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Legion - Hacking Anonymous: Stranger in Warschau (4/6)

Keine Namen, keine Gesichter, nur eine kollektive Identität: Das sind die Grundprinzipien von Anonymous. Und das macht das Kollektiv zur perfekten Tarnung für Hacks.

Die Cyber-Partisanen aus Belarus sind ein Hacker-Kollektiv mit ganz ähnlichen Anliegen wie Anonymous, allerdings stellt sich die Gruppe ganz bewusst in die Öffentlichkeit – sie haben sogar eine Pressesprecherin. Yuliana Shemetovets steht mit ihrem Namen und ihrem Gesicht für die Aktionen der Gruppe. Wir treffen sie in Warschau.

In dieser Folge von »Legion: Hacking Anonymous« geht es aber auch um Geheimdienste. Yuliana ist sich sicher, dass sie von russischen Agent*innen beobachtet wird. Und ein ehemaliger FBI-Mitarbeiter aus Krakau behauptet sogar, dass alle Geheimdienste hinter der Maske mitmachen würden. Was ist dran an dem Gerücht, dass Anonymous von Spion*innen unterlaufen sei?

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Legion

Anonymous ist wieder da. Das Hacker-Kollektiv wendet sich Anfang 2022 mit einer Kriegserklärung direkt an Wladimir Putin und unterstützt seit Beginn des russischen Angriffskrieges die Menschen in der Ukraine. Aber: Wer ist Anonymous überhaupt?

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Transkript

- Transkript zu Episode 4: Stranger in Warschau

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Transkript zu Episode 4

Khesrau Behroz
Das hier ist die vierte Episode von Legion: Hacking Anonymous. Falls Ihr die anderen noch nicht gehört habt: Ihr findet sie in der ARD Audiothek, und wo auch immer Ihr sonst Eure Podcasts hört.

Und jetzt geht’s los.

Wir sind in Warschau. Es ist April 2022, ziemlich kühl. Die Frau, die wir hier treffen wollen, sie ist extrem vorsichtig. Denn seit Kriegsbeginn in der Ukraine soll auch Warschau, die polnische Hauptstadt, voll sein von russischen Saboteur:innen und Spion:innen. Sylke, unsere Reporterin, steht an einer Straßenecke. Ein paar kleine Läden, eine Tramhaltestelle. Hier ist der Treffpunkt. Die Stadt ist grau, es regnet. Und plötzlich klingelt Sylkes Telefon.

Sylke
Hello. Hello.

Yuliana
Just to make it faster. You can walk towards the delicatessen and like to the corner.

Unser Kontakt lotst Sylke auf die andere Seite der Straße. Zu einem Restaurant.

Yuliana
Yep. Yeah. Go to this corner and then to the left. You'll need to cross this bakery, actually.

Dann zu einer Bäckerei.

Yuliana
I'm actually already at the. At the lights.

Und dann ein Stück weiter zu einer Ampel. Sylke sieht sie dort.

Sylke
Und da steht sie auf der anderen Seite, in schwarzen Yoga-Leggings, ein Sweatshirt und darüber eine schwarze Daunenjacke mit Kapuze. Es regnet an dem Tag. Es ist furchtbar hässlich grau. Wir machen uns auf den Weg in die Richtung der Wohnung, die sie über Wohl, wie sie sagt, über Airbnb angemietet hat.

Und sie macht das wohl nur, so sagt sie mir, weil sie an dem Nachmittag nach unserem Gespräch die Wohnung verlassen wird. Wir gehen auf einen Wohnblock zu. Am Eingang soll sie einen, muss sie einen Zahlencode eingeben. Und erst mal verfängt er nicht, funktioniert nicht. Kramt ihr Handy hervor, schaut wohl noch mal nach, gibt die Zahlenkombination ein. Die Tür geht auf und wir ins Treppenhaus und verlaufen uns, weil sie die Wohnungstür nicht findet. Es dauert kurz. Wir stehen vor einer Tür und da passt dann eben der Schlüssel.

Who’s that girl

Yuliana
Anyway, this is my temporary spot.

Khesrau Behro
Die Frau, die Sylke hier trifft, heißt Yuliana Shemetovets. Das ist ziemlich sicher ihr echter Name. Sie ist keine 30, ihre langen Haare trägt sie zusammengebunden.

Yuliana
Do you want tea? Water? Sparkling Water?

Sie bietet Tee an. Earl-Grey.

Yuliana
I just order it all the time in New York …

Hat sie extra aus New York mitgebracht. Dort lebt sie. Seit ein paar Tagen ist sie jetzt schon in Warschau, trifft sich mit Leuten, mit Menschen, die das gleiche wollen wie sie und ihre Gruppe von Hacker:innen. Anstrengende Tage, sagt sie …

Yuliana
Like, I remember sleeping like maybe for three hours because, you know, that there are many interest calls.

… seit Wochen, sie schläft wenig, manchmal gar nicht.

Yuliana
And I feel also kind of my duty to explain to talk about this.

Yuliana hat viel zu tun. Denn viele Menschen wollen gerade mit ihr reden. Auf der ganzen Welt. Sie hat nämlich eine Aufgabe, die ziemlich einzigartig ist.

Yuliana
I'm an official spokesperson for Belarus and Cyber Partizans. It's a highly organized hacktivist group.

Sie ist Sprecherin. Einer kleinen, aber effektiven Gruppe von Hacker:innen aus Belarus. Ein Land, das als die letzte Diktatur Europas gilt. Nachbar sowohl der Ukraine als auch Russlands. Yulianas Gruppe ist Teil der belarussischen Opposition. Ihr erklärtes Ziel: die Diktatur stürzen. Und den russischen Angriffskrieg stören. So wie Anonymous eben auch. Niemand weiß, wer Mitglied dieser Hacker:innen-Gruppe ist. Nur Yuliana tritt öffentlich auf. Mit Stimme und Gesicht. Und weil Yuliana eine Pressesprecherin ist, sagt sich auch einen Pressesprecher:innensatz:

Yuliana
That someone calls the most successful hacking group in history.

Diese Hacking-Gruppe würde von einigen als erfolgreichste Hacking-Gruppe aller Zeiten bezeichnet werden. Sie nennen sich: Cyberpartisanen Belarus.

Für rbb, NDR und Undone: Meine Name ist Khesrau Behroz.

Und das ist Legion: Hacking Anonymous. Episode 4: Stranger in Warschau.

Pressesprecherin

Sylke
Have you heard any voices?

Yuliana
No, I haven't.

Yuliana ist zwar Teil der Cyberpartisanen Belarus. Doch sie hat noch nie die Stimmen der anderen Mitglieder gehört.

Sylke
This leads me to the conclusion, you have never met anyone.

Yuliana
No, I haven't met anyone. I don't even know where they live, and I don't want to know for safety reasons for myself and for them as well.

Sie wisse nicht, wer sie wirklich sind, keine Namen, keine Adressen, wisse nicht, wo sie leben. Aus Sicherheitsgründen. Yuliana ist schon lange in der belarussischen Opposition aktiv, als 2020 ein Freund sie fragt, ob sie das öffentliche Gesicht einer digitalen Widerstandsgruppe werden will. Yuliana zögert. Sie denkt an ihre Familie, an ihren Mann. Sie hat Angst, aber ihr ist auch klar: Sie muss etwas tun.

Yuliana
You know I have to do it.

Also entscheidet sie sich, die Cyberpartisanen zu unterstützen. Sie durchläuft einen Sicherheitscheck und spricht dann mit der Kerngruppe. Ein Bewerbungsgespräch. Wobei ”sprechen”...

Yuliana
It was weird because, you know, I can talk to them. I don't hear their voices for security reasons. So they were typing their questions or responses.

Sie spricht, die anderen tippen ihre Fragen. Sicherheitsvorkehrung. Dass die Cyberpartisanen eine Sprecherin haben, ist schon irgendwie ungewöhnlich. In einer Welt des Aktivismus und vor allem des Hackings, wo Anonymität so wichtig ist. Aber: Die Cyberpartisanen wissen um den Wert von Öffentlichkeitsarbeit. Um gute PR. Es geht nicht nur um den Hack selbst, sondern auch darum, dass er gut erzählt wird. Vor allem in einem Krieg, wo es viel um Wahrnehmung geht. Und für diese Wahrnehmung ist sie zuständig.

Yuliana ist die einzige Person, die mit Namen und Gesicht auftritt. Sie wirft den Schatten, in dem die anderen Mitglieder sich verstecken können.

Belarus

Die Cyberpartisanen operieren in Belarus. Wie schon gesagt: die letzte Diktatur Europas. Angeführt von Alexander Lukaschenko.Der Diktator regiert seit fast 30 Jahren. Und bekämpft seit seiner letzten Wiederwahl, und hier müsst Ihr Euch die weltgrößten Anführungszeichen vorstellen, seit seiner letzten Wiederwahl also kämpft er gegen den Widerstand in der eigenen Bevölkerung.

*O-Töne aus Nachrichten*
Lukaschenko manipuliert ziemlich offensichtlich die Präsidentschaftswahlen im Sommer 2020. Seine Gegenkandidatin muss fliehen, das Land verlassen. Seither demonstrieren viele Belaruss:innen. Der Protest wird vor allem angetrieben von Frauen. Und das Regime: schlägt brutal zurück.

Ljubou
Am 14. Mai, das war ein normaler Arbeitstag.
Das ist Ljubou Kaspjarovitsch, aus der belarussischen Hauptstadt, aus Minsk. In Belarus arbeitete sie als Journalistin. Wir treffen Ljubou in Berlin, hierhin ist sie vor dem Regime geflohen. Denn in Minsk …

Ljubou
… wurde ich angegriffen von fünf schwarzgekleideten Männern, die Polizistin waren. Und ich, ich wusste das nicht. Für mich war das waren sie einfach schwarz gekleidete Männer. Und danach wurde ich ins Okrestina in dieses Gefängnis gebracht.

Das Gefängnis: 15 Personen in einer Zelle, eine Toilette, keine richtigen Betten. Keine Anklage. Kein Anwalt. Stundenlange Verhöre.

Ljubou
Ja, ich habe es ja, ich hundertmal gehört. Ich habe über Bedingungen in diesem Gefängnis dutzende Male geschrieben. Aber wenn du, wenn du selbst am eigenen Leib erlebst, ist es ganz anders - ganz anders.

Die Unterdrückung und Überwachung, die Einschüchterung, sie wird im belarussischen Innenministerium organisiert. Einem Ministerium, das die Cyberpartisanen sehr gut kennen. Weil sie es gehackt haben.

Partisan Hacks

2020 verschaffen sich die Cyberpartisanen Zugang zu den Computersystemen des Innenministeriums. Genau genommen: zur Fahndungsliste. Und setzen einfach den Namen des Innenministers und den des Diktators selbst ganz oben drauf. Ein kleiner Streich, aber die Staatsspitze: plötzlich “most wanted”.

*O-Töne aus Nachrichten*
Dieser Hack macht die Gruppe schlagartig berühmt. Und dann, ein Jahr später, 2021:

Die Cyberpartisanen dringen nochmals in das Computersystem des Innenministeriums ein.

Sie finden Passbilder und Namen tausender Geheimdienstmitarbeiter:innen und Polizist:innen des Regimes, die sonst verhüllt und geheim bleiben - und sie machen alles öffentlich.Die Cyberpartisanen veröffentlichen Tausende Telefonate zwischen Geheimdienstmitarbeiter:innen und der Polizei. Teilweise mit Anweisungen für Folter, für den Umgang mit inhaftierten Frauen.

*O-Ton*
Wir übersetzen das jetzt hier nicht, aber es fallen viele Schimpfwörter. Es geht um rohe Gewalt. Zeugnisse der Unterdrückung - für alle zu hören. Unter den erbeuteten Daten auch Aufnahmen aus dem Gefängnis. Wie diese hier:

*O-Ton Gefangenenlieder*
Gefangene, die Lieder über die Freiheit singen. Oppositionelle, die Lukaschenko einfach weggesperrt hat. Die Cyberpartisanen sehen sich als Hacktivist:innen, als Teil der belarussischen Opposition, die gegen die Diktatur kämpft. Es ist eine richtige David-gegen-Goliath-Geschichte: eine kleine verschworene Gruppe fordert das übermächtige Regime heraus. Doch ihre Mission ändert sich Anfang des Jahres. Als Russlands seine Invasion in die Ukraine vorbereitet.

Yuliana
So the major attack that happened on behalf of Cyber partizans is the attack on the railways.

Januar 2022. Ein Monat vor Beginn der russischen Invasion gegen die Ukraine.

Das russische Militär mobilisiert Panzer, Artillerie, anderes militärisches Gerät. Über das belarussische Eisenbahnnetz wird das Kriegsmaterial an die ukrainische Grenze gebracht. Lukaschenko ist Russlands vielleicht wichtigster Verbündeter in der Nachbarschaft, sein Land grenzt direkt an die Ukraine. Doch am 23. Januar 2022, so um elf Uhr nachts, da stockt der Transport plötzlich. Signal- und Kontrollsysteme sind gestört. Züge verspäten sich oder fallen aus. Der Transport russischer Militärmaschinen pausiert. Der Grund: Die Cyberpartisanen haben die belarussische Eisenbahn angegriffen. Sie wollen damit die Kriegslogistik stören.

Ein Hack, der, so sagt es Yuliana, die Brüder und Schwestern in der Ukraine unterstützen soll, im Kampf gegen Russland.

Yuliana
Because Ukraine is our brotherly state. All of us have friends in Ukraine, and we also believe as Belarus. Since that without a free Ukraine, there is no chance for Belarus.

Wie effektiv das am Ende wirklich war? Wer weiß. Aber, alle berichten darüber.

*O-Töne aus Nachrichten*
Die Cyberpartisanen sind eine kleine, verschworene Gruppe. Kein riesiges Netzwerk, wo alle mitmachen können. Sie sind anders aufgestellt als Anonymous. Auch wenn vieles in ihrem Auftreten an das Hacker:innen-Kollektiv erinnert.

Yuliana sagt, nur fünf Menschen seien sie zu Beginn gewesen, irgendwann 30. Heute, seit Kriegsbeginn, seien sie 70 Mitglieder. Sie betont immer wieder: zuallererst seien sie Aktivist:innen, Oppositionelle.

Yuliana
I've always been in opposition. I've always been an activist.

Hacken, das sei eben nur ein Werkzeug. Ein Werkzeug, das sie auch zunächst erlernen mussten. Kaum jemand aus der Gruppe sei ein “professioneller Hacker”, viele würden aber im IT-Bereich arbeiten. Für ihre Arbeit als die Cyberpartisanen haben sie sich die Fähigkeiten selbst beigebracht.

Yuliana
Open source material, IT materials, YouTube lectures. You can learn anything from YouTube these days, and that's how this started.

Heute kann man ja alles bei Youtube lernen, sagt Yuliana. Wie man zum Beispiel Regierungsseiten hackt.

Yuliana
And just learning from the mistakes or learning from the success stories they learn how to hack.

Die Cyberpartisanen sind eine Gruppe von Hacktivist:innen. Also Aktivist:innen, die hacken. Hacker:innen, die eben auch Aktivist:innen sind. Sie sind damit sowas ähnliches wie Anonymous: Sie brechen in Systeme ein, finden Daten, veröffentlichen sie. Pranken die Regierung. Oft mit viel Witz und Ironie. Comicfiguren, selbstgedichtete Lieder, Popverweise auf South Park, manchmal auch computerverzerrte Stimmen oder sogar die Guy-Fawkes-Maske. Also die von unserem Cover.

Das alles sieht wie Anonymous aus, fühlt sich wie Anonymous an. Yuliana erzählt uns auch von Anonymous’ Kriegserklärung an Putin, wie diese Hacktivist:innen weltweit inspiriert hat

Yuliana
I think many, many united, many hacktivists united against Russia. Also after this video was posted, just because it's easier to, you know, get inspired and start doing something when you have this message where you have clear instructions from Ukrainian cyber groups as well.

Aber, Anonymous und die Cyberpartisanen, sie haben eben doch sehr unterschiedliche Ansätze. Anonymous ist groß, wild, bisschen chaotisch vielleicht und weltweit aktiv. Die Cyberpartisanen sind dagegen eine kleine, sehr fokussierte und disziplinierte Gruppe. So diszipliniert, dass sie sogar eine Pressesprecherin haben. Aber genau das ist auch das Problem. Denn Yuliana hat ein Gesicht. Sie hat ein LinkedIn-Profil. Anders als bei Anonymous, wo niemand ein Gesicht hat.

Und so vermutet sie, dass sie wahrscheinlich beobachtet wird. Vom russischen Geheimdienst.

Yuliana
I'm much more paranoid now. I'm trying to be as careful as possible, especially being in Europe, you know.

Das mache sie richtig paranoid.

Yuliana
Some agents definitely cross the borders and they are in Poland.

Gerade hier in Europa, in Polen. Da gäbe es ganz sicher russische Agent:innen.

Yuliana
Trying not to use even like Uber, just because not to give out my address where I stay,

Nicht mal Uber würde sie benutzen - aus Furcht, ihren Aufenthaltsort zu verraten. Yuliana hat Angst - vor den Fängen des belarussischen Diktators. Vor dem russischen Geheimdienst. Manchmal ist sie nervös, wie im Treppenhaus, ganz zu Beginn, als sie die richtige Tür nicht fand. Wer wäre das nicht - in dieser Lage?

Als öffentliche Sprecherin einer streng geheimen Gruppe. Im Gespräch ist sie kontrolliert und diszipliniert. Sie weiß, was sie sagen will. Was ihre Botschaft ist. Die wiederholt sie häufig, trägt sie auf ihrem schwarzen Sweatshirt:

Sylke
And the sweatshirt. What does that tell me?

Yuliana
It says that Belarus is the land of free people and that's what we all believe in. We are free people, we are a free nation. And we are not going to negotiate that with dictators.

Die Aufschrift: „Belarus ist ein freies Land mit freien Menschen“. So endet das Gespräch.

Yuliana
Actually you're not recording, right?

Sylke
Erst mal bittet sie mich, das Aufnahmegerät abzustellen. Wir reden dann noch. Ich meine, eine gute halbe Stunde weiter. Sie erzählt von ihrer Familie. Sie erzählt von ihrem Mann.

Khesrau Behroz
Mit welchem Gefühl habt ihr euch verabschiedet?

Sylke
Ich mach die Tür auf, laufe runter vor das Haus Und da auch wieder so die Frage: Werde ich Sie wiedersehen? Was wird ihr passieren? Wie sicher ist sie?

Maschmeyer
Es ist ja schon im Namen. Es sind die Cyber-Partisans. Und auch die Aktion gegen das Schienennetz ist Sabotage.

Das ist Lennart Maschmeyer, Sicherheitsforscher an der EZH Zürich. Kennt ihr vielleicht noch aus der letzten Folge. Krieg und Geheimdienste, Sabotage und Spionage - das sind Maschmeyers Themen. Vor allem aber die Frage: Wie das Internet das alles verändert hat.

Die Cyberpartisanen seien am Ende eben Partisanen, Widerstandskämpfer. Also eine Gruppe, die versucht, den Gegner durch gezielte Nadelstiche zu schwächen. Durch Angriffe auf Bahngleise, durch die Beschaffung geheimer Informationen, durch Spionage.

Maschmeyer
Ich würde das am ehesten als Sabotage sehen, hinter feindlichen Linien. Das, was neu ist, ist eben jetzt, dass Privatbürger solche Sabotageaktionen über die Grenzen hinweg im russischen Territorium ausführen können.

Digital gehe Sabotage natürlich viel einfacher, grenzüberschreitend. Das sei das wirklich Neue an Cyberoperationen. Aber genau deswegen seien Gruppen wie Anonymous oder die Cyberpartisanen für Geheimdienste aller Seiten so interessant: Die Leute kennen sich untereinander nicht, hinter der Maske könne jeder stecken. Sie bieten also einfach eine sehr gute Deckung.

Maschmeyer
Es macht ja Sinn, das ist ja. Es geht immer um plausible deniabilty bei solchen Operationen, also dass man irgendwie abstreiten kann, dass man in irgendwas verwickelt ist und das bietet natürlich jetzt, wo es Hacktivisten gibt, einen perfekten Deckmantel für solche Operationen.

Russland hat eine lange Geschichte solcher Angriffe - lange vor dem Krieg: Hacks auf die Ukrainische Wahlbehörde, auf Elektrizitätswerke, auf Banken. Manchmal waren die Hacker getarnt als Hacktivist:innengruppe, mal als Hacker:innen, die nur Geld erbeuten wollten. Aber nicht selten führte die Spur eben direkt zum russischen Geheimdienst. Aber: Nicht nur Russland könne Hacktivist:innen-Gruppen als Deckmantel nutzen. Auch westliche Geheimdienste, sagt Lennart Maschmeyer.

Maschmeyer
Und das wäre ja auch das Eskalations-Szenario, denn wie gesagt, das ist eigentlich ein perfekter, eine perfekte Ausrede auch für westliche Geheimdienste. Das könnte ich mir vorstellen. Wenn ich jetzt ein westlicher Geheimdienst wäre, würde ich das als Option auf jeden Fall in Erwägung ziehen.

Ok. Geheimdienste haben die lästige Angewohnheit, im Geheimen zu arbeiten. Full Disclosure also: Wir haben auch mit einem ehemaligen CIA-Mitarbeiter gesprochen. Der meinte nur, nee, er sei sich ziemlich sicher, Geheimdienste seien bei Anonymous nicht aktiv. Aber ganz ehrlich: Was soll er auch anderes sagen …

Wir haben der CIA auch ganz offiziell geschrieben. So‘n richtiges Formular. Die Antwortzeit für eine solche Anfrage beträgt, so pi mal Daumen ein paar Jahre. So lange können wir nicht warten. Aber dann haben wir von Roman erfahren. Roman Pryjomko. Lebt im polnischen Krakau. In Großbritannien geboren, hat in den USA gearbeitet - für das FBI. Später baut er in Pakistan Polizeistrukturen auf, arbeitet dort mit dem Geheimdienst zusammen. Heute ist er sowas wie ein Privatermittler für organisierte Internetkriminalität.

Er kennt also beides gut: Geheimdienste und die Welt von Hacking. Wir verabreden uns in Krakau. Und Patrick fährt hin. Roman hat graue, kurze Haare, sehr freundliches Gesicht. Er trägt Jeans und eine schwarze Jacke. Romans alter Job: In Pakistan arbeitet er mit Geheimdienst und Polizei zusammen. Dann wird er professioneller Verhandler, für Geiselnehmer.

Roman
I actually went and dealt with kidnappers or intermediaries of kidnappers.

Roman sieht in jener Zeit Autobomben, Terrorattentate, entführte Kinder …

Roman
Those are experiences that never leave you. Never. Sometimes it was children who had been kidnapped.

Anfang der 00er Jahre gibt er den Job auf. Eine Geiselnahme geht schrecklich schief, ein amerikanischer Journalist stirbt.

Heute arbeitet er für ein Unternehmen, das mit Hacker:innen verhandelt, Strukturen internationaler Hacker-Netzwerke erforscht und Sicherheitsanalysen erstellt. Seine Arbeit sei eigentlich ziemlich ähnlich zu früher, als er mit Geiselnehmern verhandelt hat und mit Geheimdiensten kooperierte. Heute ist sein Geschäftsfeld: Hackergruppen, die Angriffe auf Unternehmen und Infrastruktur in den USA und Europa verüben - meist, um Geld zu erpressen.

Viele dieser Gruppen kämen aus Russland.

Roman
So in Putin's Russia, hacking […] it's turned into a form of statecraft. That's part of their foreign policy as part of their military strategy. It doesn't make it right, but they look at it again.

In Putins Russland ist Hacking einfach eine Form der Politik, Teil ihrer Außenpolitik, ihrer Militärstrategie.

Roman
We climb inside their skin and walk around of it.

Und seine Aufgabe sei es: Diese Art des Hackings, diese Art der Politik zu verstehen. Sich in sie hineinzufühlen - in die Angreifer. Und genau deswegen wollten wir Roman treffen: Er kennt die Welt der Geheimdienste - und die Welt der Hacker. Er weiß um den Einfluss des russischen Geheimdienstes auf diese Welt.

Also: Russland nutzt Hackinggruppen, klar. Aber hält er es auch für möglich, dass westliche Geheimdienste Anonymous unterwandern, nutzen?

Patrick
Could you imagine this to happen?

Und Romans Antwort … er lächelt.

Roman
Why wouldn't they be? There's only advantages for being engaged.

Warum sollten sie nicht? Es habe nur Vorteile, Teil einer internationalen, völlig anonymen Gruppe zu sein, die in geopolitischen Konflikten mitmischt. Es sei:

Roman
… tradiotional Intelligence gathering.

… eben ganz klassische Geheimdienstarbeit: Quellen finden, Informationen sammeln, Informant:innen anwerben.

Er ist sich absolut sicher. Absolut .sagt er. Komplett.

Roman
I am completely. And. Actually completely. I put a large amounts of money on it that the intelligence. The intelligence. $1,000 put on.

Er würde darauf wetten, dass Sicherheitsdienste bei Anonymous aktiv sind. Und dann fragt Patrick: Ok, aber wie prüfen wir, ob es wahr ist?

Roman
Well, I don't think I don't think you can prove it unless some whistle blower comes forward and says, oh, and writes about, you know,

Roman sagt: Du wirst es nicht prüfen können. Es sei denn, ein Whistleblower

Roman
My secret life as an MI6 agent within Anonymous. But that's never going to happen. Right? Probably not.

Den Whistleblower haben wir bisher nicht gefunden. Also bleibt es eine extrem wahrscheinliche Theorie. Aber andersherum, fragt Roman: Wenn du ein Agent wärst: Warum solltest du nicht dabei sein?

Roman
So if you're in the business of covert activities, why wouldn't you be there? Of course you'd be there. Because that's where all the action is, right?

Natürlich seien Geheimdienste dabei, weil innerhalb solcher Gruppen so viel passiert. Da sei halt die Action.

Roman
This is where the action is. Pure and simple.

Und dann brechen wir auf. Roman, der nach Jahrzehnten in Polizei und Geheimdiensten hier in Krakau lebt, will Patrick noch etwas zeigen. Zum Abschied. Ein Wahrzeichen Krakaus. Roman führt uns, wenige Gehminuten entfernt, zu einem Turm.

Roman ist etwas wichtig am Ende zu sagen: Geheimdienste hin, Geheimdienste her. Egal, welche Rolle sie heute spielten. Anonymous als Idee, die sei ganz unabhängig entstanden, eine wirkliche Graswurzelbewegung. Eine großartige Idee.

Roman
I must say, I'm an admirer of theirs.

Eine Kraft, die für Gerechtigkeit stehe, die Respekt verdiene.

Roman
They are a force to be respected.

Was Anonymous für die Ukraine tue, das sei sehr wichtig. Und durchaus erfolgreich.

Roman
And they've been pretty successful in doing it so far. And I think they will continue.

Und dann stehen wir vor dem Turm der Marienkirche in Krakau, den er uns unbedingt zeigen wollte. Seit Jahrhunderten tritt ein Trompeter zu jeder vollen Stunde ans Fenster und spielt mit der Trompete eine Melodie. Es ist ein polnisches Signal des Triumphes. Als Warnung an die Bevölkerung, zur Erinnerung an die Freiheit.

*Trompetenmelodie*
Der Trompeter, sagt Roman, der ist ein Jahrhunderte altes Symbol.

Roman
It speaks of a different time, but it speaks about today as well.

Das Symbol des Widerstandes aus einer anderen Zeit. Aber eben auch ein Zeichen für heute.

*Trompetenmelodie*
Erinnert Ihr Euch an Anonymous’ Kriegserklärung an Russland? Haben wir öfter erwähnt, immer wieder thematisiert. Das Video wird millionenfach aufgerufen, wird gezeigt von India Today, vom amerikanischen MSNBC und der Bild.

Was wir Euch nicht gesagt haben: Wenn man ganz genau hinschaut, da sieht man in der linken oberen Ecke ein Wasserzeichen. Und wenn man dieser Spur folgt, dann …

Nächstes Mal bei Legion: Hacking Anonymous.