheck Gesundheitswerbung" und "Klartext Nahrungsergänzung". Außerdem bietet das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) mit Gesundheitsinformation.de eine umfangreiche Plattform.