Schüler spielen Theater (Quelle: rbb)
(Quelle: rbb)

- Berufsziel Hartz-IV Empfänger - Wie Lehrer Schülern wieder Lebensmut machen

Nur zwei von fünf Hauptschulabsolventen finden gleich nach der Schule einen Ausbildungsplatz in einem Betrieb. Da verwundert es wenig, dass viele Schüler bei der Frage nach ihrem Berufswunsch sagen: 'Ich werde Hartz IV'. Klartext hat eine Lehrerin begleitet, die den Kampf um die Zukunftschancen ihrer Schüler nicht aufgibt - trotz der schwierigen Lage am Arbeitsmarkt, trotz der oft schon resignierten Eltern.

So etwas gab es seit Jahren nicht mehr: Rund 100.000 Schüler sind heute in vielen deutschen Städten auf die Straße gegangen, um zu protestieren. Auch in Berlin forderten die Jugendlichen bessere Förderung und mehr Geld für Bildung. Doch es ist nicht nur eine Frage des Geldes, wie Unterricht aussieht und was Schüler mit auf den Weg bekommen. Das Engagement der Lehrer spielt mindestens eine ebenso große Rolle. In einer Schule in Reinickendorf – ganz in der Nähe vom Märkischen Viertel – hat Gabi Probst Lehrer gefunden, die Mut machen.

Schüler
„Hallo ich bin Ahmed und ich bin ein türkischer Berliner. Ich heiße Daniela und bin Italienerin. Ich bin der Marius und komme aus Berlin. Hallo mein Name ist Annina, ich wurde in Berlin geboren und bin halb Deutsche und halb Thailänderin. Hallo ich bin der Stefan und komme aus Serbien. Ich bin Joyce aus Gahna und wohne in Berlin. Und ich bin Helga Burchardt, die Klassenlehrerin dieser liebenswerten bunten Truppe.“

Helga Burchardt, Lehrerin
„Ihr atmet jetzt ganz tief in den Bauch und richtig so…dann hätte ich gerne, dass einer anfängt mit einem Wort in seiner Muttersprache.“

Ein Theaterstück wird geprobt – sie spielen Passagiere auf einem sinkenden Schiff.

Helga Burchardt, Lehrerin
„Sie reden in ihrer Muttersprache. Sie drücken die Emotion in diesem Theaterstück in der Sprache aus, die ihnen eigen ist, die sie manchmal vernachlässigen. Es ist gewünscht, dass sie die Schulsprache beherrschen, es ist gewünscht, dass sie die Prüfungen in der deutschen Sprache ablegen. Aber sie sollen dabei nicht ihren wahren Hintergrund verleugnen. Sie sollen ihre Identität nicht aufgeben. Das ist auch Ziel unserer Schule, ihnen wirklich Kraft zu geben, mit beiden klar zu kommen!“

„Unsere Schule“, das ist die Max-Beckmann, eine Gesamtschule in Reinickendorf. Die Unterrichtssprache ist deutsch, auch ansonsten wird deutsch gesprochen. Hier lernen 1000 Schüler aus rund 25 Nationen. Neun sind es allein in der 10. Klasse von Helga Burchardt.

Theater - ein Modell der „Völkerverständigung“. Dabei wird auch das Selbstbewusstsein gestärkt, sagen die Lehrer. Und das sei so wichtig, um optimistisch in die Zukunft zu schauen.


Annina
„Wenn ich dann da oben stehe und meine Freunde auch unten sitzen und denn anfangen mir zuzubrüllen so, ja komm, du schaffst das, dann bringt das natürlich schon ein bisschen mehr Selbstbewusstsein mit.“

Helga Burchardt, Lehrerin
„Sie haben ein Schulgesicht und ein Familiengesicht. Und es fällt ihnen sicherlich schwer, mit dieser Doppelrolle klar zukommen. Ich versuche im Theater, sie auf der einen Seite stark zu machen, indem sie sich in andere Rollen begeben und sich vielleicht auch frei spielen, aber auf der anderen Seite möchte ich, dass sie ihre Befindlichkeiten äußern. Aber es wird schon deutlich, dass viele Kinder und Jugendliche Schwierigkeiten haben, den Alltag gestärkt zu überstehen.“

Die meisten Eltern sind nicht reich, viele leben von Hartz IV und haben die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft schon lange aufgegeben. Das Theaterspielen soll den Kindern helfen, ihren eigenen Weg zu finden. Nicht selten auch gegen Elternhäuser, die sich in Hartz IV eingerichtet haben. Alex und Fine wissen von diesen Schülern.

Alex
„Dass man Hartz IV einfach so bekommt, ohne, dass man etwas tun muss.“

Fine
„Dass man einfach auch Geld kriegt und ne Wohnung bezahlt kriegt. Und manche finden es halt auch toll.“

Doch nicht alle finden das so toll, weiß der Direktor. Oft müssen Konflikte hier in der Schule abgefedert werden.

Jürgen Plenefisch, Schulleiter Max-Beckmann-Oberschule
„Die Kinder spüren ja selbst, wie unzufrieden die Eltern sind in diesem Zustand, wenn sie arbeitslos sind und nur Hartz IV beziehen. Sie sehen, dass da Konflikte in der Familie auftauchen, wenn Vater und Mutter zuhause sind, frustriert, ob der schlechten materiellen Situation, der Perspektivlosigkeit, die Konflikte, die auftauchen, die sich teilweise auch in Gewalt entladen. Das wollen die nicht, wenn man ihnen das klar macht.

KLARTEXT
„ Sind die Migrantenkinder und Hartz IV und beides manchmal ja, sozusagen oftmals auch in einem Konflikt, hier eine Schule, die ihnen etwas bietet, sie selbstbewusst macht und dann kommen sie nach Hause und ist es dann eine andere Welt?“

Jürgen Plenefisch, Schulleiter Max-Beckmann-Oberschule
„Ja. Es gibt hier Schülerinnen, die würden am liebsten dauernd hier bleiben, weil sie wissen, wenn sie nach Hause kommen, dann ist es nicht so schön wie hier.“

Helga Burchardt korrigiert Aufsätze. Das Thema: die Hungersnot nach dem Zweiten
Weltkrieg. Auch hier ist Hartz IV gegenwärtig.

Schüler
„Da es früher nicht einmal so etwas wie Hartz IV gab oder so etwas ähnliches, war es so gut wie unmöglich, an etwas Geld zu gelangen.“

Dieser Schüler kann sich eine Welt ohne Hartz IV nicht vorstellen. Diskussionsstoff für den Unterricht.

Helga Burchardt, Lehrerin
„Hartz IV ist das Allheilmittel gegen Hunger?“

Das muss raus aus den Köpfen, sagt der Direktor. Schule soll sie stark machen, das Leben selbst in die Hand zu nehmen und nicht auf Hartz IV zu warten.

Jürgen Plenefisch, Schulleiter Max-Beckmann-Oberschule
„Wir entlassen unsere Jugendliche nicht in den Beruf Hartz IV, sondern wir bieten ihnen eine Perspektive, auf die sich aufbauen lässt. Wir haben hier Jobcoaches, die schaffen es wahrhaftig, jeden, egal welchen Kulturkreis, fast jeden in ein Ausbildungsverhältnis zu bringen. Wenn die wollen, dann klappt es auch. In dem Augenblick, wo sie etwas älter sind und schon etwas perspektivisch denken, kann man genau diese multikulturellen Aspekte auch als positives Argument wenden, in dem man sagt, wir leben mittlerweile in einer globalisierten Welt und nur derjenige, der eine Ausbildung hat, kann flexibel reagieren. Das heißt er kann dorthin gehen, wo ihm gut dotierte Arbeitsplätze angeboten werden.“

KLARTEXT
„Glauben die Ihnen dann auch?

Jürgen Plenefisch, Schulleiter Max-Beckmann-Oberschule
„Das glauben die.“

Ja, sie glauben es ihm. Joyce, Ahmed, Aninna – sie leben gern in Berlin und sie lieben ihre Schule. Die Lehrer haben das geschafft, sagen sie. Eltern waren nicht immer die besten Begleiter. So hat sich für ihre Klasse nicht einmal ein Elternsprecher gefunden.

Angst vor der Zukunft haben sie aber nicht.

Joyce
„Ich möchte am Flughafen arbeiten, also Check-In-Station, das möchte ich auf jeden Fall machen, deswegen muss ich mich ja auch sehr anstrengen.“

Ahmed
„Ich hab mir mal so, Jura oder so etwas vorgestellt, ja.“

Annina
„Eigentlich ist mein Leben gut geplant und wenn es so läuft, dann ist es ok für mich. Also keine Angst, eigentlich nicht.“




Beitrag von Gabi Probst